8. Juni 2011 Lesezeit: 2 Min.

Das Ende von kino.to wird genau so viel bringen wie das Ende von Napster

Die in Deutschland für ihre illegalen Angebote extrem bekannte Streaming-Site kino.to ist nach einer groß angelegten Razzia und ihr folgenden Verhaftungen offline:

In Deutschland, Spanien, Frankreich und den Niederlanden haben Ermittler am Dienstag zahlreiche Wohnungen, Geschäftsräume und Rechenzentren durchsucht, um die Betreiber des Verzeichnisses und angeschlossener Streaming-Dienste dingfest zu machen. Das teilte die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzung (GVU) mit. Demnach haben in Deutschland zeitgleich 20 Razzien stattgefunden, mehr als 250 Polizisten und Steuerfahnder waren im Einsatz, unterstützt von 17 Computerexperten.

Vor allem ein Satz im mittlerweile nicht mehr verfügbaren Text ist interessant, den die Polizei auf der Domain hochgestellt hatte:

Internetnutzer, die widerrechtlich Raubkopien von Filmwerken hergestelt oder vertrieben haben, müssen mit einer strafrechtlichen Verfolgung rechnen.

Für Nutzer von Streamingdiensten sieht die Rechtslage nach Rechtsanwalt Udo Vetter allerdings so aus:

Es ist keineswegs ausgemacht, dass das bloße Betrachten von Streams, wie sie kino.to angeboten hat, eine Urheberrechtsverletzung darstellt. Es fehlt nämlich an der notwendigen Vervielfältigung des Films, da auf dem Rechner des Nutzers keine Kopie gespeichert wird.

Wenn die Polizei also tatsächlich meinen sollte, die einfache Nutzer von kino.to belangen zu können, begäbe sie sich auf ziemlich glattes Parkett.

kino.to war erstaunlich erfolgreich:

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft hatte die Website, auf der widerrechtlich ins Netz gestellte Kinofilme und Serien verlinkt waren, rund vier Millionen Besucher täglich. Die Hauptbeschuldigten sollen siebenstellige Gewinne damit erzielt haben.

Überraschend ist diese Entwicklung, besonders bei TV-Serien und Filmen, hin zum Streaming allerdings nicht. Letztes Jahr schrieb ich anlässlich des Streaminglinkaggregators Sidereel:

Filesharing war nie das Problem, sondern nur eine Folge des ‘Problems’: Filesharing war die Folge der Veränderung in den Kostenstrukturen. Filesharing ist kostenfrei für die beteiligten Nutzer betreibbar. Ohne zusätzliche Kosten für alle Beteiligten werden die Inhalte effizienter verbreitet.

[..]

Man blicke zehn Jahre in die Zukunft und stelle sich vor, dass Schulkinder Streamingserver auf ihren Mobiltelefonen betreiben oder dass jede Privatperson genügend Ressourcen für Aktivitäten jeglicher Art über Cloud Computing mit Amazons AWS, Googles AppEngine oder anderen Angeboten für verschwindend geringe Bezahlung umsetzen kann. Gleichzeitig erlaubt dann fertige Open-Source-Software die Einrichtung ohne tief gehende technische Vorkenntnisse. Ein durchaus realistisches Szenario.

Die Entwicklung geht in diese Richtung, nicht in eine andere. Und das bedeutet wiederum, dass die Verbreitung der Inhalte immer vielfältiger und einfacher und damit demokratischer wird. Eine Kontrolle wird schwerer, nicht einfacher.

Das Problem für die Rechteverwerter und Urheber wird offensichtlich:

Sie kämpfen nicht gegen Filesharing sondern gegen die Verschiebungen der Rahmenbedingungen an, von denen Filesharing zwar die erste schwerwiegende aber bei weitem nicht die einzige Folge war. Ein Kampf der nicht gewinnbar ist und Energie verbraucht, die besser für das Finden passender Geschäftsmodelle aufgewendet würde.

Filesharing, das kann man nicht oft genug schreiben, ist nur eine Folge nicht die Ursache des 'Problems'. Eine weitere Folge sind illegale Streamingangebote, die in den letzten Jahren finanziell tragfähig wurden, weil Traffic-Kosten und Speicherkosten enorm gesunken sind. (Und weiter sinken.)

BitTorrent bereitet es bereits vor und die Entwicklungen bei Internet-Breitbandanbindungen deuten ebenfalls in diese Richtung: In den nächsten Jahren wird sich dezentrales Streaming etablieren. Also P2P-basiertes Streaming. Warum? Weil es geht und sinnvoll ist. Der Zugang wird immer leichter. Geld mit der Verknappung des Zugangs verdienen zu wollen, erscheint  zumindest zunehmend schwieriger.

kino.to ist das zentrale illegale Streaming, so wie Napster die zentrale Tauschbörse war. Keine noch so große Razzia wird die oben beschriebene Entwicklung aufhalten. So sehr man das Gebahren der kino.to-Betreiber verachten mag (und ja, es ist verachtenswert), der Entertainment-Industrie ist kaum geholfen. Das Problem bleibt bestehen. Das Problem heißt Digitalisierung. Es wird lediglich an Symptomen herumgedoktert.

Sicher wird es einige Pressemitteilungen geben, in denen Vereinigungen wie die GVU das Ende von kino.to feiern, als hätten sie tatsächlich einen Sieg errungen und wären ihrem Ziel näher gekommen, die durch die Digitalisierung ausgelösten Kosten- und Geschäftsmodellverschiebungen aufzuhalten.

Das Traurige daran ist, dass die meisten betroffenen Rechteinhaber gar nicht realisieren werden, dass sie weiter weg von ihrem Ziel sind als vor ziemlich genau zehn Jahren, als mit Napster die erste P2P-Tauschbörse erfolgreich abgeschaltet wurde.

Symptome und Ursachen.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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