Basic Thinking schneidet den RSS-Feed ab, um Geld mit Werbung auf der Site zu verdienen, so zumindest die simple Rechnung. Das hat zu empörten Lesern geführt, was wiederrum eigenartigerweise zu empörten Bloggern anderenorts führte. Auf YuccaTree etwa steht:
Und da wundert sich noch jemand, dass Journalisten/Bloggern ihre Arbeit immer weniger Spaß macht? Bei solchen Lesern, die alles kostenlos wollen und sich noch nicht einmal auf einen kleinen Kompromiss einlassen? Ich kann’s nicht fassen!
Franz Patzig meint:
Liest man sich allerdings die Kommentare durch, wollen gleich wieder eine ganze Menge Leser der Seite den Rücken kehren. Die Reaktionen finde ich beschämend. Guter Content ist scheinbar nichts wert.
Die Empörung der Blogger mutet ein bisschen an wie die Empörung der Vertreter der großen Presseverlage, die von der 'Umsonstkultur' faseln, wenn sie eigentlich die Inkompatibilität ihres Geschäftsmodells mit den neuen Rahmenbedingungen erleben und sich darüber ärgern, dass sie nicht die Marktmacht haben, die sie gern hätten.
Grundsätzlich: Man sollte Angebote (Produkte, Dienstleistungen etc.) immer aus Sicht des Kunden, Konsumenten, Leser etc. denken. Mehr noch in einem Käufermarkt, in dem viele Anbieter um im Vergleich zu ihnen wenige Abnehmer buhlen müssen. Die Aufmerksamkeitsökonomie, die im Internet entsteht, ist von der Verteilung der Machtverhältnisse her ein Käufermarkt.
In Käufermärkten verschiebt sich die Marktmacht sehr stark hin zum Käufer. Neben den digitalen Kostenstrukturen ist dies unter anderem der Grund für das, was Laien abschätzig und missverstehend 'Umsonstkultur' nennen: aus kompetitiven Gründen sehr niedrige Preise, die oft bis auf Null gehen.
Was heißt das? Die Inanspruchnahme praktisch jeden Angebots kostet Aufmerksamkeit. Jeder Anbieter muss im Sinne seines eigenen Erfolgs darauf bedacht sein, ein möglichst nutzenbringendes, aber gleichzeitig auch möglichst "aufmerksamkeitssparsames" Angebot bereitzustellen.
Abgeschnittene Feeds kosten dem Feedleser mehr Aufmerksamkeit als Volltextfeeds.
Jürgen Vielmeier auf YuccaTree schreibt:
Einfach nur einmal mit der Maus klicken und die Seite im Browser lesen. Das ist alles.
So einfach ist es nicht. Ein Feedleser liest am Tag mehr als einen Artikel. Das Klicken bedeutet mehr Aufwand pro Artikel. Täglich. Es ist nicht ein Klick. Es sind Dutzende, oder gar Hunderte Klicks täglich, wenn alle Artikel im Feed nur angerissen wären und man sie lesen wöllte.
Das erhöht den Aufwand für den Informationskonsum erheblich. Und deswegen bevorzugt der Markt Volltextfeeds.
Natürlich liest nicht jeder die Artikel im Feedreader. Manche nutzen ihn nur für die Newsübersicht und lesen die Artikel dann auf der jeweiligen Seite. Die meisten Feedleser aber, dass kann jeder Online-Publisher mit Auswertungstools bestätigen, lesen die Artikel wenn möglich aber nur im Feedreader. Für diese Leser bedeuten abgeschnittene Feeds einen erheblichen Mehraufwand, der sich in weniger Effizienz äußert.
Abgeschnittene Feeds für Feedleser: Es ist in etwa wie wenn wann man jeden Artikel der Zeitung einzeln freirubbeln müsste, weil die Zeitung ihr Geld mit den Artikel freirubbelnden Lesern verdient. Der Verleger versucht das entweder damit zu rechtfertigen, dass ihm kein anderer Weg zum Geldverdienen einfällt, oder er sagt, dass viele Leser das Freirubbeln gut finden. Beide Argumente trifft man oft an. Beide sind eher schwach.
Das Geschäftsmodellargument unterstellt die falsche Prämisse, dass Feeds nicht monetarisierbar sind (es ist heute noch schwerer, aber nicht unmöglich. Man kann Werbung zum Beispiel ebenso im Feed anzeigen. Blogs müssen außerdem nicht zwangsläufig über traditionelle Werbung refinanziert werden). Die weitere Unterstellung ist, dass ein Volltextfeed in jedem Fall zu weniger Pageviews auf der Site führen. Auch das ist falsch, weil mit den attraktiveren Volltextfeeds die Stammleserschaft schneller wächst.
Das zweite Argument ist noch schwacher: Allen eigenen Kunden etwas aufzwingen, weil eine kleine Teilmenge freiwillig ein einfacher monetarisierbares Verhalten an den Tag legt, ist kurzfristig als Begründung ein Strohmannargument und vor allem aus langfristiger Sicht wenig sinnvoll. Denn im worst case verliert man bestehende Leser, aber immer wird das Wachstum darunter leiden, sprich: weniger neue Leser.
