23. Apr. 2010 Lesezeit: 7 Min.

Facebooks Ausweitung der Kampfzone

Was Facebook auf seiner diesjährigen f8-Konferenz angekündigt hat, ist das Wichtigste, das dieses Jahr über das Internet kommen wird. Eine Analyse.

Facebook weitet seinen Griff auf das Web, der mit Facebook Connect begann, aus. Die Wörter, die man im Zusammenhang mit Facebooks Bekanntgaben oft liest, sind 'ambitioniert', 'transformativ' und 'unheimlich'. Zu recht.

Facebooks Ambitionen sind hoch. Sehr hoch. Man will eindeutig nicht nur in der Google-Liga spielen, sondern dieses sogar in seine Schranken verweisen. Die Chancen dafür stehen sehr gut.

Die Neuerungen

Sie lassen sich in 3 Gruppen zusammenfassen:

1. Social Plugins

Widgets und Skripte, die sich sehr einfach in Websites integrieren lassen. Darunter fällt der Like-Button, der nun webweit einbindbar ist. Je nach Seite können auch Objekte 'geliket' und damit mit dem Facebook-Profil verbunden werden. Social Plugins werden aktuell über iFrames eingebunden. Hier die offizielle Übersichts-Seite.

2. Open Graph Protocol

Die Social Plugins bauen auf dem Open Graph Protocol auf. Das Open Graph Protocol besteht hauptsächlich aus Metadaten, die für eine bessere Verzahnung zwischen der Website und Facebook sorgen, sprich die Tätigkeiten von Facebook-Usern auf anderen Websites besser für Facebook klassifizierbar machen sollen. Beispiel: Man kann auf IMDb bei einem Film auf den Like-Button klicken und Facebook legt diesen Film dann im Profil direkt unter den "bevorzugten Filmen" ab.

Wichtig hierbei: Das Open Graph Protocol unterstützt das OWF Agreement. Das heißt, andere Plattformen können ebenfalls auf das Protokoll aufsetzen:

Basically, it means that the new Open Graph Protocol announced by Facebook yesterday is under a completely open license agreement that other platform creators can adopt, use, and freely distribute without worry of patent. As I said, in many ways it is similar to the GPL, in that platforms created under this agreement are intended to be re-used and distributed across the web, keeping the license in tact.

Damit dürfte klar sein, dass das Open Graph Protocol zum Defacto-Standard in kürzester Zeit werden dürfte.

3. Graph API

Eine neue Programmierschnittstelle, die den Zugriff auf Streams und Daten von Facebook leichter ermöglichen soll. mrtopf.de zur API:

Ich würde sagen, so einfach war es noch nie, Daten abzufragen. Doch nicht nur Abholen geht, auch Schreiben geht. So kann man mit einem einfachen Kommando auch Status-Updates absetzen, muss dazu aber natürlich authentifiziert sein. Die Authentifizierung baut dabei auf OAuth2.0 auf.

Weitere gute, und teilweise ausführlichere Überblicke über die Neuerungen auf deutsch findet man auf netzwertig.com und auf mrtopf.de.

Facebook im Mittelpunkt des Netzes

Was es bedeutet

Was Facebook hier vorstellt, ist ein strukturierteres, entwicklerfreundlicheres Facebook Connect mit mehr Funktionen.

Nachdem Facebook die Endnutzer mit aktuell ungefähr 400 Millionen aktiven Nutzern auf seiner Seite hat, setzt es jetzt massiv darauf, Anbieter jeglicher Art ins Boot zu holen. Das Angebot ist zu attraktiv, als das der Rest des Webs sich das entgehen lassen kann:

  • Es ist bis dato technisch einmalig.
  • Es hat die größte Nutzerschaft eines Social Networks hinter sich.

Gleichzeitig bekommt Facebook eine enorme Datenbank an die Hand, aus welcher sich langfristig Tausende Angebote generieren lassen.

Warum Facebook damit erfolgreich sein wird

Anbieter

Es ist die gleiche Ausgangslage wie seinerzeit bei der Einführung von Facebook Connect: Facebook hat das beste Angebot, das die stärksten Anreize mitbringt. Bei der Einführung von Facebook Connect schrieb ich von einer Win-Win-Situation:

Die Verbindung Connect und Newsfeed setzt Facebooks Angebot nicht nur von OpenID ab, sondern auch von Googles Friend Connect, das kein vergleichbares Feature hat.

Würde mich nicht überraschen, wenn Facebook in den nächsten Monaten Rekordwachstum verzeichnet.


