Was haben Einkaufszentren, Kreditkartensysteme, Spielkonsolen, Tageszeitungen, technische Standards wie VHS und Blu-ray, Betriebssysteme, Appstores, eBay, Facebook und Twitter gemeinsam?
Sie alle sind zweiseitige Märkte.
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Was sind zweiseitige Märkte?
Zweiseitige Märkte finden auf von einem oder mehreren Unternehmen angebotenen Plattformen statt, auf welchen zwei unterscheidbare Nutzergruppen zusammen kommen. Die Inanspruchnahme der Plattform durch die zwei Nutzergruppen wird durch zweiseitige, indirekte Netzwerkeffekte beeinflusst. Das bedeutet, je mehr Teilnehmer einer Gruppe die Plattform einsetzen, desto attraktiver wird die Plattform für die Nutzer der anderen Gruppe und umgekehrt.
Das erste Mal wurden zweiseitige Märkte von Jean-Charles Rochet und Jean Tirole 2003 formuliert (in Rochet, Jean-Charles / Tirole, Jean, Platform Competition in Two-sided Markets, in: Journal of the European Economic Association, Vol. 1, Nr. 4, Juni 2003, S. 990-1029).
Aber machen wir zunächst einen Schritt zurück und schauen uns erst einmal an, was Netzwerkeffekte konkret sind.
[Anmerkung zum Begriff der zweiseitigen Märkte: In der Literatur wird abwechselnd von zweiseitigen Märkten (engl. „twosided markets“), mehrseitigen Märkten (engl. „multisided markets“) oder zweiseitigen Plattformen (engl. „twosided platforms“) geschrieben. Ich habe mich für „Zweiseitige Märkte“ entschieden, weil
- sich alles anschaulicher anhand einer Zweiseitigkeit beschreiben lässt, auch wenn vor allem im High-Tech-Bereich oft mehr Seiten involviert sind (tatsächlich werden wir in einem späteren Artikel sehen, dass zum Beispiel Facebook und Twitter mindestens drei Seiten bedienen) und
- eine Unterscheidung zwischen der zugrundeliegenden Plattform und dem auf ihr stattfindenden Markt notwendig ist.
Zusätzlich wird in der entsprechenden akademischen Literatur mehrheitlich von „twosided markets“ gesprochen.]
Netzwerkeffekte
Wirtschaftszweige im Informationsbereich werden maßgeblich von Netzwerken bestimmt und geformt. Das bestimmende Element von Netzwerken sind Netzwerkeffekte.
„Virtuelle“ Netzwerke ähneln physischen Netzwerken wie das Telefonnetz oder das Eisenbahnnetz. Nutzer des gleichen Betriebssystems gehören zum gleichen Netzwerk. Das Gleiche gilt für Nutzer von Technologien wie CD-/DVD-Laufwerken oder Spielkonsolen. Teilnehmer befinden sich im gleichen Netzwerk, wenn sie Komponenten des Systems verwenden.
Alle Netzwerke haben in der Regel ein gemeinsames Merkmal: Solang alle anderen Umstände gleich bleiben, steigt der Nutzen für den einzelnen Teilnehmer je mehr zusätzliche Teilnehmer das Netzwerk nutzen. Dieses Merkmal kann man als Netzwerkeffekte, Netzwerkexternalitäten oder positive Skaleneffekte auf Nachfragerseite bezeichnen.
In den in dieser Artikelserie betrachteten Fällen äußern sich die Netzwerkeffekte positiv, also nutzensteigernd. Netzwerkeffekte können aber auch negative Auswirkungen hervorrufen, sprich sich als Kosten bemerkbar machen. Dann sinkt der Nutzen für den Einzelnen je mehr Akteure ein Angebot nutzen (zum Beispiel übermäßig viel Werbung, die auf Endkonsumentenseite als negativ empfunden wird, wäre ein indirekter negativer Netzwerkeffekt).
Netzwerkeffekte können unterschiedlich stark auftreten. Auswirkungen auf ihre Ausprägung hat die Höhe der Wechselkosten bei den Mitgliedern der Netzwerke und die Möglichkeit von Multi-Homing, auf das ich in einem späteren Artikel gesondert eingehen werde. In ihrer stärksten Form führen Netzwerkeffekte zu Winner-takes-it-all-Märkten, und das heißt damit zu Märkten, die von ihrer Struktur her zur Monopolbildung neigen.
