Die Piraten haben ihre Positionen zum Urheberrecht aus gegebenem Anlass noch einmal zusammengefasst:
Im Einzelnen fordern wir:
-dass keine Überwachungs- oder Zensurtechnologien wie Vorratsdatenspeicherung, Kommunikationsüberwachung oder Internetsperren zur Rechtedurchsetzung eingesetzt werden,
-die Verkürzung von gesetzlichen Schutzfristen, die in ihrer bisherigen Länge vor allem den Verwertern zugute kommen,
-dass keine Beschränkungen durch Kopierschutzmaßnahmen oder gar Sperrungen von Internetanschlüssen erfolgen,
-mehr Mitspracherechte für Urheber gegenüber den Rechteverwertern wie ein Zweitverwertungsrecht oder eine zeitliche Begrenzung von »Buy-Out«-Verträgen,
-eine neue Schrankenregelung des Urheberrechts, die das freie, nichtkommerzielle Kopieren von kreativen Werken im Internet legalisiert,
-eine zeitgemäße digitale Archivierung für Bibliotheken,
-die Befreiung der Bildungseinrichtungen von Urheberrechtsabgaben,
-den freien Zugang zu mit öffentlichen Geldern finanzierten Inhalten wie bspw. wissenschaftliche Arbeiten oder Medien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten,
-die Legalisierung privater offener (WLAN-)Netzwerke durch die Abschaffung der Störerhaftung.
Klothilde says
Der Tag, an dem ein solches Gesetz in Kraft tritt, würde in der Rückschau als Knick in der Kulturproduktion eines Landes sichtbar werden: „eine neue Schrankenregelung des Urheberrechts, die das freie, nichtkommerzielle Kopieren von kreativen Werken im Internet legalisiert“. Was würde passieren? Verlage und Urheber würden die Produktion herunterfahren, da mit digitalisierbaren Werken keine ausreichenden Rückflüsse zu erzielen sind. Öffentl.-rechtl. Sender (TV + Hörfunk, staatsnah) würden weiter produzieren. Werke, die vor dem Stichtag produziert wurden, flottieren frei verfügbar durchs Netz. Aber Werke nach dem Stichtag werden rar, da sie schlicht kaum noch produziert werden. Es würde ein Vakuum entstehen, in das Werke aus anderen Ländern einströmen würden. D.h. es würden nach dem Stichtag verstärkt aktuelle engl. Werke sich ausbreiten.
Marcel Weiss says
Unabhängig von der Kulturflatrate steigt der Output bei weniger restriktivem Urheberrrecht als dem heutigen. Das beweisen die verlinkten Studien recht eindrücklich, weil wir eine de facto Abschwächung sehen.
Klothilde says
Mich interessieren diese Studien, um welche handelt es sich?
Marcel Weiss says
http://neumusik.com/2010-09-ge…
http://www.techdirt.com/articl…
Klothilde says
Hier wird mit Argumenten aus der Ökonomie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Resolution 217 der UN vom 10.12.48 geschliffen. Herr Weiss, Sie schreiben: „Das heißt, von 1997 bis 2007 ist der Gesamtumsatz der Musikbranche in den USA um fünf Prozent gestiegen.“ Warum ist das so? Ihre Begründung: Die Musiker haben vom kostenlosen Filesharing von Musikstücken profitiert. Der Argumentationszusammenhang mag stimmen oder nicht. Man mag die Musiker beneiden, beglückwünschen oder bedauern. Deswegen aber über ihre Grundrechte verfügen zu wollen, finde ich gewagt. Erklärung der Menschenrechte, Absatz 27: „Jeder hat das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen.“ Es hat 200 Jahre gedauert, das zu erreichen. Das sollen wir aufgeben, weil Filesharing zur Zeit so toll funktioniert? In 30 Jahren mag es eine neue fantastische Technik geben, eine andere Rechtsordnung. Der abgeschaffte Teil der Menschenrechte wird nicht zurückkehren, sondern weiter fehlen.
Marcel Weiss says
Immer das Gleiche.
„Wovon sollen wir leben? Wir wollen das verkaufen können!“
„Der Gesamtumsatz steigt.“
„… Aber unsere Rechte!“
Ja, was denn jetzt?
