26. Mai 2010 Lesezeit: 3 Min.

Trennung von Produktion und Distribution auch auf iPad: RSS-Feeds als digitale Zeitung

Etwas, dass ich an der Euphorie der Verlage für das iPad und speziellen Apps, die den Paid-Content-Traum erfüllen sollen, nie verstanden habe ist, warum kaum jemand in der Debatte anspricht, dass natürlich auch auf dem iPad die nahezu gleichen Marktdynamiken zutreffen, wie man sie im Netz antrifft. (Der einzige wesentliche Unterschied liegt in Apples zentralisiertem Ansatz mit anhängendem Zulassungs-Prozess für den Appstore.)

Die Vorstellung vieler Verlagsvertreter scheint zu sein, dass das für industrielle Bedingungen in der Regel notwendige Vorgehen auf dem iPad wieder auflebt, alles von der umfänglichen Inhalteproduktion bis zur Distribution selbiger aus einer Hand anzubieten.

twitter-verlagsapps

Warum? Weil die Oberfläche Multitouch bietet, und nur der Inhalteanbieter das technische Knowhow besitzen kann, Inhalte und Präsentation zusammenzuführen? Weil ein zentralisierter Anbieter mit Abrechnungssystem existiert? Das ergibt nicht viel Sinn.

Auch in einem Ökosystem, in dem Apple die meisten Infrastruktur-Fäden in der Hand hält, bleibt die Grundausgangslage die gleiche: In einem digitalen Markt, der von Vernetzung bestimmt ist, kommt es zu einer kleinteiligeren Arbeitsteilung zwischen Unternehmen, weil die Vernetzung eine einfachere Verknüpfung der Wertschöpfungsbeiträge ermöglicht. Die mittlerweile bekannte Senkung der Transaktionskosten. Jene Art von Kosten, welche nach Ronald Coase bekanntlich massgeblich für das Entstehen von Unternehmen verantwortlich sind.

Es findet sozusagen eine Vermarktlichung vorher stärker hierarchisch organisierter Wertschöpfung statt.

Die in den meisten Fällen neue Geschäftsmodelle notwendig machende Trennung von Produktion und Distribution ist eine logische Schlussfolgerung und tritt deshalb fast überall auf.

Genau das sieht man aktuell mit der ersten Applikation einer Klasse, die man sich in den Verlagen, so scheint es, gar nicht vorstellen kann: Paper Pile aggregiert RSS-Feeds und erstellt aus ihnen eine tageszeitungsähnliche Oberfläche. Ein RSS-Reader für die Multitouch-Welt quasi. Das iPadMag schreibt:

Im Gegensatz zu anderen iPad-Apps, imitiert “Paper Pile” gedruckte Zeitungen täuschend echt, sodass selbst wenig erfahrene Benutzer spielend einfach damit umgehen können. Die Darstellung der Texte im Blocksatz ist einzigartig und unterstützt das Gefühl, eine echte Zeitung zu lesen. News-Feeds werden meist bereits nach Eingabe der Adresse einer Webseite automatisch erkannt. Der integrierte Browser macht darüber hinaus das Finden und Abonnieren gut versteckter Feeds direkt aus der App heraus ungewohnt einfach.

Man benötigt nicht viel Phantasie, um zu erkennen, dass Paper Pile eher die erste statt die letzte App sein wird, die diese Aufgabe angeht.

Ein weiteres Beispiel: Instapaper ist eine bessere Applikation zum reinen Lesen von Texten auf dem iPhone und nun auch auf dem iPad als jedes bisherige Angebot; Verlagsangebote eingeschlossen.

Beide Apps verbindet zwei Merkmale:

  1. Technische Grundlage: Sie sind technisch den Verlags-Apps entweder für spezielle aber essentielle Anwendungsfälle überlegen. (Instapaper ist auf das Lesen von Texten spezialisiert, während die bisherigen Verlags-Apps vor allem Eye-Candy bieten.)
    Oder sie sind ihnen zumindest ebenbürtig.
  2. Inhaltliche Grundlage: Sie bieten nicht nur die Inhalte einer Publikation sondern von vielen Publikationen. Das Angebot der App ist nicht vom Angebot der anbietenden Hierarchie beschränkt, sondern vom Markt. Sprich: Die WELT-App beispielsweise bietet nur die WELT-Inhalte an. Paper Pile, Instapaper und co. bieten die Texte aller Publikationen, an denen der jeweilige Nutzer interessiert ist.

Gute(!) Entwickler haben in der Regel bessere Verdienstmöglichkeiten mit selbständig angebotenen Apps, statt diese im Auftrag für Verlage zu entwickeln. (Der Entwickler Marco Arment kann von den Instapaper-Einnahmen nach eigener Aussage sein Haus bezahlen.) Und sie haben einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil auf der inhaltlichen Seite.

Die Verlage täten gut daran, diese Umstände zu begreifen, statt sie zu ignorieren, und entsprechend darauf zu reagieren. Denn so lang sie diese ignorieren, werden sie zunehmend am Markt vorbeiproduzieren. Auch und gerade mit ihren iPad-Apps.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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