Vielleicht antizipiert Schirrmacher längst den Exodus und sehnt sich nach einem finalen heroischen Moment oder einer magischen Rettung in letzter Sekunde. In jedem Fall schreibt er der F.A.Z. als publizistische Leitinstitution eine Systemrelevanz für die Bundesrepublik ins Stammbuch – als sei die am Gemeinwohl orientierte Grundhaltung der Redaktion durch eine Art Gesellschaftsvertrag garantiert.
Dabei sollte gerade das drohende Ergebnis der FAZ Besorgnis erregen – von bis zu 20 Millionen Euro Verlust im Jahr 2012 wurde bereits berichtet. Wird dieses Ergebnis fortgeschrieben, ist es unter nicht einmal sehr konservativer Betrachtung möglich, dass die FAZ in weniger als zehn Jahren schließen muss.
Vielen Staatsbürgern und loyalen Abonnenten ist die Lage überhaupt nicht bewusst – besonders jenen nicht, die Sätze sagen wie etwa der frühere Chefredakteur der ARD, Hartmann von der Tann: „Ich will aber auch in Zukunft morgens meine Zeitung zum Frühstück haben.“
Besonders erschreckend ist immer wieder das Unverständnis für die Bandbreite der Veränderungen in den oberen Etagen der Medienunternehmen, Öffentlich-Rechtlichen Institutionen und, natürlich, in der Politik.
Unter Peter Littgers Lösungsansätzen findet sich auch Folgendes:
In jedem Fall sollten die Verlage die Öffentlichkeit, ihre Mitarbeiter und Kunden über ihre wahre Situation und die möglichen Konsequenzen informieren und jede Verschleppung des Problems vermeiden.
Das wäre wichtig, ist aber leider vollkommen unrealistisch, da aufgrund der Interessensverquickung keine Berichterstattung über die ‚wahre Lage‘ möglich ist. Institutionen, auch Presseinstitutionen, sind in der Regel nur sehr eingeschränkt zur Selbstreflektion in der Lage. Es hat durchaus seine Gründe, warum die durchschnittliche Lebensdauer von Unternehmen weit unter jener von Menschen liegt.
Wie wenig die deutsche Presse zur Berichterstattung über die eigene Situation in der Lage ist*, kann man an den Artikeln zum geplanten Presseleistungsschutzrecht so eindeutig sehen, dass niemand das abstreiten kann, der kein Lobbyist für Presseverlage ist.
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*Wenn ich darauf hinweise, wird das oft als ein genereller Vorwurf an die hiesige Presse gedeutet. Das Ausmaß der teils bewussten Einseitigkeit in der Berichterstattung zum LSR ist tatsächlich etwas, dass man der Presse vorwerfen muss. Aber die Tendenz selbst ist systemimmanent und ihre Erwähnung kein Vorwurf sondern die Feststellung einer Tatsache, die aus welchen Gründen auch immer oft ausgeblendet wird. Es gibt keine Objektivität. Erst recht nicht, wenn es um den eigenen Arbeitsplatz geht.
Dass diese Tatsache, die persönliche Verquickung und der durch sie verstellte Blick, wiederum auch nicht den einzelnen Feuilletonisten auffällt, und etwa auch einmal einen Halbsatz wert wäre, sagt etwas über die Mehrheit der in die deutschen Medien schreibenden Intellektuellen aus, das man nicht mit ‚Das Land der Dichter und Denker‘ zusammenfassen kann.
Marius Wolf says
Was wäre eigentlich, wenn es in 10 Jahren 10% oder auch 20% oder 30% weniger eigenständige Tageszeitungen auf dem Markt gäbe?
Wäre das der Tod des Journalismus? Sicherlich nicht. Würde das die Medienlandschaft verändern? Definitiv. Und genau von solchen Veränderungen werden „Gewohnheitstiere“ am stärksten getroffen, denn für sie sind Veränderungen immer am unangenehmsten.
Gewohnheitstieren kommt man daher kaum bei, indem man mit der Unvermeidbarkeit der Veränderungen argumentiert. Man muss die Veränderungen für sie begreifbar machen – und vor allem Lust darauf machen.
Im übrigen glaube ich, dass es insgesamt gar nicht so schlimm wäre, wenn wenn nicht mehr jeder Landkreis seine eigene Zeitung hat. Die globalen und nationalen Nachrichten muss nicht jede Regionalzeitung separat abschreiben. Für die regionale und lokale Berichterstattung – das muss man ehrlicherweise sagen – kenne ich aber noch keine wirklich reichweitenstarken, etablierten Online-Medien. Hier würde tatsächlich eine Lücke entstehen.