Da der bei zunehmender Größe des Netzwerks stärker werdende Effekt sich damit auch gleichzeitig selbst verstärkt, spricht man in diesem Zusammenhang auch oft von positivem Feedback.
Direkte Netzwerkeffekte
Wenn im Zusammenhang von Social Networks wie StudiVZ und Facebook oder auch bei Twitter von Netzwerkeffekten die Rede ist, dann sind damit gemeinhin positive, direkte Netzwerkeffekte gemeint.
Direkte Netzwerkeffekte kann man auch als symmetrische Komplementaritäten bezeichnen (siehe z.B. Varian, Hal R., Competition and Market Power, in: Varian, Hal R. / Farrell, Joseph / Shapiro, Carl, The Economics of Information Technology, An Introduction, 4th printing, Cambridge/MA 2008, S.1-47., S. 42).
Je mehr Anwender ein Netzwerk verwenden, desto nützlicher wird es für alle Beteiligten. Ein Faxgerät ist am nützlichsten, wenn viele andere Faxgeräte damit ansprechbar sind. Das Gleiche gilt für Telefone, die am gleichen Telefonnetz angeschlossen sind (oder in Netzen, bei denen die Teilnehmer von einem Netz in das andere kommunizieren können).
Ebenso gilt das natürlich für Social Networks. Je mehr Personen auf Facebook sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass meine Freunde dort auch sind, folglich wird das Angebot attraktiver für mich, und damit auch gleichzeitig attraktiver für meine Freunde.
Je stärker die Penetration eines Marktes ist, sprich je größer das Angebot wird, desto stärker macht sich der direkte Netzwerkeffekt bemerkbar. Der zusätzliche Nutzen steigt mit der Gesamtgröße. Eine Folge dieses Umstands sind die exponentiellen Wachstumsraten, die man bei erfolgreichen Webangeboten beobachten kann.
Jede Website, bei der es um die Vernetzung von Mitgliedern geht – man nenne es Social Media -, wird mindestens von einem direkten Netzwerkeffekt getrieben: Entweder positiv, weil viele Mitglieder auf der Site sind, oder negativ, weil eine konkurrierendes Angebot größer ist.
Indirekte Netzwerkeffekte
Indirekte Netzwerkeffekte hängen nicht direkt von der Größe der Gruppe des betroffenen Nutzers auf der Plattform ab. Sie sind, allgemein ausgedrückt, ein Nebenprodukt der Tatsache, dass viele Akteure ein Netzwerk nutzen.
Im Kontext der zweiseitigen Märkte entstehen indirekte Netzwerkeffekte aus dem Umfang, in dem das Netzwerk von einer anderen Nutzergruppe genutzt wird. Das heißt, Mitglieder der Nutzergruppe A gewinnen einen Zusatznutzen daraus, dass mehr Mitglieder der Nutzergruppe B auf dem Netzwerk sind.
Ein Beispiel: Einem Nutzer von Windows (Nutzergruppe A) entsteht ein Zusatznutzen, wenn möglichst viele Entwickler (Nutzergruppe B) für das Betriebssystem seiner Wahl entwickeln. Je mehr Entwickler Programme für Windows entwickeln, desto größer wird die Auswahl für die Endkunden von Windows (Nutzergruppe A) und damit steigt ihr Gesamtnutzen an Windows.
Zweiseitige Märkte allgemein
Das wesentliche Merkmal zweiseitiger Märkte sind gegenseitige, indirekte Netzwerkeffekte. Auf zweiseitigen Märkten treffen (mindestens) zwei unterscheidbare Gruppen von Akteuren aufeinander, deren Nutzen an der Plattform steigt, wenn die jeweils andere Gruppe auf der Plattform größer wird.
Nehmen wir das Beispiel von eben noch einmal auf: Betriebssysteme wie Windows sind zweiseitige Märkte. Warum: Weil, wie eben beschrieben, die Attraktivität des Betriebssystems für den Endnutzer (Gruppe A) steigt, wenn viele Programme dafür zur Verfügung stehen. Gleichzeitig steigt die Attraktivät des Betriebssystems für die Entwickler (Gruppe B), wenn es von sehr vielen Endnutzern (Gruppe A) und damit potentiellen Kunden eingesetzt wird.
Microsoft muss also einen Weg finden, wie es beide Gruppen dazu bringt, das Betriebssystem einzusetzen, weil erst dann die Plattform attraktiv und damit erfolgreich wird.
