14. Apr. 2008 Lesezeit: 6 Min.

Umsonstkultur im Internet zu großen Teilen systemimmanent

In der letzten Woche ging wieder einmal die Debatte um die Kostenlos-Kultur im Netz durch's Netz. Namentlich Medienkonvergenz und Zweinull.cc störten sich dran. Ich hatte mir letzte Woche nach der Lektüre des Medienkonvergenz-Textes bereits ein paar Anmerkungen gemacht und einen Text angefangen. Zu meinem Entzücken las ich dann einen hervorragenden, sehr lesenswerten Text zum Thema bei Markus Spath auf hackr.de (unbedingt lesen!).

Individual-, Sozial-, System- und Gesellschaftswert

Der wesentliche Punkt von Markus:

Im Grunde sind die ökonomischen Prinzipien im Web sehr einfach: ein Angebot muss – will es mittelfristig und autonom bestehen – zwei Dinge tun: Wert erzeugen und Teile des Werts irgendwie monetarisieren. Wert entsteht an unterschiedlichen Stellen. Als Individualwert (der Wert den ein Nutzer für sich selbst aus der Benutzung zieht), als Sozialwert (der Wert der für Benutzer dadurch entsteht, dass auch andere – Bekannte oder interessante Unbekannte – mitmachen), als Systemwert (der Wert für den Anbieter der dadurch entsteht, dass alle zusammen mitmachen) oder auch als Gesellschaftswert (was hat die Welt wie sie ist davon, dass es das Angebot gibt).

Markus geht dann weiter darauf ein, dass die Nutzer direkt für die Inhalte etc. abzukassieren, nicht immer das gewinnbringendste Geschäftsmodell sein muss:

Für Anwendungen die aber primär Sozial- und Systemwert erzeugen (dass sie Individualwert erzeugen ist eine Voraussetzung, sonst würden sie einfach nicht benutzt) ergeben sich aber interessantere – und dem Web eigene – Möglichkeiten. Natürlich könnte man auch hier versuchen Geld zu verlangen, aber wäre es nicht schlauer die Anstrengungen darauf auszurichten, eher die Eintrittskosten gering zu halten um den Sozialwert und den Systemwert zu maximieren und dann ein Modell zu finden, diese zu vergolden?

Richtig. Die Nutzer erzeugen eben bei der Nutzung oft auch Mehrwert. Und damit Wachstumschancen. Und das Wachstum an Usern selbst erzeugt wieder mehr Wachstum weil es den Mehrwert für den Einzeln steigert: Sich selbst verstärkend.

Einer der interessanten Punkte in diesem Zusammenhang ist, dass das Angebot bei maximaler Auslastung der Wachstumschancen letztlich nicht mit dem Hauptprodukt und desssen Konsumenten monetarisiert wird -weil erst kostenloses Anbieten zur Auslastung des Potentials führt-, sondern quasi mit den Nebeneffekten, dem was am Rand abfällt. Nebenbei wird so die Marktnische umfassend besetzt und Markteintrittsbarrieren erzeugt. Kostenpflichtige API-Premiumzugänge bei Twitter wären zB ein denkbares Szenario der Monetarisierung des 'Randes'.

Nebenbei: del.icio.us hätte zum Vorzeigebeispiel für diesen Zusammenhang werden können, wäre es nicht frühzeitig von Yahoo! aufgekauft worden. (Die unglaublich umfassenden, hervorragend strukturierten Daten von del.icio.us liegen dort nach 3 Jahren nach wie vor brach. Etwas, was sich ein kleines Startup nicht hätte erlauben können.)

Der Punkt des indirekten Verdienens mit Produkten und Dienstleistungen ist einer der wesentlichen Aspekte beim Anbieten von Dienstleistungen/Produkten im Netz. Und dieser Aspekt ist wachstumsgetrieben.

Beispiele

Ein paar konkrete Beispiele und Ansätze auch abseits von Webapplikation-Anbietern, wie man mit kostenlosen Angeboten online Einnahmen generieren kann:

Content, Text etc.:

Das bekannteste Beispiel dürfte NYTs TimesSelect sein. Das Bezahlarchiv, dessen Paywall aufgegeben wurde. Direkte Bezahlung konnte gegen die Werbeeinnahmen nicht bestehen. Nicht (unbedingt) weil in den USA nur Geizkragen unterwegs sind, sondern auch vielleicht weil Texte hinter einer Paywall niemand sieht. Woher soll man den von den Texten wissen? Ich zitiere mich selbst:

Seiten mit eingeschlossenem Bezahlcontent sind wie kleine, äußerst triste Inseln, getrennt durch das Bezahlmeer von einem pangäagleichen Kontinent, auf dem eine riesige, nicht endenwollende Freecontentparty stattfindet.

Wer glaubt, dass irgendwann erfolgreich wieder Texte im Netz hinter verschlossenen Türen erfolgreich verkauft werden, hat seinen Verstand verloren.

