2011
Apps/Webservices des Jahres
Über die App / den Webservice des Jahres 2011 habe ich bereits einen eigenen Artikel geschrieben: Instagram.
Im privaten Gebrauch haben sich dieses Jahr Pinboard (Bookmarking), Instacast (Podcasts konsumieren) und Reeder (auf allen verfügbaren Plattformen) etabliert. Auch Kik (mobiles Messaging) und Instagram haben Einzug in meinen Alltag gehalten. Flipboard hat mit seiner iPhone-App (nicht nur) bei mir gepunktet und ist jetzt vermehrt im Einsatz als umfassender Netzwerk-Client (Flipboard ist bereits auf dem iPad regelmäßig im Einsatz). Als mobiler Twitterclient hat sich die offizielle App nach ihrem letzten ‚Update‘ endgültig verabschiedet und wurde von Tweetbot ersetzt.
Vermehrt im Einsatz sind bei mir auch Moment-Apps. Namentlich neben Instagram Soundtracking und Goodreads. Letzteres, ein fantastisches kleines Social Network rund um Bücher und Lesen, nutze ich praktisch ausschließlich mobil.
Ich habe über Groupon nicht nur geschrieben, sondern den deutschen Ableger auch recht oft benutzt.
Weitere bemerkenswerte Internetdienste, die 2011 gestartet sind oder für Furore sorgten, waren seit langem bzw. zum ersten Mal überhaupt auch einmal ein paar deutsche Angebote: Neben dem Überflieger SoundCloud, das just 50 Millionen $ erhalten hat, haben unter anderem Quote.fm (das einzig dadurch unangenehm auffällt, dass man dort Quote in Grossbuchstaben schreibt), Wunderlist, wahwah.fm, UPcload, und Amen für Gesprächsstoff gesorgt. Alle gehen ihre eigenen Wege und machen auch außerhalb von Deutschland von sich reden. Und die meisten von ihnen sitzen in Berlin.
Was uns direkt zu den Trends bringt:
Trends und Themen
Berlin.
2011 ist Berlin als internationaler Startup-Standort offiziell auf der Landkarte angekommen. Es wird spannend sein zu beobachten, wie sich das 2012 weiterentwickeln wird. Erstmals ist es auch für ausgefallenere deutsche Startups möglich, Risikokapital zu gewinnen, weil sie nicht mehr auf die leider mehrheitlich immer noch risikoaversen deutschen Kapitalgeber angewiesen sind. Letztere könnten durch den Druck, der dadurch auf dem Markt entsteht, gezwungen sein, ihre Strategien zu überdenken. (Zumindest ist der Konkurrenzdruck auf Kapitalgeberseite gut für die Startups.) Auf jeden Fall eine spannende Ausgangslage für Deutschland und Berlin im Speziellen. Om Malik von GigaOm fasst die aktuelle Situation in Berlin gut zusammen.
Ein weiterer wichtiger Trend, der 2012 für größere (Facebook-)Wellen sorgen wird, waren die ersten größeren Börsengänge von Webunternehmen. Neben dem kontroversen Groupon-IPO, sahen wir 2011 unter anderem Börsengänge von LinkedIn, Pandora und Zynga. Auch wenn viele sofort reflexhaft von einer Blase unken, wenn Webunternehmen an die Börse gehen: Die Situation ist bei weitem nicht so eindeutig, wie sie von Pessimisten oft ausgemacht wird. Mit dem bevorstehenden Börsengang von Facebook wird die Debatte noch einmal ordentlich an Fahrt aufnehmen. So oder so: Es ist aktuell keine Blase eindeutig auszumachen, die alle Unternehmen aus dem Websektor eint. Für die gesamte Branche ist es eine gute Entwicklung: Endlich gibt es für Investoren wieder eine andere Exitstrategie als der Verkauf an einen Konzern. Man stelle sich vor, wo Delicious oder Flickr heute sein könnten, wenn ein Verkauf an Yahoo! 2005 nicht die einzige Exit-Möglichkeit für Jahre gewesen wäre.
Mehr unabhängige kleine und mittelgroße Unternehmen tun der Entwicklung des Webs sehr viel besser als ADS-geplagte Konzerne mit Tentakeln in allen Töpfen.
