oder: Über die Entscheidungsfindung zur Differenzierung zwischen kostenlosen Basis- und kostenpflichtigen Premiumfunktionsbündeln für Internetstartups
Martin hat auf zweinull.cc die Webdienste aufgezählt, für die er bezahlt und auch die Gründe dafür aufgezählt (für web.de mail bezahlen? Ernsthaft?). Dabei war auch das deutsche Businessnetzwerk Xing. Ein guter Anlass, um über etwas zu schreiben, das mir schon länger durch den Kopf geht. Denn Xing hat meines Erachtens die Basisaccounts zu weit beschnitten und riskiert damit das eigene Wachstum. Aber fangen wir vorn an.
Moneymoneymoney
Neben Finanzierung über Werbung ist das zweithäufigst anzutreffende Geschäftsmodell im Netz eine Aufteilung des Angebots in kostenlose Basisaccounts und kostenpflichtige Premiumaccounts, die mehr Funktionen als erstere bieten.
Diese Aufteilung ist, im Gegensatz zum Verfolgen eines ausschließlich kostenpflichtigen Angebots, sinnvoll, da besonders Seiten, die auf User Generated Content setzen und auch und besonders Social Networks für alle Mitglieder -also auch die zahlenden- immer mehr an Nutzen gewinnen, je größer sie sind (das Verhältnis Nutzenzuwachs zu Communityzuwachs ist allerdings nicht für jede Wachstumsphase gleich, das ist aber wieder eine andere Geschichte). Generell ist es für alle Webdienste sinnvoll, einen irgendwie gearteten kostenlosen Bereich anzubieten, aus Marketinggründen (viral usw.).
Entscheidungsfindungshilfe bei der Trennung zwischen Free- und Bezahlbereich
Wenn man als Startup nun evaluiert, welche Funktionen man kostenlos feilbietet und für welche man den Nutzern Geld abknöpfen möchte, gibt es ein paar grundlegende Überlegungen über das eigene Angebot anzustellen, welche Funktionen wieviel Nutzen stiften.
Diese Überlegungen können anhand des Kano-Modells konkretisiert werden. Das Kano-Modell teilt Kundenanforderungen/Funktionen in drei Gruppen ein:
- Basisanforderungen: werden vom Kunden vorausgesetzt, fallen erst auf, wenn sie fehlen Bsp.: Kühlleistung eines Kühlschranks
- Leistungsanforderungen: sind Kunden bewusst, schaffen je nach Realisierungsgrad Zufriedenheit oder Unzufriedenheit Bsp.: Design des Kühlschranks
- Begeisterungsanforderungen: geringer Erfüllungsgrad sorgt nicht für Unzufriedenheit, hoher Erfüllungsgrad steigert aber Kundenzufriedenheit enorm Bsp.: Umweltverträglichkeit des Kühlschranks
(Bsp. nach Uwe Götze, Kostenrechnung und Kostenmanagement)
Wenn man jetzt entscheiden muss, wie man die auf der eigenen Seite angebotenen Funktionen aufteilt, sollte das meiner Meinung nach folgendermassen aussehen:
- Free- bzw. Basisaccount: Basisfunktionen und so viele Leistungsfunktionen wie möglich (möglichst alle)
- Bezahl- bzw. Premiumaccount : Begeisterungsfunktionen
Begründung:
Aus den oben bereits angesprochenen Gründen müssen SocialNetworks und ähnliche communitygetriebene Webdienste, um erfolgreich zu sein, so viel wie möglich kostenlos anbieten um so viele Nutzer wie möglich zu akquirieren .
Man kann es zynisch mit Drogen vergleichen (Sie wissen schon, der andere Wirtschafstbereich, der seine Kunden auch User nennt): Kostenlos anfixen, süchtig machen und wenn sie dann nach mehr gieren, 'abkassieren'.
Man könnte auch sagen, dass der Erfolgsweg ist, die User so glücklich mit dem eigenen Angebot zu machen, dass sie das ganze Paket wollen. Einfach weil es sich richtig anfühlt. Kundenbindung etc. etc.
Welche Funktionen auf meiner Seite sind aber nun Basis-, Leistungs- oder Begeisterungsanforderung?
Darauf gibt es keine einfache Antwort. Jeder sollte seiner Community immer genau zuhören und darauf achten, was sie wünscht usw.
Jedes Webstartup hat im Grunde im eigenen Produkt meist eine permanentes Marktanalysetool, mit dem sich genau herausfinden lässt, was die eigenen Kunden wünschen. Man muss ihnen nur zuhören. Oder sie einfach mal fragen. Andere Unternehmen wären froh für diese Möglichkeit des permanenten direkten(!) Kontaktes zu ihren Kunden.
Im Gegensatz zu anderen Wirtschafstzweigen gibt es in diesem speziellen Fall der Aufteilung der Funktionen außerdem noch ein recht einfachen Lackmustest :
Man stelle sich folgende Frage: Würde die eigene Seite auch eine lebhafte Community anziehen, wenn es nur die Funktionen gäbe, die für die kostenlosen Basisaccounts freigeschaltet sind?
Falls die Antwort darauf ja ist, kann man die weiteren Funktionen je nach Konkurrenzsituation entweder ebenfalls ein stückweit in die Schlacht werfen oder für die Monetarisierung als Premium anbieten.
Falls die Antwort nein lautet, zurück auf Los und keine 4000 Euro einziehen.
Beispiel Xing
Kommen wir zurück zu Xing: Ich habe dort lediglich einen kostenlosen Basisaccount. Was ich damit nicht kann und mir soweit auf- und missfiel:
- Nach anderen suchen
- anderen als Erster in einer Konversation eine Nachricht schreiben
Während Ersteres noch verkraftbar ist und grenzwertig noch in die Kategorie Leistungsanforderung fallen könnte ist der zweite Punkt untragbar.
Das Nachrichtenschreiben, auch das Beginnen einer Konversation, sind Basisanforderungen an SocialNetworks. Nur wenig stellt so klar eine Basisanforderung in diesem Fall dar.
Was die Auswirkungen dieser Entscheidung von Xing sind: Wenn ich mit jemand Kontakt aufnehmen will, gehe ich auf dessen Profil und schaue nach Möglichkeiten, das außerhalb der Plattform zu machen -Email in der Regel-. Genau: Die Interaktion findet nicht mehr auf der Plattform selbst statt. Beide Parteien haben verloren: Es ist umständlich für mich als Nutzer, weil ich selbst für einen kurzen Satz an ein anderes Mitglied durch Reifen springen muss. Und Xing verliert maßgeblich an Stickyness.
Den 17jährigen, die heute bereits mit SocialNetworks aufgewachsen sind, wird es nur schwer zu vermitteln sein, für das, was sie seit je her (und vor allem auch: überall sonst) kostenlos geboten bekommen, bei Xing zu bezahlen.
Kurzfristig mag diese Entscheidung zu höheren Einnahmen führen, aber langfristig wird es Xing Boden kosten. Denn was nützt es mir, Xing-Premiummitglied zu sein, wenn mich andere Personen aus meiner Branche auf Facebook (bspsweise) oder per Email anschreiben, weil sie es auf Xing nicht können?
Basisanforderungen kostenpflichtig zu machen, führt zu einer Lose-Lose-Situation.
Beispiel für eine Begeisterungsanforderung bei Xing: Die auch nur als Premiummitglied verfügbare Möglichkeit, einzusehen, wer auf meinem Profil war. Ein weiteres Beispiel ist die Einstellung von Angeboten auf dem Marketplace.