Felix Schwenzel hat Sascha Lobo gefragt, wie er es finden würde, wenn Saschas Roman Strohfeuer illegal kostenfrei im Netz zirkulieren würde und hat den Mailwechsel bei sich veröffentlicht. Ein paar Anmerkungen.
Sascha Lobo glaubt wohl nicht daran, dass kostenfrei digital zirkulierende Werke dem Verkauf von Komplementärprodukten helfen können, zumindest nicht im Buchmarkt. Als Beweis führt er das Experiment mit dem Riesenmaschine-Buch an:
2007 haben wir mit der Riesenmaschine bei Heyne (Random House) ein Papier-Taschenbuch auf den Markt gebracht, das gleichzeitig kostenlos herunterzuladen war (und auch immer noch ist). Das Ergebnis war ernüchternd; das Buch wurde über 20.000 Mal heruntergeladen, mit einem Klick, ohne irgendwelche Daten hinterlassen zu müssen, was nicht besonders leicht mit Random House herauszuverhandeln war – und die Verkaufszahlen waren sehr, sehr gering. Die Übertragung des Interesses vom Ebook zum gedruckten Buch hat zumindest in diesem Fall überhaupt nicht funktioniert.
Zu diesem Beispiel eine Handvoll Anmerkungen: In den Kommentaren auf wirres.net (leider keine Permalinks für Kommentare vorhanden) wird die Tragfähigkeit des Beispiels für eine allgemeinere Aussage bereits wohl zurecht in Frage gestellt:
'zottel':
Und noch ein Wort zu Saschas 20.000 Downloads: Du kennst Dich doch aus, Sascha, Dir muss doch klar sein, dass das ein absoluter Witz ist? 20.000 Downloads eines frei verfügbaren Buchs? Da muss die Download-Seite aber gut versteckt gewesen sein – oder aber das Buch war so uninteressant, dass es die Leute nicht einmal kostenlos haben wollten. Dann muss man sich auch nicht fragen, warum die Ladenverkäufe so schlecht liefen.
Außerdem muss man, falls man das Verhalten von MP3-„Saugern“ hier übetragen kann, davon ausgehen, dass höchstens 10% der Downloader je einen Blick in das Buch geworfen haben. Bei allen anderen verschimmelt es in irgendeinem Verzeichnis „für irgendwann mal, wenn ich Zeit habe“. Seien wir optimistisch und glauben wir, dass von denen wiederum 10% das Buch gefallen hat. 10% davon wiederum wollten es nochmal lesen oder für das Regal haben und haben es im Nachhinhein als „echtes“ Buch gekauft. 20 Leute haben sicher einen riesigen Einfluss aufs Verkaufsergebnis
'Jo':
Oder auf Amazon erst Mal die Lesermeinungen lesen und dann nicht kaufen?`
So geht es mir nämlich beim kostenlosen Runterladen: ich lad's runder, lese quer, lösche. Trotzdem werde ich als angeblicher Leser gezählt.
'Dr. Azrael Tod':
Mein Buch hat sich übrigens auch scheiße verkauft, trotz dass ich es _nicht_ freigegeben hab und es auch keine einzige illegale Kopie gibt, ist das jetzt der Beweis dass es ohne Raubkopie auch nicht geht?
Es gibt ein weit verbreitetes Missverständnis, wenn es um das kostenlose Bereitstellen von digitalen Gütern geht (etwas ähnliches kann man auch bei Debatten zum Freemium-Geschäftsmodell beobachten): Die kostenlosen Downloads werden als fester Massstab für die Verkäufe mit Mindestprozentsatz soundso, statt als Werbung für die Komplementärgüter gesehen. Der angenommene Mindestprozentsatz ist praktisch immer zu hoch angesetzt; im naivsten Fall 1:1.
Das ist quasi die andere Seite der Filesharing-ist-Diebstahl-Sicht. Und sie ist auch falsch. Im Zweifel sagt man dann am Ende schließlich fälschlicherweise: Mist, die x verschenkten Downloads hätte ich auch verkaufen können.
Kostenfreie Downloads können entgangene Verkäufe sein, können Klicks ohne weitere Folgeaktivitäten sein (verschimmelnde Dateien auf der Festplatte), können Konsumproben mit oder ohne folgenden Kauf eines Komplementärprodukts sein. Da die Downloads keine direkten Kosten für die Nutzer verursachen, können sie all das repräsentieren.