Webapplikationen, SocialNetworks etc mit Freemium:

In meinem Artikel zur Entscheidungsfindung zur Differenzierung zwischen kostenlosen Basis- und kostenpflichtigen Premiumfunktionsbündeln für Internetstartups hatte ich zu diesem Problemfeld eine einfache Frage formuliert:

Würde die eigene Seite auch eine lebhafte Community anziehen, wenn es nur die Funktionen gäbe, die für die kostenlosen Basisaccounts freigeschaltet sind?

Diese Fragestellung spiegelt indirekt für Social Networks genau die von Markus identifizierte und oben zitierte Wertschöpfungsausdifferenzierung wieder.

Musiker, Künstler allgemein; Selbständige mit Blogs:

Vor ein paar Wochen ging durch das (englischsprachige) Web Kevin Kellys 1000 Fans-Prinzip. Die Grundaussage:

1000 Fans, und Du kannst davon leben.

Diese 1000 Fans kommen natürlich nicht von irgendwoher. Kelly meint das eher folgendermassen: Erzeuge eine hohe Anhängerschaft. Entweder indem Du Deine Musik zum kostenlosen Download anbietest, bloggst, o.ä.

Dann entsteht innerhalb dieser großen Anhängerschaft ein enger fanatischer Zirkel, der auch bereit ist, beispielsweise Deine Bücher zu kaufen. Auch wenn diese in Form von Blogtexten oder PDF-files kostenlos erhältlich sind. usw.

Der Punkt liegt hier nun darin, so viele 'Anhänger' wie möglich zu erzeugen, weil aus diesen sich die Teilmenge der '1000 Fans' gründet. (Nicht unähnlich dem Freemium-Modell)

Der Punkt ist hier wie auch bei den anderen Beispielen: Der Anbieter im Web verliert umso mehr, je rigider er für seine Dienste abkassiert, weil er sie so abschottet. Denn in Großteilen unabhängig von der Art des Produkts bekommen die Angebote die Aufmerksamkeit, die den Zugang so vielen Nutzern, Hörern, Kunden, Konsumenten so einfach wie möglich machen. Und diese Angebote sind es letztlich auch, die damit die meisten Monetarisierungsmöglichkeiten anschließend erhalten.

Oder wie Markus ausführt:

Systemwert wächst (bei Anwendungen die die Dynamik richtig nutzen) mit jedem User exponentiell (egal jetzt ob im strengen Sinn exponentiell oder nicht, jedenfalls um ein vielfaches stärker als der Individualwert) – also ist gratis in den allermeisten Fällen Voraussetzung dafür Wertkreation an anderer Stelle stattfinden zu lassen.

Wir sehen: Im Internet kann es sich für sehr viele unterschiedliche Parteien auszahlen, ihre 'Produkte' oder Teile davon kostenlos wegzugeben.

Weitere Gründe: Kostenseite und weitere strukturelle Eigenheiten des Netzes

Nicht zuletzt auch, weil die Kosten für einen weiteren Nutzer im Web oft so gering sind, dass sie nicht ins Gewicht fallen. Ein Großteil der 'Herstellungskosten' für Webappanbieter (also etwa Hosting des SocialNetworking-Profils, verursachter Traffic pro User etc.) spielt bei der Entscheidung im laufenden Betrieb also keine Rolle (Ausnahmen sind beispielsweise im Videobereich).

Strukturell : Die Transaktionskosten, besonders die Informationsbeschaffungskosten, sind mit dem Internet so radikal gefallen, dass es die Wirtschaft so nachhaltig verändern wird, wie wir es uns jetzt erst nur ansatzweise ausmalen können. Und diese radikal niedrigeren Transaktionskosten treffen nicht nur auf Marktteilnehmer mit nur im Internet konsumierten Produkten zu, sondern auf alle, die sich auf irgendeine Weise das Internet zu nutze machen können. Nur hier, bei den Anbietern im Web, trifft diese veränderte Kostenstruktur mit voller Breite und zeitlich als erste.

Die niedrigen Transaktionskosten sorgen für eine größere Durchlässigkeit und allgemein höhere Dynamik und Potential für organisches Wachstum qualitativ hochwertig angesehener Produkte.

Diese Verschiebung bei den Transaktionskosten hat noch ganz andere Auswirkungen über die wir an anderer Stelle einmal reden werden (kleinere Unternehmen, die es mit Konzernen aufnehmen können; verstärktere Kollaborationen über AdHoc-Netzwerke und als virtuelle Unternehmen etc.)

Besonders intensiv und hervorragend beschäftigt sich Umair Haque mit dieser Thematik auf Bubblegeneration und im Harvard Business Media Lab . Hier deswegen nochmal eine erneute Leseempfehlung in diese Richtung.