Weitere Beispiele für zweiseitige Märkte mit den entsprechenden Gruppen:
- Einkaufszentren: Läden, Kunden
- Spielkonsolen: Spiele-Entwickler, Spieler
- Kreditkartensysteme: Kreditkarte akzeptierende Läden, Kreditkartenbesitzer
- Werbefinanzierte Medien: Werbende, Konsumenten (hier können negative Externalitäten auftreten, wenn die Werbung als störend wahrgenommen wird)
- Blu-ray: Anbieter von Inhalten auf Blu-ray-Discs, Besitzer von Blu-ray-Playern
In allen Fällen profitiert jede Gruppe davon, wenn die jeweils andere Gruppe die Plattform einsetzt.
Der Provider der Plattform internalisiert die Externalitäten (die Netzwerkeffekte) über Architektur der Plattform und vor allem über die Preisstrategie. Der Provider muss für einen Erfolg der Plattform sicherstellen, dass die Netzwerkeffekte und verschiedenen Preissensitivitäten in die Kalkulation seines Angebots einfliessen.
Aus den unterschiedlich starken Netzwerkeffekten für die Gruppen folgen unterschiedliche Preissensitivitäten. Das macht sich dann fast immer darin bemerkbar, dass die zahlungswilligere Gruppe die andere Gruppe subventioniert.
Das ist beispielsweise der Grund, warum werbefinanzierte Medien wie Tageszeitungen mit einem Preis unterhalb der Kosten verkauft werden. Auch Spielkonsolen werden oft zumindest in der Einführungsphase mit Verlust verkauft. Auch die Tatsache, dass vieles im Web für Endkonsumenten kostenfrei ist, lässt sich darauf zurückführen. Zu Preisstrategien von Plattformprovidern folgt später noch ein gesonderter Artikel.
Nicht immer ist die Unterscheidung der verschiedenen Nutzergruppen offensichtlich. Wir werden in einem späteren Artikel noch sehen, dass Plattformprovider auch manchmal die Gruppen nicht erkennen und eine suboptimale Preisstrategie fahren, weil sie alle Nutzer gleich behandeln.
Wer ein System mit zweiseitigen, indirekten Netzwerkeffekten aufbauen will, steht vor einem Henne-Ei-Problem. Gehen wir von zwei Nutzergruppen aus, A und B:
Der Nutzen des Systems für Gruppe A entsteht nur, wenn Gruppe B an Bord ist. Das Gleiche gilt umgekehrt für Gruppe B wenn zweiseitige indirekte Netzwerkeffekte vorliegen. In diesem Fall wartet jede der Seiten darauf, dass die andere Seite die Plattform annimmt.
Zweiseitige Märkte im Internet
Werbefinanziert
Sehr viele Internetangebote sind zweiseitige Märkte. Immer, wenn ein Dienst werbefinanziert ist, entsteht auf ihm automatisch ein zweiseitiger Markt.
Social Media und Co.
Ob werbefinanziert und/oder mit APIs: Soziale Netzwerke oder andere auf die Vernetzung zwischen den Endnutzern setzende Internet-Plattformen zeichnen sich neben den zweiseitigen, indirekten Netzwerkeffekten zusätzlich durch einen starken direkten Netzwerkeffekt auf der Seite der Endnutzer aus. Das ist ausgesprochen wichtig, wie wir später noch sehen werden.
Plattformen mit APIs
Wenn Internet-Plattformen eine API (Programmierschnittstelle) einführen, werden sie ebenfalls zu einem zweiseitigen Markt: Auf der einen Seite die Entwickler, die auf die API setzen. Auf der anderen Seite die Endnutzer, die vom reichhaltigen Ökosystem profitieren.
Einige konkrete Beispiele:
- Facebook Plattform und Facebook Connect: Anbieter von Apps wie FarmVille und Webpublisher auf der einen Seite, Endnutzer auf der anderen Seite.
- Twitter: Wohl neben Facebook das bekannteste Beispiel für eine populäre API im Internet. Anbieter von Twitterclients auf der einen und Endnutzer auf der anderen Seite dürften in diesem Ökosystem die stärksten zweiseitigen, indirekten Netzwerkeffekte verspüren.
- Apples Appstore: Auch der Appstore für iPhone, iPod Touch und iPad ist ein zweiseitiger Markt. Je mehr Endnutzer diese Geräte einsetzen, desto attraktiver wird das System für die Entwickler, was sich wiederrum in einem Angebot äußert, dessen Vielfalt ein wesentlicher Erfolgsfaktor auf Endnutzerseite ist. Der Appstore von Apple ist aktuell ein Paradebeispiel für einen florierenden zweiseitigen Markt.