Der Punkt ist: Die Masse der kostenlosen Downloads, die in diesem Fall auch gar nicht so hoch war, führt immer nur zu einem Teil von Käufen. So wie es eben bei Werbung der Fall ist. Dazu mehr in einem folgenden Artikel. Nur noch Zahlen zum Vergleich mit dem vergleichbaren Freemium-Ansatz :
Es sind, wenn man erfolgreich ist, immer (nur) 2-5% der User, die für Premium-Funktionen bezahlen.
Dieser Prozentsatz an sich sagt erstmal nichts über den Erfolg des Anbieters aus. Erfolgreich ist dieser, wenn er es schafft, insgesamt Profit einzufahren.
Angesichts unserer gemeinsamen Debatten-Vorgeschichte ist auch folgende Aussage von Sascha interessant:
Dass die Verbreitungseffekte von illegalen Tauschbörsen für den Verkauf von Musik tatsächlich anders gelagert sein könnten und es dort für diese Effekte auch solidere Untersuchungen gibt, steht auf einem anderen Blatt.
Woran diese neue Branchenunterscheidung wohl liegen mag?
Sascha weiter:
Ich glaube an das Recht des Urhebers, über die Bedingungen der Verbreitung seines Werkes zu bestimmen, zumindest für eine bestimmte Zeit.
Ich glaube tatsächlich, dass wir genau hierüber als Gesellschaft diskutieren müssen. Warum, habe ich diese Woche anhand von Franz Kafka versucht ansatzweise aufzuzeigen.
Ich finde, es gibt gewichtige Gründe, das nichtkommerzielle Verbreiten und Bearbeiten von Werken in digitaler Form zu entkriminalisieren. Sprich also, der Gesellschaft als Ganzes mehr Rechte zu geben, weil jeder Einzelne heute aufgrund der Technologie sehr weitreichende Möglichkeiten an die Hand bekommen hat, die insgesamt enormes gesellschaftliches Potential haben. (Im Duktus des heutigen gesellschaftlichen Diskurses zu diesen Themen klingt das dann so: Dem Urheber sollen Rechte weggenommen werden.)
Davon abgesehen bewegt sich der Marktpreis für freie Güter langfristig auf die Höhe der Grenzkosten und damit auf Null zu. In der Zwischenzeit mehrere heranwachsende Generationen zu kriminalisieren und gesellschaftliches Potential verstreichen zu lassen, erscheint mir nicht unbedingt als der bestmögliche Weg. Abgesehen davon ist das aber der Weg, den wir seit 12 Jahren gehen und aller Voraussicht nach auch weiter gehen werden. Und das schon allein, weil Urheberrechte nicht nachträglich weggekürzt werden. Den Rest erledigen absurd hohe Verjährungsfristen.
Ich denke immer mal wieder darüber nach, wie ein tatsächlich modernes Urheberrecht konkret aussehen könnte. Etwas, das praktisch jeder fordert, unter dem sich aber viele ein strengeres, noch restriktiveres Recht vorstellen. Ich bin aber noch nicht so weit, einen diesbezüglichen Vorschlag zu veröffentlichen. :)
Sascha Lobo weiter:
Ich glaube an das Recht des Urhebers, über die Bedingungen der Verbreitung seines Werkes zu bestimmen, zumindest für eine bestimmte Zeit. Wer das nicht tut, muss konsequenterweise so etwas Gutes wie Creative Commons ablehnen, denn auch dafür ist die Grundlage, dass der Urheber bestimmen darf, was mit seinem Werk passieren darf und was nicht.
Diese Argumentation lässt sich auch umdrehen: Wer an dieses Recht des Urhebers glaubt und somit auch für das Durchsetzen des heutigen Urheberrechts ist, muss auch für Three Strikes und striktere Gesetze sein. Sarkozy-Style:
He's talking up the importance of further regulating the internet, calling it a moral imperative, and that without correcting "the excesses and abuses" there is "no economy," "no life in society," and "no freedom."