Dass die Leser sich darüber beschweren, ist ganz normal. Die Aufmerksamkeitsökonomie online ist ein Käufermarkt. Auch wenn das nicht jedem bewusst ist, so verhalten sich doch sehr viele Menschen unbewusst entsprechend. So ist die Aussage "Dann lese ich eben andere Blogs" ein Ausdruck genau dessen. Und die Aussage ist nicht unverschämt, im Gegenteil: sie ist der kompetitiven Situation und Verteilung der Machtverhältnisse angemessen. (Dass das wiederrum Bloggern nicht schmeckt, ist wenig verwunderlich.)
Denn: Es existieren unzählige Blogs mit Volltextfeeds, die um die Aufmerksamkeit der Leser buhlen. Das heißt für den, der seine Feeds abschneidet: Er schafft höhere Kosten der Nutzung des Angebots für einen steigenden Teil der Leserschaft. Das wiederrum bedeutet, dass man mit abgeschnittenen Feeds für das gleiche Wachstum wie mit Volltextfeeds weitaus besseren Content benötigt. Denn die höheren Kosten müssen mit höherem Nutzen gerechtfertigt werden.
Wenn die heutige Monetarisierung die Opferung des späteren Wachstums rechtfertigt, kann man den Feed ändern und die Inhalte beibehalten. Aber man sollte die nicht unerheblichen Opportunitätskosten einer solchen Entscheidung im Blogkontext nicht vergessen.
Ich lese Basic Thinking nicht, weil die Themenauswahl dort mich nicht reizt, aber so weit ich das sehen kann, scheint der einzige heutige Unique Selling Point der dort gepflegte verkrampft lockere Schreibstil zu sein. Wird das ausreichen, damit die Leser nicht auf andere Blogs ausweichen, die Volltextfeeds anbieten und die gleichen News vielleicht ebenso schnell veröffentlichen? Man wird sehen.
Erfahrungswerte aus der Vergangenheit haben gezeigt, dass es sehr selten passiert, dass viele Leute einen Feed abbestellen. Gleichzeitig weiß man aber auch aus Erfahrung, dass die Klickraten von Volltextfeeds und von abgeschnittenen Feeds auf die Site selbst ungefähr gleich hoch sind. Das heißt, die meisten Leser klicken nicht mehr durch, sie lesen einfach die Artikel nicht mehr komplett (auch hier wieder: der Grund liegt schlicht im höheren Aufwand bei gleichbleibendem Nutzengewinn. Damit wird der Gesamtnutzen, den der Leser unter dem Strich herausbekommt, weniger.). Die Folge: sie kommentieren seltener und teilen die Artikel auch seltener auf den einschlägigen Social-Media-Angeboten.
Neue, potentielle Feedleser werden sich sehr genau überlegen, ob sie einen abgeschnittenen Feed abonnieren. Er ist schlicht weniger attraktiv. Ohne exklusive oder zumindest sehr gute Angebote wird jede Erschwernis beim Konsum, die man den eigenen Kunden zumutet, zu einem weiteren, starken Hindernis für das Wachstum. Denn so fehlen dann die neuen Stammleser. Die, die andere auf die Publikation hinweisen, Artikel verbreiten und sich an der Diskussion beteiligen.
Zu Volltextfeeds und warum sie für den Publisher sinnvoll sind, kann man noch mehr sagen. Aber ich finde es müßig, das 2010 alles zu wiederholen. Ich habe bereits viel zu viel zu diesem eigentlich längst ausdiskutierten Thema geschrieben. Siehe für weitere Ausführungen hierzu:
- Ein Erfahrungsbericht von 2006(!), wie der Wechsel von abgeschnittenen Feed zu Volltextfeed zu sehr viel stärkerem Wachstum führte
- TechDirt argumentiert 2007, warum Volltextfeeds zu mehr Pageviews führen
- Jeff Jarvis 2008 über Volltextfeeds
- und last not least Scott Karp zum Thema
Abschließend möchte ich festhalten, dass ich persönlich die Entscheidung von Basic Thinking gut finde. Bedeutet sie doch unter dem Strich potentiell mehr artikelhungrige Leser für den Rest von uns mit Volltextfeeds.
Update:
Felix Schwenzel umschreibt den gleichen Standpunkt, allerdings besser, weil leichter verständlich:
wenn ich etwas interessant finde, bin ich gerne bereit mehr, viel mehr zeit zu investieren. letztendlich ist das in der analogen, der papierwelt nicht anders. wenn sich ein verleger entscheiden würde die überschriften auf der titelseite in der gleichen schriftgrösse wie den fliesstext zu setzen und auf fotos oder illustrationen zu verzichten, damit die leser die artikel aufmerksamer lesen und nicht nur die seite nach interessantem scannen, verliert er aufmerksamkeit, statt sie zu gewinnen. wer es dem leser schwer macht, verliert leser. wer den lesern vorschreiben möchte wie sie etwas konsumieren sollen, verliert leser. wer den lesern den eindruck vermittelt sie seien undankbar, verliert leser und sympathien.
Er verweist auch auf einen lesenswerten Text von John Gruber zum Thema, den ich heute früh schon in den Links hatte, auf den ich hier aber noch einmal verweisen möchte.