1. März 2011 Lesezeit: 6 Min.

Medien und der Fall Guttenberg: Ohne Internet geht's nicht mehr

guttenberg-guttenplag

Inhalt:

Die neue Qualität

Das Bemerkenswerte an der Causa Guttenberg, die nun im Rücktritt Guttenbergs kulminiert, und der kollaborativen Leistung von Guttenplag ist nicht die zeitliche Diskrepanz mit der verschiedene auch betroffene Personen auf die Vorgänge aufmerksam wurden. Zeitlich unterschiedliche Einstiege in öffentliche Diskurses gibt es immer und wird es immer geben. Dass die Diskrepanz hier besonders stark ausgeprägt war, liegt mehr daran, dass wir in einer Übergangszeit leben. In ein, zwei Jahren wird auch in Deutschland jeder Bundespolitiker über ein effizientes Monitoring verfügen können, das über die relevanten Vorgänge in Netzmedien informiert.

Was ist das Neue an Guttenplag, dass offensichtlich den versiertesten Medienprofi der aktuellen Politik und seine Partei auf kaltem Fuß erwischt hat? Es ist der Umfang, mit dem die "Mängel" aufgedeckt wurden. Die Qualität der Recherche, möglich durch den Cognitive Surplus der Vielen, wäre in dieser umfassenden Qualität von keiner Redaktion geleistet worden; zu hoch ist der Ressourcenaufwand für eine erschöpfende alle Plagiate auffindende Recherche. (Und wenn sie geleistet worden wäre, wäre sie wahrscheinlich nicht in der Form bereitgestellt worden, sondern in Form von Artikeln, die leichter verpuffen als die Rohdaten, die jedem Interessierten den tatsächlichen Umstand schmerzlich vor Augen führen können.)

Das hat einen interessanten Effekt: Auf einmal kann jemand stürzen, den viele in der Politik und in den Medien bereits als nächsten Kanzler sahen und das mal mehr mal weniger implizit durchblicken liesen. Nichts und niemanden kann den künftigen Kanzler aufhalten, besonders nicht wenn er die BILD, die reichweitenstärkste Zeitung Deutschlands, auf seiner Seite hat.

Es ist nicht mehr vorstellbar, das so etwas passieren kann.

Jeder Skandal lässt sich notfalls aussitzen.

Dass dieses Aussitzen auch mit der BILD im Rücken nicht mehr geht, dürfte viele Politiker überraschen. (Interessant ist auch die Überlegung, wie wohl die CDU-Spendenaffäre heute verlaufen würde.)

Nicht alle Medien sind gleich, und es gibt nicht das eine Internet

Aktuell gibt es eine Debatte, ob das Internet oder die klassischen Medien verantwortlich sind für den Fall von Guttenberg. Robin Meyer-Lucht schreibt auf Carta :

Guttenplag Wiki sticht Bild: Karl-Theodor zu Guttenberg ist der erste Minister, der vor allem auch aufgrund der im Internet ausgestellten Beweislast zurücktreten musste.

Markus Beckedahl sieht es auf netzpolitik.org etwas anders :

Meiner Meinung nach waren das Internet und kollektive Prozesse wie das Guttenplag-Wiki oder andere Aktionen wie die spontan über das Netz organisierte Guttbye-Demonstration am vergangenen Wochenende in Berlin wichtige Bestandteile, die dann zum Rücktritt führten. Aber ohne die traditionellen Medien wäre das so nicht passiert.

Christian Stöcker schreibt auf SPON :

[..]

Am heutigen Dienstag ist endgültig klar geworden: Gerhard Schröders altes Bonmot, zum Regieren brauche er nur "Bild, Bams und Glotze" stimmt nicht mehr.


Schaut man sich an, wie resistent Guttenberg und die Union trotz der massiven, größtmöglich offensichtlichen Plagiate in seiner Arbeit waren, die direkt zu Vorsatz und damit zu einer eidesstattlichen Lüge geführt hätte, wenn er eine eidesstattliche Erklärung hätte abgeben müssen (musste er nicht), ist es nicht zu weit hergeholt, dass das Aufdecken einzelner Stellen in Süddeutsche und anderenorts ohne Guttenplag folgenlos geblieben wäre. Auch das ist ein Skandal, der viel über die deutsche Politik und die Medienlandschaft hierzulande aussagt.

