11. Okt. 2010 Lesezeit: 3 Min.

Franz Kafka, die Rechte des Urhebers und geistiges Besitztum

In der deutschen Urheberrechts-Debatte wird von vielen oft hervorgehoben, dass dem Urheber (moralisch und überhaupt) das umfängliche Recht zusteht, mit seinem Werk zu machen, was er will, und jedem verbieten zu können, was er will. Manche gehen in ihrer laienhaften Vorstellung vom Immaterialgüterrecht so weit, dass sie eine Gleichstellung von 'geistigem Eigentum' und dinglichem Eigentum fordern.

Franz Kafka hat bekanntermaßen seinem Freund und Nachlassverwalter Max Brod den Auftrag erteilt, nach seinem Tod alle seine unveröffentlichten Werke zu vernichten. Max Brod hat sich dem Wunsch Kafkas bekanntlich widersetzt und Kafkas Werke veröffentlicht.

Was für ein Verlust für die Gesellschaft, wäre Max Brod dem Wunsch des Urhebers gefolgt.

Techdirt weist auf einen Artikel des Juraprofessors Peter Friedman hin, der sich mit dem Thema beschäftigt, wem heute Kafkas Schriften gehören. Unabhängig vom Urheberrecht stellt sich auch die Frage danach, wer einen Besitzanspruch auf Kafkas Handschriften hat. (siehe Wikipedia dazu)

In Israel werden weiterhin juristische Streitereien dazu ausgetragen. Friedman:

Eva Hoffe and Ruth Wiesler, the daughters of Max Brod’s secretary and presumed lover, are claiming that Kafka’s paper are their property and that they should be permitted to sell them. They are being opposed by the National Library of Israel, which is claiming a right to the papers under Brod’s will. Brod brought the papers along with him when he emigrated to Palestine after Kafka’s death.

Im New York Times Magazine ist ein Artikel zum Thema erschienen, in denen der Autor Elif Bautman feststellt:

The situation has repeatedly been called Kafkaesque, reflecting, perhaps, the strangeness of the idea that Kafka can be anyone’s private property. Isn’t that what Brod demonstrated, when he disregarded Kafka’s last testament: that Kafka’s works weren’t even Kafka’s private property but, rather, belonged to humanity?

Ist es nicht in der Tat eigenartig, dass Kafkas Werke Privateigentum sein können? Gehörten Kafkas Werke überhaupt Kafka? Warum kann heute noch jemand Besitzanspruch geltend machen? Ist das gesellschaftlich wünschenswert?

Etgar Keret, ein israelischer Autor, fasst die Situation rund um Kafkas Schriften so zusammen:

If Brod could see what was happening now, Keret says, he would be “horrified.” Kafka, on the other hand, might be O.K. with it: “The next best thing to having your stuff burned, if you’re ambivalent, is giving it to some guy who gives it to some lady who gives it to her daughters who keep it in an apartment full of cats, right?”

Es ist, um es kurz zu machen, ein Chaos. Wem gehört das Urheberrecht an den Werken? Wem gehören die Handschriften? Was ist mit Kafkas Wunsch, seine zu Lebzeiten unveröffentlichten Werke zu vernichten?

Und in welcher Situation wäre eigentlich die Gesellschaft als Ganze am besten gestellt?

Friedmans Standpunkt zur Beziehung zwischen 'geistigem Eigentum' und dinglichem Eigentum:

My real point — and the point that drives a lot of what I write on this blog — is that we confuse things and act to our cultural detriment when we treat intellectual “property” like we treat real property. And that confusion of course extends to the ways we give dead people continued influence over their intellectual and artistic creations.

Masnick auf Techdirt:

[This] is one of the points that we continually try to raise here at Techdirt, with our concern over how copyright has turned away from its intended purpose (promoting the progress) into this false belief that it is about "ownership."

~

2009 unterschrieben namhafte deutsche Intellektuelle in einem Anflug geistiger Umnachtung den "Heidelberger Appell", in dem auf eine wirre Art Open Access und Google Books verbunden wurde und als ein Angriff auf das "verfassungsmäßig verbürgte Grundrecht von Urhebern auf freie und selbstbestimmte Publikation" gewertet wurde. Im Heidelberger Appell hieß es unter anderem:

Es muß [..] allen Kreativen freigestellt bleiben, ob und wo ihre Werke veröffentlicht werden sollen.

Der Heidelberger Appell ging auf die Initiative von Roland Reuß zurück.

Reuß ist Experte für Franz Kafkas Werke und hat unter anderem die „Historisch-kritische Franz Kafka-Ausgabe“ und diverse Sekundärliteratur zu Kafka veröffentlicht.

Roland Reuß, der wohl ebenso wie jeder andere den gesellschaftlichen Gewinn darin erkennen kann, dass Max Brod sich dem Willen Kafkas widersetzte, findet es schlecht, dass Max Brod sich dem Willen Kafkas widersetzte.

~

Ein ausuferndes Urheberrecht (als auch ein Copyright im angelsächsischen Raum), das über die letzten Jahrzehnte zunehmend ausgeweitet wurde und ein um sich greifendes Missverständis, warum dieses Recht überhaupt existiert, nehmen immer mehr Teile der Kultur als Geiselhaft.

Oder anders gesagt: Unsere Kultur wird zunehmend und auf Jahrzehnte hin irreparabel privatisiert, ohne dass diesen gesellschaftlichen Kosten ein entsprechender gesellschaftlicher Nutzen gegenübersteht.

Dass neue Formen des Umgangs mit Kultur wie das Filesharing oder, kommerzielle wie nichtkommerzielle, Mashups hinzukommen, verschärft die bereits bestehende Lage nur. Denn einer Zunahme an kulturellem Potential steht eine Zunahme an Restriktionen gegenüber.

Die Frage, die wir uns als Gesellschaft stellen müssen, ist die, ob der Kompromiss zwischen den Rechten der Urheber und den Rechten der Gesellschaft, um bestmöglichen Fortschritt in allen kulturellen Bereichen sicherzustellen, heute noch gewahrt ist.

Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir allerdings erst einmal realisieren, dass wir über einen gesellschaftlichen Kompromiss reden.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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