Klothilde says
Ganz klar: Die Rechte bleiben. Fällt das Recht, fällt die wichtigste Begründung für das Vorhandensein des Staates. Kann der Künstler seine Kunst nicht verkaufen, wird er sehen, woanders seine Brötchen zu verdienen. Das ist sein Berufsrisiko. Aber aus seinem Scheitern oder seinem Erfolg zu folgern, ihm Grundrechte nehmen zu müssen, das ist übereilt. Das schädigt nicht nur den Künstler, sondern die Gesellschaft, den Staat, den Markt.
chrwinkler says
das ohne urheberrecht weniger „kultur“ produziert würde ist ein mythos der bereits von eckhard höffner widerlegt wurde (also ob kulturelle entwicklung von einem gesetz abhängen könnte)
e.höffner „geschichte und wesen des urheberrechts“ oder hier die kurzvariante:
http://www.youtube.com/watch?v…
Klothilde says
Höffners Studie bezieht sich auf das 18. Jahrhundert. Ich habe sie gelesen. Er macht folgenden Zusammenhang auf: Im frühen 18. Jahrhundert gab es in Deutschland mehr Bücher als in England, weil die Bücher in England zu teuer waren. In Deutschland waren sie billiger. Und das war gut für die Autoren. Im ersten Moment überraschend. Höffner erklärt es so: In Deutschland grassierte die Raubdruckeritis, da das Urheberrecht löcherig war. Um die Raubdruck zu verhindern, warfen die Verleger immer neue und immer billigere Bücher auf den Markt. So verstopften sie den Raubdruckern den Markt. Das bedeutete viele Aufträge für die Autoren. Allerdings nagten die am Hungertuch, da es kaum Geld für die Schreibaufträge gab. Schnellschreiben war angesagt. In England wurde das Urheberrecht konsequenter umgesetzt: Weniger Aufträge für die Autoren, aber bessere Bezahlung. Die Technik hat sich weiter entwickelt. Heute gibt es kaum noch Raubdrucke, Filesharing ist billiger. Kostenlos sogar. Insofern ist es schwierig, Höffners Thesen auf das 21. Jahrhundert zu übertragen. Das würde nämlich bedeuten, dass die Autoren zwar viele Aufträge bekämen, aber kein Honorar, da die Verlage nahezu kostenlos anbieten müssten, um mit dem Filesharing konkurrieren zu können. Die Autoren würden schlicht verhungern. So blöd werden sie nicht sein, sondern sich eine andere Arbeit suchen. Insofern ist es eben kein Mythos, dass ohne Urheberrecht weniger Kultur produziert werden würde. Sondern es ist wahrscheinlich.
chrwinkler says
allerdings nagten sie am hungertuch? das kannst du nicht bei höffner gelesen haben. er schreibt ganz ausdrücklich dass ein großteil der autoren in deutschland im durchschnitt mehr verdient hat, im gegensatz zu einigen wenigen gutverdienenden autoren in england. seine studie untersucht die entsprechenden marktmechanismen die ohne und mit urheberrecht wirken. dein argument war dass wir einen „knick in der kulturproduktion“ sehen würden und das ist eine durch nichts belegte behauptung die durch keine studien belegt ist (im gegensatz zu höffner)
dieser mythos vom ende der entwicklung wird auch in meinem bereich ad absurdum geführt: dem tanz. zwar ist tanz schützenswerte kunst nimmt aber mangels kopierfähigkeit nicht an irgendeiner verwertung teil. wenn jemand im tanz verdient tut er das ohne urheberrecht. gibt es also deswegen keine entwicklung im tanz? nein im gegenteil…
Marcel Weiss says
Danke für den Hinweis auf den Tanz. Interessant!
Was Höffner angeht: er zeigte auch, dass das rückständige Landwirtschaftsland Deutschland mit dem fehlenden Urheberrecht zum Industrieland England aufschliessen konnte, das sich trotz (dank?) Copyright nicht mit vergleichbarer Geschwindigkeit weiterentwickelt hat..
Anja Strauss says
Soweit ich das sehe, bleibt das Grundrecht unangetastet: „Jeder hat das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen
Interessen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur
oder Kunst erwachsen.“ Es wird nicht über eine Sofort-Enteignung direkt nach dem kreativen Schaffensprozess geredet, sondern über eine Verkürzung der Schutzfrist. Zweitverwertungsrechte und befristete buy-outs stärken die Urheber zusätzlich gegenüber den Verwertern. Und: das Grundrecht gilt eben nicht für die Verwerter, sondern für die Urheber.