Jeder Webdienst, der auf eine Interaktion seiner Nutzer setzt, kommt mittelfristig um Facebooks neues Angebot nicht mehr herum. Warum? Weil mit Facebook das virale Wachstum schneller geht. Die Alternative - also ohne Facebook - heißt, langsameres Wachstum. Besonders Startups können sich das nicht erlauben. Bret Taylor, der mittlerweile bei Facebook arbeitet, fasste die Situation, in der sich Startups befinden, gut zusammen:

[Bret Taylor] noted that at FriendFeed they found that the key to getting users to stick around and keep them using the site was that they had to connect with five friends. Unfortunately, when you’re a startup with not very many users, that’s extremely hard to do (yes, even just five). So FriendFeed implemented all types of logins and email contact lookups to try and help users find friends.

Im selben TechCrunch-Artikel steht auch nochmal der wichtige Vergleich mit Facebook Connect:

Perhaps most impressive of all is that in just one year, Facebook got 100 million people using Facebook Connect. And that’s why everything they announced today has a real shot at completely transforming the web. Because everything they’ve announced (and specifically, Open Graph) seems to be like Facebook Connect on steroids.

Was damit möglich ist, sieht man an der Huffington Post, die nach einer durchdachten Integration von Facebook Connect ein stärkeres Wachstum verzeichen konnte.

Endnutzer

Sieht man von allen Datenschutzbedenken ab, bleibt die simple Tatsache, dass ein persönliches Web an vielen Stellen einen nicht zu unterschätzenden Mehrwert bietet. Ein Mehrwert, an den sich viele Nutzer schnell gewöhnen könnten und ihn möglicherweise künftig bei allen Sites, die sie besuchen, voraussetzen und erwarten werden.

Beide Seiten

Klassischer zweiseitiger Markt: Facebook hat die Endnutzer und ermöglicht jetzt den Anbietern diverser Internetdienste, noch einfacher mit diesen über die Facebook-Plattform in Interaktion zu treten.

Der Sog ist bei dieser Ausgangslage bereits besonders groß und wurde mit den neuen Funktionen von Facebook noch verstärkt. Der Grund: Sie bieten den Entwicklern jetzt mehr Funktionen bei oft geringerem Aufwand. Die Kosten-Nutzen-Analyse fällt dafür also nun noch besser zu Gunsten Facebooks aus.

Probleme

Zentraler Single Point Of Failure

Facebook wird mächtiger und damit auch problematischer, den natürlich wird das Web, das auf Facebook setzt von diesem Dienst abhängig.

Was, wenn Facebook ein Profil, eine Gruppe oder eine Fanseite ungerechtfertigt vom Netzwerk nimmt?

Es ist kein Wunder, dass ein eine Woche vor der f8-Konferenz ein Zusammenschluss von Anbietern XAuth ankündigte, dass Facebook etwas entgegensetzen soll.

Der Unterschied zwischen dem Google-Ansatz und dem Facebook-Ansatz könnte größer nicht sein:

Google kann ein enorm nützliches Angebot erstellen, ohne dass das gesamte Web sich von Google abhängig machen muss. Websites werden von Google und anderen Suchmaschinen indiziert, ohne dass diese Websites etwas integrieren müssen. Die Wechselbeziehung zwischen den Angeboten ist lose, ohne direkt notwendigen Aufwand auf der Seite des in der Regel wirtschaftlich Schwächeren.

Bei Facebook sieht das anders aus: Wer als Webanbieter Nutzen aus Facebook gewinnen will, kommt um eine Integration von Facebook-Funktionen nicht herum.

Symmetrische Beziehungen auf Facebook

Etwas irritiert mich bei dieser Entwicklung noch: Vor diesem Hintergrund ist nun klar, dass der Push von Facebook vom privaten Netzwerk hin zum Öffentlichen ein Bauernopfer war:

sowohl suchmaschinentraffic als auch alles, was sich aus twitter ergibt, ist facebook ziemlich egal, was sie brauchen ist ein minimum an öffentlichen ‘bindungen’ an die open graph knoten als katalysator für alles andere, und da ist der ursprünglich primäre wertvorschlag ‘unter uns’ tatsächlich nur ein bauernopfer.

aber: Das symmetrische Verknüpfen von Usern hemmt die hier vorgegebene Nutzung doch stark und passt nur noch so halb in das künftige Spektrum der Usecases.

Was ich damit meine: Der Gesamtnutzen des Netzwerkes verlagert sich von der Kommunikation hin zu Kommunikation und Publikation (siehe meine Klassifizierung von Social Networks in Kommunikations- und Publikationsnetzwerke auf netzwertig.com). Mit diesen Verknüpfungen und Zusatzfunktionen kann ein einzelner Nutzer sehr viel mehr Informationen auf dem Netzwerk verbreiten. Die Verbreitung ist aber eingeschränkt, wenn dem einzelnen Nutzer nur Personen folgen können, die er auch zu seinem Bekanntenkreis hinzugefügt hat.