Ich glaube, dass ein Hauptproblem, warum die Massenklagen der Unterhaltungsindustrie gegen Filesharer nicht gefruchtet haben und warum sie überhaupt nicht umfänglich - wie es manche fordern - durchgeführt werden konnten, schlicht darin liegt, dass die konkreten Nutzer privat, also unkommerziell, ihre Filesharing-Tätigkeit ausüben. Einen nichtkommerziell agierenden Nutzer zu stoppen, ist selbst über den leicht zu überwachenden öffentlichen Teil des Internets mit Kosten verbunden. Millionen nichtkommerziell agierende Nutzer zu stoppen, ist unmöglich.
Warum? Es ist wirtschaftlich aufgrund lästiger Barrieren wie der Unschuldsvermutung nicht tragfähig weil enorm aufwendig. Das führt zu abstrusen Gesetzesauswüchsen wie HADOPI in Frankreich, wenn man es auf den Rücken von Grundrechten doch wirtschaftlich tragfähig machen will.
Kommerziell agierende Akteure sind meines Erachtens einfacher zu fassen. An dieser Unterscheidung müsste ein moderneres Urheberrecht ansetzen. Wenngleich diese Unterscheidung auch gleich einen eigenen Rattenschwanz an Problemen mitbringt. (Kommerzielle Betreiber von User-Generated-Content-Plattformen kann man mit den hier gemeinten kommerziellen Akteuren nicht einfach gleichsetzen. Siehe zum Thema Plattformproviderhaftung hier und hier.)
Zum Thema Filesharing und der Sichtweise auf dieses schrieb ich im vorhergehenden Artikel:
Tatsächlich reden wir bei diesem Thema aber über die zunehmende Trennung von Produktion und Distribution digitaler Güter , die sich auf verschiedene Arten äußert.Warum? Weil private Tätigkeiten heute in einem Ausmaß möglich sind, das aggregiert zu einem Umfang führt, der früher kommerziell organisierten Einheiten – Unternehmen – vorbehalten war. Dieser vorherige Zustand muss aber nicht unbedingt der natürliche gewesen sein, ganz im Gegenteil.
[..]
Ab wann wird man zum Egoisten? Oder ist diese Bezeichnung Benutzern von BitTorrent und co. vorbehalten?
Wer für das Recht des Urhebers ist, dass dieser allein über die Verbreitung seines Werkes entscheiden darf, was durchaus eine nachvollziehbare Position ist, und somit auch erwartet, dass dieses Recht durchgesetzt wird, muss zwangsläufig gegen die heutigen Inkarnationen von Hypemachine, Youtube und Suchmaschinen wie Google sein, weil sie keine umfängliche Eindämmung der Rechtsbrüche erlauben.
Um über die eigentlichen stattfindenden Veränderungen reden zu können, müssen wir aufhören, illegale Distribution mit der Pirate Bay gleichzusetzen. Die ist zwar sichtbar und greifbar aber nur ein Teil dieser Veränderung. Und dazu noch ein im Verhältnis zu anderen Entwicklungen zunehmend kleiner Teil, wie einem auch 'Urheberrechtsjäger' zunehmend bestätigen.
Filesharing ist eine Auswirkung der Digitalisierung. Die übergeordnete Thematik der zunehmenden Trennung von Distribution und Produktion zieht sich quer durch den aktuell stattfindenden Wandel. Der Sog zur Trennung ist in manchen Branchen so groß, dass er eigenmächtig von einer Marktseite ausgeführt wird. Und das für viele überraschenderweise nicht einmal unbedingt mit Nachteilen für die 'übergangene' Seite in ihrer Gesamtheit (eben weil Märkte selten Nullsummenspiele sind und gestiegene Effizienz in der Verbreitung auch ihre Auswirkungen hat).
Tauschbörsen sind nicht einfach nur das dreckige Viertel in der eigenen Lieblingsstadt Internet. Auch Autoren wie Sascha Lobo müssen sich irgendwann entscheiden, was sie mehr lieben: Das Recht des Urhebers auf Selbstbestimmung bei Verkauf und Verbreitung an seinem digitalen Werk, wie es heute im Gesetz steht, oder das heutige Internet.
Beides zusammen funktioniert nicht.
Das ist sicher keine leichte Entscheidung. Dieses Thema wird unsere Gesellschaft wohl noch die nächsten Jahrzehnte beschäftigen. Wenn Sarkozy das Internet nicht vorher abschaltet.
Update: Sascha Lobo rantet zurück. /Update
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