Klothilde says
Keine Sofort-Engeignung, sondern eine etwas-später Enteignung? Wo ist die Grenze, wer setzt die Grenze? Warum darf der Zigarrenproduzent aus Bremen auf der Maschine seines Urgroßopas weiterhin die Vorarbeiten zu Zigarren seiner Hausmarke „Churchill“ erledigen und niemand denkt im Traum daran, seine Maschine in Gemeinschaftseigentum zu überführen? Schaut dort das alte Denken von der unterschiedlichen Wertigkeit von Arbeit hervor – im Gewand des modernen Piraten? Du arbeitest mit dem Kopf – du und deine Arbeit, ihr seid weniger wert. Du arbeitest im Schweiße deines Angesichts – dir lassen wir deinen Verdienst. Und die Grundbesitzer, die arbeiten gar nicht, die produzieren auch nichts. Wer die ersten „Schutzfristen“ verkürzt, könnte andere auf die Idee bringen, auch in anderen „Gewerken“ nach der Dauer von Schutzfristen fragen zu lassen.
Kurz zu der Stärkung der Urheber gegenüber den Verwertern. Diese Überlegungen mögen löblich sein. Sie wirken aber im Zusammenhang mit der Enteignungsdebatte wie ein Trostpflaster, das man den Urhebern aufkleben möchte. Die enteigneten Bauern in Mecklenburg bekamen 1955 auch 2 Mark pro verstaatlichtem Hektar und Ulbricht erzählte ihnen, jetzt würden goldene Zeiten für sie anbrechen. Danach übrigens lag das enteignete Land brach, da die Kolchosbauern keinen Antrieb hatten, es zu beackern. Die enteigneten Mecklenburger Bauern haben nach Hamburg rübergemacht und sind Kaufleute geworden. – Die Urheber brauchen keine staatliche Hilfestellung, um gegen die bösen Verwerter zu bestehen. Sie haben eigene Interessenverbände, eigene Köpfe für Verhandlungen mit den Verwertern. Und manchmal helfen ihnen die Verwerter sogar, ihre Werke zu verwerten.
TheEconomicScribbler says
Das ist bei weitem nicht die einzige Kreativindustrie mit wenig bis gar keinem Urheberschutzrecht. So sind bspw. Koch- und Backrezepte nicht schutzfähig, aber dennoch gibt es einen milliardenschwere Industrie und unzählige gutverdienende Spitzenköche in diesem Sektor. Ein noch besseres Beispiel ist die Modeindustrie. Dazu sei jedem dieser hochinteressante Vortrag von Johanna Blakley empfohlen. Und gerade Klothilde, als Verfechter der These „weniger Urheberrecht = weniger Produktion (an Kreativgütern)“, möchte ich besonders auf die Grafik bei Minute 12:23 verweisen.
Anja Strauss says
“ Wo ist die Grenze, wer setzt die Grenze?“ – Eine Grenze gibt es auch im derzeit bestehenden Urheberrecht. Deine Argumentation impliziert die Aufhebung einer Grenzfrist zugunsten eines unbegrenzten Urheberrechts.
Das System, dass Rechte nur für einen begrenzten Zeitraum geschützt werden, gibt es ja auch bei Patenten. Und ja: man muss man nach Jahrzehnten auch mal fragen dürfen, ob geltendes Recht / geltende Schutzfristen noch angemessen sind.
Der persönlich oder gesellschaftlich wahrgenomme Wert von Arbeit hat mit der ganzen Diskussion meines Erachtens nichts zu tun, sondern vielmehr die unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften von geistigen Gütern im Vergleich zu physischen Gütern.
Stichwort Verwerter: Und ob diese beim Verwerten helfen! Nach der gängigen Unterscheidung gehöre ich eher zu diesen als zu den Urhebern. Ich bin aber der Meinung, dass wir uns darauf konzentrieren sollten, herauszufinden, welche Geschäftsmodelle in der Zukunft dazu führen, dass Künstler und damit Verwerter Kohle verdienen, statt uns an alten Geschäftsmodellen (z.B. reiner Tonträgerverkauf), die offensichtliche Schwächen haben, festzuklammern.