À propros: Google hat es 2011 mit Google+ endlich geschafft, einmal keine Bauchlandung im Social-Bereich hinzulegen. Google und Google+ sind eins und gehören zusammen. Deshalb war der Start vom im Verhältnis zu Startups schnell wachsenden Google+ wichtig. Die eigenwillige Integrationsstrategie von Google+ in die übrigen Google-Produkte deutet allerdings auch darauf, dass Google weiter an relativer Bedeutung im sich schnell ändernden Web verlieren könnte; eingeklemmt in der Zange von Apple und Facebook sozusagen. Noch nie war es so unklar, wo Google in einem Jahr stehen wird. Wie lang werden zum Beispiel die Shareholder die Android-Extravaganz noch mit ansehen? (Google hat keinen direkten Einkommensstrom für Android und der Marktanteilszuwachs von Android hat sich bisher überhaupt nicht in der Entwicklung des Aktienkurses von Google widergespiegelt, wie Horace Dediu hier kommentiert.)
Ein-Mann-Webdienste: Eine recht interessante neue Entwicklung sind im größeren Stil erfolgreiche Ein-Mann-Projekte wie etwa Instapaper oder Pinboard. Auf einmal kann ein einzelner Entwickler etwas anbieten für das es noch vor fünf, sechs Jahren ein Team gebraucht hat. Das ist eine enorm spannende Entwicklung, die vor allem für spezielle Nischenangebote 2012 und darüber hinaus wichtiger (und sichtbarer) werden könnte. Ist das langfristig nachhaltig? Schwierige Frage. Meine Einschätzung: Einen Webdienst, auf den vielleicht Hunderttausende von Nutzern täglich angewiesen sind und für den sie bezahlt haben, lässt sich nur in den Anfangsjahren von einer Person betreiben. Irgendwann wird es sinnvoll, eine oder zwei Teilzeitkräfte als Minimum hinzuzuholen.
Insgesamt ist diese Entwicklung hin zur Kleinstteiligkeit, die nicht zuletzt dank Angeboten wie AWS und einem breiten Open-Source-Angebot für Entwickler erst möglich wurde, weiter zu beobachten. Sie dürfte ein wichtiges Gegenstück zum Aufstieg der von Konzernen betriebenen Plattformen werden.
Das deutsche Like-Button-Datenschutzverständnis ist zutiefst irritierend. Die sich aufwerfenden Fragen hatte ich bereits festgehalten. Hierzu war 2011 wie die Jahre davor eher ernüchternd.
Wenn wir auf 2011 in ein paar Jahren zurückblicken, werden wir es höchstwahrscheinlich als das Jahr bezeichnen, in dem mit Apples Siri alltagstaugliche Spracherkennung und Sprachsteuerung erstmals verfügbar wurde, wie ich auch im Jahresrückblick der Trackback-Sendung auf Radio Fritz ausführte. Nach Multitouch wird Sprachsteuerung die nächste große Interface-Revolution mit ihrem eigenen disruptiven Potential. Die Tatsache, dass sich die Fachmedien nicht dementsprechend überschlagen haben, dürfte in dem Umstand begründet liegen, dass es nicht annähernd so offensichtlich ist wie seinerzeit Multitouch.
Bemerkenswert fand ich auch, wie die Revolution in Ägypten und die Bedeutung des Internets darin tatsächlich diskutabel waren. Selbst die größten Offensichtlichkeiten werden von manchen Seiten versucht wegzuargumentieren, wenn es um das Netz geht.
Was war noch mal mit Diaspora? Auch 2012 wird Facebook keinen ernsthaften Herausforderer sehen.
Persönlich
2011 war das Jahr, in dem ich dank Instacast endlich ein vernünftiges Setup zum Konsumieren von Podcasts gefunden habe. Neben den üblichen Verdächtigen bin ich im Laufe das Jahres auf das Podcast-Netzwerk 5by5 gestossen. Neben The Talkshow mit John Gruber von Daring Fireball ist besonders The Critical Path mit Horace Dediu von Asymco eine konstante Offenbarung. Dediu spricht darin ausführlich über disruptive Prozesse und die Entwicklung der Technologiebranche.
Diese Podcasts waren auch der letzte Grund für mich, den ich noch brauchte, um neunetzcast zu starten. Eine Idee, die schon länger in meinem Kopf herumgeisterte.
Asymco von Horace Dediu, die Blogneuentdeckung 2010, ist 2011 zu meinem persönlichen Blog des Jahres geworden. Nirgendwo sonst findet man so treffsichere Analysen zum Stand der Technologiebranche allgemein und Apple im Speziellen. Dicht gefolgt wird Asymco von Daring Fireball, wo es John Gruber immer wieder schafft, auf hervorragende Art und Weise unter anderem das Gruppendenken der Branche offenzulegen. Wenn man nur zwei englischsprachige Techblogs lesen will, dann diese beiden. Besser wird man für den gleichen Zeitaufwand aktuell nirgendwo informiert. Ebenfalls immer wieder lesenswert war Monday Note.
