Immer wieder liest man, wie Blogs und andere Online-Medien als die "neuen Gatekeeper" bezeichnet werden. Zuletzt vor ein paar Wochen:
Die Legende vom Ende der Gatekeeper ist der Heiliger [sic] Gral der Netzbegeisterten. Doch wer mit offenen Augen das Netz betrachtet, sieht ständig neue Gatekeeper – ob sie nun Google, Carta, Michael Arrington oder Stefan Raab heißen. Aufmerksamkeitsströme können gelenkt werden – wer dabei den besseren Job macht, bleibt abzuwarten.
Das verkennt die Situation signifikant.
Wie war die Mediensituation im Massenmedien-Zeitalter?
Verhältnismäßig wenige Redakteure entschieden darüber, was die Öffentlichkeit erfährt und was nicht.
Im besten Falle: Konkurrenz unter den Medien - der Markt- sorgte dafür, dass Informationen an die Öffentlichkeit gelangen, selbst wenn der eine oder andere Chefredakteur sie zurückhalten will. Entweder greift ein anderer sie auf, oder man veröffentlicht sie doch selbst, weil man eben diese Veröffentlichung an anderer Stelle befürchtet.
Im schlechtesten Falle: Die Chefredakteure einer Handvoll überregionaler Tageszeitungen bestimmen das Geschehen. Aufgrund der Machtkonzentration sind Absprachen, um Agenden zu pushen oder Geschichten unter den Tisch fallen zu lassen, zumindest theoretisch möglich. Geschichten können leichter unter den Tisch fallen. Nicht nur aufgrund von direkten Absprachen, sondern auch aufgrund von Gruppendenken und institutionalem Versagen, das nicht ohne weiteres vom Markt abgefangen werden kann.
Wie sieht die Mediensituation im Internet-Zeitalter aus?
Die Beschreibungen im letzten Absatz werden nicht unmöglich, aber doch erheblich erschwert. Absprachen funktionieren nicht mehr. Warum? Die Mediensituation im Internet-Zeitalter ist..
- ..kleinteiliger. Das heißt, mehr Akteure sind auf dem Markt.
- ..durchlässiger. Das heißt, ein kleiner Akteur kann mit einer entsprechend resonanzfähigen Geschichte notfalls auch an den etablierten Playern vorbei die Öffentlichkeit erreichen. Möglich wird das durch die reichhaltigere Anzahl an Akteuren als auch durch die neuen Distributionsmöglichkeiten, die nur von der Masse und nicht von einzelnen Akteuren gelenkt werden. Facebook und Twitter als Durchlauferhitzer fallen da etwa als die bekannteren Beispiele ein. Aber auch trivialere Möglichkeiten wie das Versenden von Links via Email spielen hier eine Rolle.
Daraus folgt eine stärkere Konkurrenzsitutation, denn mehr Teilnehmer buhlen um die guten Plätze und der Wettbewerb wird durch diese Distributionskanäle verstärkt. Ein kleiner Akteur kann damit groß werden, wenn ein etablierter Akteur schlechte Arbeit liefert. (Nur deswegen haben Blogger und andere Markteinsteiger heutzutage so verhältnismäßig gute Marktchancen bei vergleichbar geringem Finanzmitteleinsatz.)
Michael Arrington hat mit dem erfolgreichen US-Techblog TechCrunch Macht. Aber die Macht unterscheidet sich massgeblich von z.B. der eines FAZ-Herausgebers bis vor wenigen Jahren.
Arrington kann Tech-Geschichten nach oben pushen, weil er sie auf TechCrunch einem breiten Publikum präsentieren kann. Er kann aber keine Geschichten verhindern, weil diese dann einfach von anderen Blogs aufgegriffen werden. Die Informanten suchen sich notfalls einen anderen Weg. Wenn die Geschichte in die Öffentlichkeit will, findet sie einen Weg. Heute einfacher als früher.
Er ist ein Filter, kein Gatekeeper.
Arrington hat Macht. Aber ich würde es "positive Macht" nennen, weil er die Verbreitung von Nachrichten verstärken aber nicht verhindern kann. Chefredakteure hatten früher die Macht, Nachrichten zu verstärken, sie aber auch zu verhindern. Das ist im Internet-Zeitalter nicht mehr möglich. Nicht weil das Internet ein magisches Ding ist, das Leute zu besseren Menschen macht, sondern weil das Internet den Wettbewerb zwischen Medien verstärkt - was eine gute Sache für die Pressefreiheit ist.
Ein Beispiel aus der jüngsten Zeit - der iPad-Datenleak: Altlastmedien wie die Washington Post, The San Francisco Chronicle und Reuters haben auf die Veröffentlichung des iPad-Datenleaks verzichtet. Gawker hat die von den Hackern zugespielten Informationen veröffentlicht und einen wahren News-Sturm ausgelöst. Woraufhin die vorher nicht interessierten Altlastmedien ebenfalls berichteten. Die Geschichte hat einen Weg an die Öffentlichkeit gefunden, massgeblich weil es ihr im Web einfacher möglich war.
Ohne das Web fallen solche Geschichten eher unter den Tisch. Und das nicht unbedingt, weil die angeschriebenen Journalisten Informationen zurückhalten wollen, sondern oft sicher auch, weil sie aufgrund fehlenden Kontextes die Bedeutung der Nachricht falsch einschätzen.
Dieses Beispiel zeigt auch, dass die früheren Gatekeeper zu Filtern 'degradiert' werden. Sie können auf die Veröffentlichung der Nachricht verzichten, das hält die Nachricht aber nicht mehr aus der Öffentlichkeit heraus. Vorausgesetzt natürlich, dass sie berichtenswert also resonanzfähig ist.
Es bleibt abschliessend anzumerken, dass die hier geäußerten Aussagen über Online-Medien noch nicht vollends auf den deutschen Markt zutreffen. Für den US-Markt sind sie allerdings bereits Realität. Wenn dort auch sicherlich noch nicht in jedem Nachrichten-Bereich.