Eines haben all diese Beispiele gemeinsam: Sie sind auch ohne die Zusatzangebote von Drittanbietern nutzbar. Das ist notwendig: Damit der zweiseitige Markt funktioniert, muss der Provider wie oben beschrieben eine Henne-Ei-Problem lösen. Wie auf dem Desktop die Betriebssysteme, die von Haus aus alle mit Programmen ausgeliefert werden, die Grundfunktionen erfüllen, können auch die Internetplattformen genutzt werden, ohne dass der Endnutzer auf Drittanbieter setzen muss.
Dass er es bei den erfolgreichen Angeboten kann, sichert ihnen weiteres Wachstum.
Auch addon-fähige Software wie die Browser Firefox, Chrome und andere sind zweiseitige Märkte: Je mehr Addons, desto nützlicher werden sie. Je nützlicher sie sind, desto mehr Menschen setzen die Browser ein.
Zunehmende Komplexität
Das bringt uns gleich zu einem Punkt, der in den kommenden Jahren an Bedeutung zunehmen wird: Zunehmende Komplexität im High-Tech-Bereich.
Plattformen können auf andere Plattformen aufsetzen oder mit diesen verbunden sein. Dafür gibt es unterschiedlichste Beispiele: Facebook hat eine eigene Applikation für das iPhone. Die iPhone-Applikation Boxcar ermöglicht anderen, auf ihre Push-Funktionalität zu setzen und wird damit selbst zu einem zweiseitigen Markt. Der Twitterclient Seesmic ist Drittanbieter im Twitter-Ökosystem. Mit der kommenden addon-fähigen Version wird Seesmic selbst zu einem zweiseitigen Markt.
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Dieser Artikel hat die Grundlagen zweiseitiger Märkte allgemein und im Internet behandelt. In den kommenden Artikeln werden wir uns mit Preisstrategien von Plattformanbietern, Geschäftsmodellen, den Auswirkungen von Multihoming und weiteren Aspekten von zweiseitigen Märkten im Internet auseinandersetzen.
Dieser Artikel ist Teil der Serie „Zweiseitige Märkte: Die ökonomische Theorie hinter Facebook, Twitter und Co.“
Alle Artikel der Serie findet man hier.
Tharben says
Wir haben in der Schule gelernt, dass Wettbewerb (Polypol) die Grundlage funktionierender Marktwirtschaft ist. Auf der anderen Seite sehen wir Netzwerkeffekte, die umso stärker werden, je weiter man sich einem Monopol nähert. Ein Monopol aber ist das Gegenteil von Wettbewerb. Was mich also an „zweiseitigen Märkten“ stört, ist der inherente Hang zur Konzentration.
marcel weiss says
Indirekte Netzwerkeffekte führen nicht zwangsläufig zu Monopolen. Zweiseitige Märkte sind nicht immer Monopole, wie man an der Geschichte der Spielkonsolen sehen kann. Das liegt unter anderem daran, dass Plattformprovider verschiedene Preisstrategien fahren können und damit unterschiedliche Gruppen verschieden ansprechen können.
Kommen direkte Netzwerkeffekte auf einer Seite dazu, tendiert der Markt allerdings zu Monopolen. Das muss aber nicht zwangsläufig etwas schlechtes sein. In ein paar Papers wird argumentiert, dass Monopole in zweiseitigen Märkten zu einem Pareto-Optimum führen. 'Lediglich' die Höhe der Zugangsgebühren wird höher sein als in einer Situation mit konkurrierenden zweiseitigen Märkten.
Tharben says
Bei Spielkonsolen und Betriebssystemen ist das Muster identisch: Je mehr Anwender eine Plattform hat, desto mehr Hersteller entwickeln für diese Plattform, desto mehr Anwender hat diese Plattform.
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In all diesen Beispielen ist ein wesentlicher Punkt die Schaffung von Standards. Standards sind der Schlüssel zur Errichtung eines Monopols. Siehe beispielsweise Microsoft Office, Adobe Acrobat. Will man die Entstehung von Monopolen nicht riskieren, muss man auf offene Standards setzen. Somit kann man von Netzwerkeffekten profitieren, schließt aber die Gefahr von Monopolen aus.