Crowdfunding und Urheberecht, zwei Themen, die ich hier regelmäßig verfolge, haben erfreulicherweise an gesellschaftlicher Wahrnehmung im Laufe des Jahres immer weiter zugenommen. Insgesamt hat sich 2011 meine Themenwahl hier als mehr oder weniger genau richtig herausgestellt, um den Effekt für neunetz.com zu erzielen, den ich mir vorgestellt hatte. So weit zu den positiven Dingen.
2012
Vorhersagen sind eine knifflige Angelegenheit. In den letzten Jahren habe ich diesbezüglich zwei Dinge gelernt:
- Diejenigen Trends, die vorhersagbar sind, lassen sich besser inhaltlich als zeitlich vorhersagen. Sprich: Man kann das Eintreten von XY einfacher vorhersagen als den Zeitpunkt (das Jahr), zu dem XY eintritt.
- Menschen und damit Unternehmen folgen keinem geraden Pfad. Das bedeutet, dass Unternehmen, die heute noch die Speerspitze eines Trends ausmachen, morgen bereits aufhören können, weil die persönlichen Interessen der Gründer sich verlagert haben oder ähnliches. Von außen hat man in der Regel zum Beispiel auch keine Einsichten in die Logistik. Jochen Krisch hat in einem vergleichbaren Zusammenhang einmal davon gesprochen, dass man zur Einschätzung des zugrundeliegenden Geschäftsmodells von Groupon Geschäftsmodell und Geschäftsgebaren in der Betrachtung von einander trennen sollte.
Als ich 2008 FriendFeed als das nächste große Ding ausgemacht habe, habe ich beides nicht beachtet. Eigentlich hätte es heißen müssen: Lifestreaming ist das nächste große Ding. FriendFeed wurde ein Jahr später von Facebook übernommen. Nicht zuletzt, weil die Gründer keine nächtlichen Anrufe wegen Serverausfällen mehr bekommen wollten, wie Bret Taylor in einem Interview ausführte. Der Verzicht auf das heute bei Startups fast allgegenwärtige AWS hatte also enorme Auswirkungen auf FriendFeed, das insgesamt seiner Zeit voraus war.
Selbst heute erscheint Google+, zweieinhalb Jahre nachdem FriendFeed nicht mehr weiterentwickelt wird, wie ein erster Anfang, ein ähnliches Produkt aufzubauen. Facebook selbst hat über den Newsfeed und die Plattform Lifestreaming zu den Massen gebracht. Google+ wird mit seinem asymmetrischen Followerprinzip das Konzept noch sehr viel weiter bringen. (Auch wenn Google anscheinend (und vielleicht zu recht) Angst vor den negativen Nebeneffekten hat.)
2012 wird vor allem ein weiteres Voranschreiten der kommerziellen Plattformen zu sehen sein. Was 2011 bereits beobachtbar war, wird 2012 auch über die Branche hinaus in’s kollektive Bewusstsein gelangen, eine gesellschaftliche Debatte entfachen: Die Bedeutung der kommerziellen Webplattformen, von Amazon Kindle über Apples iOS und Googles Angeboten etc., wird immer mehr Branchen direkt oder indirekt betreffen. Die Macht der Plattformprovider wird weiter zunehmen. In Verbindung mit der Tatsache, dass es sich fast ausschließlich um US-Unternehmen handelt, sind die entsprechenden Debatten programmiert.
Im Bereich Social Web haben wir mit Google+ endgültig einen Stand erreicht, bei dem selbst professionelle Infoworker nicht mehr überall gleichzeitig aktiv sein können. Facebook ist im Mainstream angekommen. Twitter ist im Newsbereich enorm wichtig. Google+ verfolgt irgendwie beide. Gleichzeitig ist Tumblr zumindest in den USA auf dem Weg, eine eigene Plattform im Mainstream zu werden. Foursquare erobert den mobilen, ortsbasierten Bereich.
Es gibt also mehr soziale Plattformen, als einer handhaben kann. Die auf kommerzieller Infrastruktur aufsetzende digitale Public Sphere wächst und differenziert sich aus. Aggregatoren werden immer wichtiger werden; und zwar auf allen Stufen. In diesem Feld liegt sehr viel Innovationspotential.
Gleichzeitig, und das glaube ich, könnte der wichtigste Trend 2012 sein, werden Clients immer wichtiger: Mit der steigenden Bedeutung der sozialen Plattformen kommen auch sehr unterschiedliche Nutzergruppen mit unterschiedlichen Nutzungsszenarien auf die Plattformen. Clients können hier einen steigenden ausdifferenzierten Bedarf abdecken. Und zwar nicht nur innerhalb der offensichtlich betroffenen Branchen, sondern auch von Branche zu Branche. (Siehe etwa die Reisebranche als Beispiel.)