Natürlich gibt es Fanpages etc. aber diese sind losgelöst von den einzelnen Personen dahinter. Die Aktivitäten des Einzelnen auf Facebook werden mit dem hier vorgegebenen Pfad aber sehr viel nutzbringender: Man denke an Experten, Menschen mit gleichen Interessen, Prominente und Künstler. Was diese ihren Mitmenschen mitteilen interessiert potentiell nicht nur die eigenen Freunde. Außerdem wollen sie es vielleicht über ihren Freundeskreis hinaus mitteilen.

Ich vermute Folgendes: Innerhalb des nächsten Jahres wird Facebook die Möglichkeit schaffen, dass man asymmetrisch andere Personen auf Facebook adden kann und man dann nur das sieht, was diese öffentlich zugänglich machen (öffentlich im Sinne von durchsuchbar von Suchmaschinen). Das heißt: Ich adde eine Person auf Facebook und bekomme ihre öffentlichen(!) Updates in meinem Stream angezeigt - so wie man es von den Fanpages kennt. Die öffentlichen persönlichen Streams auf Facebook sind dann quasi Twitter sehr ähnlich, das ebenfalls mit asymmetrischer Verknüpfung arbeitet.

Und damit besitzt Facebook dann, zumindest theoretisch, alle Abbildungsarten von zwischenmenschlichen Vernetzungen.

Das ist die einzige logische Schlussfolgerung.

Ob es funktioniert, asymmetrische und symmetrische Verknüpfung auf dem gleichen Netzwerk anzubieten, dürfte interessant zu beobachten sein. Da Facebook allerdings groß genug ist, hat es hier nichts zu verlieren. Niemand verlässt Facebook, weil er sich gekränkt fühlt, dass sein Idol ihn nicht ebenfalls addet und er nur die öffentlichen Updates bekommt.

Opt Out und Datenschutz

Wie die Initiatoren hinter XAuth setzt auch Facebook mit seinem neuen Angebot auf Opt Out. Jeder Nutzer ist erst einmal dabei. Wer raus will, hat es nicht einfach.

Gleichzeitig wird Facebook sehr viel mehr über das Online-Verhalten von eingeloggten Usern erfahren.

Das ist beides sehr unschön. Aber jeder, der glaubt, dass diese Nachteile negative Auswirkungen auf den Erfolg von Facebook und seine Plattform haben werden, unterschätzt die hier am Werk befindlichen Netzwerkeffekte.

Kinderkrankheiten

Der Like-Button setzt, wie alle Social Plugins auf einen iFrame. Der Like-Button muss also nicht zwingend auf die Site verweisen, auf der er sich befindet, da er in keiner Verbindung zu ihr steht und aktuell auch keine Überprüfung stattfindet. Dirk Olbertz hat das beispielhaft aufgezeigt. Wer bei diesem Artikel von Olbertz auf den Like-Button klickt, bekommt folgendes Kuckucksei in den Newsfeed gesetzt:

facebook-olbertz

Das sehe ich allerdings eher als einen Bug, der bald gelöst werden könnte. Man hat wohl auf iFrames gesetzt, die eine eher suboptimale Lösung darstellen, weil so Datenschutzprobleme minimiert werden: Der Websitebetreiber bekommt von der Interaktion zwischen Facebook und Facebooknutzer, die über seine Site läuft, erstmal nichts mit.

Fazit

Facebook ist das neue Google. Facebook wird das Web verändern, stärker wahrscheinlich als Google seinerzeit. Google und andere Facebook-Konkurrenten bleiben wichtig, aber Facebook wird sie alle in Sachen Wachstum in der nächsten Zeit in den Schatten stellen.

Warum? Weil Facebook nicht nur von der Nutzerschaft die perfekte Ausgangsbasis hat, sondern sich auch technisch und strategisch sehr klug aufstellt. Facebook ist das erfolgreichste Social Network der Welt und es weiß zugleich, dass es ein Infrastrukturanbieter für zwischenmenschliche Interaktionen im Web ist.

Mittelfristig ( = die nächsten Jahre) bedeutet das, dass das Internet auf eine sehr zentralisierte Form mit Facebook im Mittelpunkt zusteuert. Ich sehe aktuell nicht, wie Facebook noch aufgehalten werden kann. Die Netzwerkeffekte, direkt auf Nutzerseite, indirekt und mehrseitig auf der gesamten Plattform, sind auf Facebooks Seite.

Langfristig wird es ein Wettkampf zwischen Facebook auf der einen Seite und einem komplett auf offene Standards setzenden, dezentralen Verbund von Anbietern mit unter anderem Google auf der anderen Seite hinauslaufen. Mit offenem Ausgang. Am wahrscheinlichsten ist langfristig eine Koexistenz der Ansätze mit exzessivem Multihoming auf Anbieter- und Nutzerseite.

So problematisch diese zentralisierende Richtung in Facebooks Fahrwasser auch ist, so darf man eins dabei nicht vergessen: Das Web wird jetzt sehr schnell sehr sozial und personalisiert werden.

Ambitioniert, transformativ, unheimlich.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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