Guttenplag hat dafür gesorgt, dass sich klassische Medien wie die FAZ in ihren konservativen Werten (zu recht) verletzt gefühlt haben, dass so ein eklatanter Verstoss folgenlos bleiben soll, so dass sie ein seit langem beispielloses Berichterstattungsfeuerwerk losgelassen haben.

Das und die auf Guttenplag für jeden einsehbare Offensichtlichkeit der Verstösse führten zu offenen Briefen von 20.000 Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern und Professoren.

Zwei Erkenntnisse erscheinen mir dabei recht offensichtlich:

  1. Ohne Guttenplag wäre Guttenberg nicht gegangen.
  2. Ohne das Feuerwerk der klassischen Medien von FAZ bis Spiegel wäre Guttenberg nicht gegangen.

Das Interessante ist, dass beides notwendig war um die als unbesiegbar erschienene Phalanx aus BILD und (ehemaligen )Medienlieblingspolitiker zu brechen. Weder allein Punkt eins noch allein Punkt zwei hätten dafür gereicht.

Die BILD ist in Deutschland so mächtig, dass FAZ und Spiegel allein nicht gegen sie ankommen. (Eine Erkenntnis, die in ihrer Kränkung auch zum aktuellen Spiegel-Titel geführt haben dürfte. Dass die BILD so mächtig ist, liegt meines Erachtens auch daran, dass sie trotz absurdester Boulevard-Maschen von Politikern und anderen Medien akzeptiert wird und nur ein Blog sich kontinuierlich mit den großen und kleinen Verfehlungen beschäftigt.) Nicht alle Medien sind gleich, sie sind es genau so wenig, wie es das eine Internet mit seiner einen Internet-Community gibt. (Es wäre tatsächlich zu begrüßen, wenn die offensichtlich unterschiedlichen Lager in der Bevölkerung, die sich auch im Netz manifestierten, endlich dem letzten Journalisten und auch Politiker in Deutschland klargemacht haben, dass es keine "Netzcommunity" gibt und nie gab.)

Vgl. auch WikiLeaks

Es existiert eine interessante Parallele zwischen Guttenberg und WikiLeaks :

Hier kam zwar die Initialisierung des Diskurses aus den klassischen Medien, aber ein Vergleich mit Wikileaks drängt sich auf. Hier wie dort wird das Wesentliche von einem Akteur geleistet, der fern von journalistischen Institutionen ist, und dessen Mitwirken aber die entstehenden Diskurse so weit prägt, dass diese Diskurse und ihre Auswirkungen ohne ihn nicht denkbar sind.

Aber wir brauchen immer noch die Medien, um die "Öffentlichkeit herzustellen". Also, um die für Auswirkungen notwendige Reichweite, die Verbreitung der Informationen zu erlangen. Das ist richtig. Aber die Implikationen dieser Aufgabenverschiebung sind interessant:

Wenn die klassischen Medien immer mehr auf die alleinige Rolle des Verbreiters von bereits öffentlichen Informationen zurückfallen, sinkt nicht nur ihre demokratische Bedeutung: Die dahinter stehenden Institutionen werden ersetzbar. Alleinige Reichweite aufbauen, ist etwas anderes als dazu noch Prozesse zu entwickeln, die entsprechende Qualitäten aufweisen. Konkret heißt das, dass auch ein sehr kleines Team wie das von netzpolitik.org auf Guttenplag und co. linken kann, so wie es die klassischen Medien machen.

Der Effekt ist der gleiche, weil das Ergebnis der Information von Guttenplag kommt, der Unterschied liegt nur in den erreichten Öffentlichkeiten.

(Und wenn Reichweite allein reicht, um Qualitätsjournalismus zu sein, dann ist Google News, das ebenfalls nur ein Reichweitenverstärker ist, ein journalistisches Angebot auf Augenhöhe mit den Massenmedien.)