Da die Zahl der Plattformen und ihre Verbreitung sehr stark zugenommen haben, dürften wir 2012 in eine Phase treten, in der viel Innovation auf der Ebene von Apps, Mashups und, wie bereits ausgeführt, Clients passieren dürfte. Die Interdependenzen zwischen Apps und Plattformen werden ein größer werdendes Spannungsfeld werden. Denn nicht nur sind die Apps von den Plattformen abhängig, sondern auch die Plattformen von den auf ihnen stattfindenden Apps.
Die zunehmende Komplexität macht die Berichterstattung über die Entwicklung der Webunternehmen schwieriger, weil man heute mehr Expertise benötigt, als vor 5 oder 10 Jahren, als die Unternehmen noch weiße Blätter befüllt haben. Das eröffnet Marktchancen für neue Analysten, besonders im deutschsprachigen Raum. Ob sie genutzt werden, wird sich zeigen. (Ich würde für Deutschland kein Geld darauf setzen.)
Das mobile Web dürfte dieses Jahr signifikant wachsen, aber noch nicht in den Mainstream kommen und damit wirklich signifikant werden. Das wird wohl erst 2013 so weit sein. Vollkommen erscheint mir sowohl das Schicksal von webOS und auch Windows Phone 7. Beides Betriebssysteme, denen man schon aus Gründen der Ästhetik mehr Chancen gegen Android gewünscht hätte. Windows Phone 7 bleibt ein spannendes drittes mobiles OS nach Android und iOS.
Appleappleapple: Vielleicht schon dieses Jahr könnte Apple mit AppleTV den Fernsehsektor beginnen aufzurollen. Das wahrscheinlichste Szenario beschrieb John Gruber in einer Episode von The Talkshow: Weil die Anschaffungszyklen von TV-Geräten so lang sind, könnte Apple nicht nur ein eigenes TV-Gerät, sondern gleichzeitig eine Settopbox wie das aktuelle AppleTV anbieten. Das ergibt Sinn: Immerhin geht es um die Plattform. Wer die gegenseitigen Netzwerkeffekte erzeugen kann, kann einen sehr attraktiven Markt erschließen. Apples Ausgangslage mit iOS und iPhone, iPod und iPad als zusätzliche Geräte im Gesamtmix klingen sehr viel versprechend. Das Interface könnte mit Siri betrieben werden.
Eher pessimistisch bin ich auf der Seite der Inhalte: Die TV-Sender produzieren die Inhalte, und sie sind nicht bereit, ihre eigene Disruption voranzutreiben. Sie wollen sicher auch nicht wiederholen, was den Musiklabels mit iTunes passiert ist. Das macht die Ausgangslage eher schwierig.
(GoogleTV wird auch dieses Jahr nicht erfolgreich werden, selbst wenn es überall installiert ist,weil Google erst von Apple gezeigt bekommen muss, wie man das Interface richtig macht, um es dann nachbauen zu können.)
Es bleibt abzuwarten, was Apple und Google gelingen wird und wie andere Player wie etwa Boxee sich entwickeln werden. TV und Internet dürfte aber ein Thema 2012 werden. (Oder 2013, wenn die entsprechenden Produkte/Marktanteile auf sich warten lassen.)
Zu erwarten ist auch, dass Apple mit Siri weitere Produkterweiterungen einführen wird. (Dazu in einem weiteren Artikel mehr.)
Ich erwarte auch, dass Facebook dieses Jahr spätestens noch vor dem Börsengang eine größere Initiative bekanntgeben wird, um die eigenen Ambitionen zu unterstreichen. (Was auch immer das sein wird. Vielleicht ein mobiles OS.) John Gruber hatte in einer Ausgabe von The Talkshow diesbezüglich eine interessante Anmerkung gemacht: Facebook hat im Laufe des letzten Jahres sehr viele, sehr gute Designer an Bord geholt. Schaut man sich Facebook selbst an, dann hat die Site einen sehr einfach wiedererkennbaren Look. Wenn Facebook auf einem Rechner offen ist, erkennt man das sofort ohne Probleme im Vorbeigehen. Und das ist durchaus so erwünscht. Nimmt man beides zusammen, hat Facebook die Designer wohl für etwas an Bord geholt, das nicht die ursprüngliche Site betrifft.
Insgesamt dürfte 2012 ein sehr spannendes Jahr werden, weil in vielen Bereichen der notwendige Tipping-Point erreicht werden wird.
diktator says
Zum Abschluss des Jahres: Vielen Dank für dein Blog!