Problemfelder

Das Ganze ist keine Lizenz zum Gelddrucken. Im Gegenteil. Unternehmen, die diese Mechanismen für sich nutzen wollen, sollten sich im Klaren sein, dass sie sich auf einen Markt begeben, der eben erst beginnt, sich zu finden und dessen Spielregeln sich ausgesprochen schnell ändern können. Es gibt außerdem noch keine (mir bekannte) tiefergehende Literatur zu den neuen Mechanismen des Internetmarktes. (Allerdings ist es aber auch nicht Raketentechnik.)

Außerdem: Der rosa Elefant im Raum ist Google .

Google, das, als großer Konzern, quasi alles, was es im öffentlich zugänglichen (und damit indizierbaren) Netz erzeugen bzw. unterstützen kann, ebenso wie alles, das Daten des Nutzers anhäuft, gleichzeitig als Steigerung und Verbesserung des eigenen Kerngeschäfts betrachten kann. Freie Zugänglichkeit für den Suchmaschinenindex, die Daten für die Werbemaschine.

Das und eine gefüllte Kriegskasse erlauben Google, Dienste kostenlos in einer Größenordnung anzubieten, wie es sich andere, besonders Startups, nicht erlauben können.

Bei einigen Angeboten, Beispiel GoogleAnalytics, ist der Gedanke an Dumping nicht so abwegig. Hier entsteht durch das kostenlose Anbieten kein merhwerterzeugender Vorteil für Google außer dem klaren Signal an mögliche Konkurrenten: Wer sich mit uns anlegt, bekommt einen aggressiven Preiskampf frei Haus.

Davon abgesehen hat man als Anbieter eines kostenpflichtigen Angebots in der Regel immer folgendes Problem: Man verliert nicht nur in der Preisdimension sondern auch, wenn beim Konkurrenten die selbst verstärkende, oben besprochene Nutzerkomponente zugreift, noch in der Qualitätsdimension. Damit hat man mittel- bis langfristig gar keine andere Wahl, als sich zu fügen. Was das für den Markt und das gesamte Ökosystem bedeutet, wird sich noch zeigen. Grundsätzlich sehe ich die gesellschaftliche Gesamtsituation unter dem Strich aber damit eher im positiven Bereich.

Fazit

Dieses gesamte Problemfeld ist relativ umfangreich und wir kratzen hier logischerweise erst an der Oberfläche.

Trotz der Länge dieses Artikels und der am Anfang verlinkten Artikel, ist das somit erst der Anfang einer Diskussion.

Wir sprechen hier immerhin von den möglichen Geschäftsmodellen in einem ganzen Wirtschaftszweig, der zwar an gesellschaftlicher Relevanz permanent gewinnt aber in vielerlei Hinsicht noch in den Kinderschuhen steckt.

Trotzdem kann man davon ausgehen, dass die von Markus angesprochenen, sich selbst verstärkenden Effekte durch die von Nutzern verursachte Mehrwerterzeugung, in Verbindung mit anderen Aspekten, wie etwa der veränderten Kostenstruktur im Netz und der veränderten Situation etwa der Transaktionskosten dazu führen werden, dass im Netz diejenigen Anbieter die großen Gewinner sein werden, die erfolgreich kostenfrei diese Aspekte nutzende Produkte feilbieten können.

Nur noch ein paar abschließende Anmerkungen:

Man verstehe mich nicht falsch. Ich bin auch kein Vertreter der "Geiz ist geil"-Fraktion. Wie ausgeführt, ist das nur eine Frage des Marktes und seiner Struktur.

Letztenendes entscheidet der Markt. Das gilt auch für Webapplikation-Anbieter, die nicht genügend Mehrwert schaffen können. Keiner davon hat Anspruch auf Welpenschutz.

Märkte sind Angebot und Nachfrage (naja, neoklassisch plakativ; es gibt da noch mehr, soll aber hier nicht das Thema sein). Sollten also die Mehrwertgenerierung und damit indirekt entstehende Einkommenströme die Kosten der Bereitstellung eines kostenlos angebotenen Hauptproduktes nicht kompensieren, würden weite Teile des heutigen Umsonstnetzes sich von allein bereinigen. Ich möchte aber anmerken, dass ich nicht glaube, dass das in dem Maß passieren wird, das viele der Dinge, die man heute kostenlos machen kann, in Zukunft wieder Geld kosten werden.

Wie auch immer die Entwicklung aussehen wird, sich über die Preise eines unregulierten Marktes, der weder von einem Monopol noch einem Oligopol bestimmt wird, zu beschweren -ob nun als Kunde oder Anbieter-, halte ich für wenig sinnvoll.

Denn wie einer meiner VWL-Dozenten in breitem Wiener Akzent immer zu sagen pflegte:

"Es gibt keinen gerechten Preis."

Ein Produkt ist genau so viel wert, wie jemand bereit ist, dafür zu bezahlen.

Und überhaupt: niemand hat -seit der dot.com Blase.. - behauptet, dass das Erzeugen Kaufwilliger einem im Netz auf einmal in den Schoß fällt.

Deal with it or go home.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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