Aktuell können wir den Anfang einer kleinteiligeren Arbeitsteilung im Nachrichtengeschäft beobachten. Auf der einen Seite Akteure, die Informationen auf neuem quantitativen und qualitativen Niveau veröffentlichen (WikiLeaks, Guttenplag) und auf der anderen Seite die klassischen Medien, die auf die Verbreiterrolle dieser Informationen reduziert werden.

Natürlich ist das stark verallgemeinernd und natürlich haben die deutschen klassischen Medien von FAZ über Spiegel bis Tagesspiegel und SZ usw. mehr gemacht, als nur zu vermelden. Aber was wir hier beobachten können, ist der Anfang einer Entwicklung, die den Medienwandel bereits seit einiger Zeit bestimmt und immer mehr tatsächlich sichtbare Auswirkungen haben wird.

Der Systemschock könnte noch bevorstehen

Wie kann es sein, dass eine Doktorarbeit mit der besten Note ausgezeichnet wird, ohne dass auch nur ansatzweise eine Überprüfung der Arbeit stattfindet? Das ist eine Frage, die den deutschen wissenschaftlichen Betrieb noch beschäftigen könnte.

Prof. Peter Häberle, der Doktorvater von Guttenberg, der die Vorwürfe zu erst als 'abstrus' abtat, ist zu recht entsetzt. Abstrus ist allein die Tatsache, dass das Stückwerk, das Guttenberg als Doktorarbeit bezeichnet, nicht nur zum Doktorgrad sondern auch zu 'summa cum laude' führte. Bereits das einfache Bestehen wäre ein Skandal gewesen. 'Summa cum laude' deutet dagegen auf die Spitze eines Eisbergs hin, der die deutsche Wissenschaft in eine schwere Krise reißen könnte.

Was wenn das Cognitive Surplus, das half, Guttenberg zu stürzen, sich die Doktorarbeiten von anderen Bundestagsabgeordneten und Ministern zur Brust nimmt?

Die ersten haben sich bereits die Doktorarbeit von Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, angeschaut und kommen zu einem vernichtenden Urteil.

Das PlagiPedi Wiki, quasi hervorgegangen aus Guttenplag, hat sich nun vorgenommen, weitere Doktorarbeiten zu begutachten:

Nach dem großen Erfolg des GuttenPlag-Projektes ist vielen klar: Eine erfolgreiche politische Karriere unter einem akademischen Titel fußt nicht zwangsläufig auf ehrlicher Arbeit. Karl-Theodor zu Guttenberg hat eindrucksvoll gezeigt, dass der Wunsch nach einem akademischen Grad nicht immer mit korrekten wissenschaftlichen Mitteln erfüllt wird.

Lasst uns daher zusammenarbeiten und erst einmal grob überprüfen, ob es sich hierbei um einen bedauerlichen Einzelfall handelt, oder ob Herr Guttenberg in trauriger Gesellschaft weilt. Dieses Wiki soll die Bemühungen all jener organisieren, die das Ziel eines integren wissenschaftlichen Abschlusses von Persönlichkeiten überprüfen wollen, die in herausragenden verantwortungsvollen Positionen unserer Gesellschaft stehen.


Auch hier wieder dürfte kaum eine Redaktion die Ressourcen haben, um sich die Doktorarbeiten anderer Bundestagsabgeordnete und Bundesminister näher anzuschauen. Aber natürlich werden die klassischen Medien sehr genau schauen, ob PlagiPedi Skandal-Material produziert, das sich verbreiten lohnt.

Und natürlich ist deswegen im Sinne der Ideale der Wissenschaft Open Access (nicht nur) für Dissertationen wünschenswert. Und natürlich ist genau das gefährlich für alle, die Dissertationen seinerzeit nur als einen lästigen aber notwendigen Schritt ansahen, um innerhalb der deutschen, allzu titelverliebten Gesellschaft aufzusteigen.

Das alles rund um Guttenberg könnte also erst der Anfang für den wahren Schock sein.

Denn das Neue ist die Qualität, mit der auf einmal erbrachte (Schein-)Leistungen begutachtet werden können.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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