Nach den (vorerst?) gescheiterten Gesetzesvorhaben SOPA und PIPA scheint es bei der US-amerikanischen Internetwirtschaft einen Gesinnungswechsel zu geben. Nicht nur ist vielen in der Branche bewusst geworden, wie schamlos die Entertainmentriesen Lobbyismus betreiben, auch scheinen viele zum ersten Mal gemerkt zu haben, dass sie tatsächlich aktiv etwas ändern können - und müssen. Nicht zuletzt für ihr eigenes Überleben. (Und nebenbei für das Vorankommen der Gesellschaft, die eher von Fortschritt und dem Erhalt von Grundrechten denn von Monopolen profitiert.)
Der populäre Startup-Inkubator Y Combinator etwa ruft Startups, die direkt oder indirekt mit Hollywood konkurrieren, dazu auf, sich zu bewerben. Kill Hollywood:
Hollywood appears to have peaked. If it were an ordinary industry (film cameras, say, or typewriters), it could look forward to a couple decades of peaceful decline. But this is not an ordinary industry. The people who run it are so mean and so politically connected that they could do a lot of damage to civil liberties and the world economy on the way down. It would therefore be a good thing if competitors hastened their demise.
Der Untergang von Hollywood ist besiegelt, man sollte ihn beschleunigen, damit die gut vernetzte Branche nicht schlimmste Kollateralschäden auf ihrem Weg nach unten verursacht. Das klingt pathetisch, macht es aber nicht falsch.
Weil vielen bewusst ist, dass ähnliche Vorhaben wieder kommen und bekämpft werden müssen, rufen sie etwa zu Reformierung der Wahlkampffinanzierung auf.. Marco Arment:
Such ridiculous, destructive bills should never even pass committee review, but we’re not addressing the real problem: the MPAA’s buying power in Congress. This is a campaign finance problem.We can attack this by aggressively supporting campaign finance reform to reduce the role of big money in U.S. policy.
..und Andere rufen zurecht dazu auf, dass eigene Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht werden müssen. Wie etwa Joel Spolsky, CEO von Stack Exchange, auf Google+:
The internet seems to ignore legislation until somebody tries to take something away from us... then we carefully defend that one thing and never counter-attack. Then the other side says, "OK, compromise," and gets half of what they want. That's not the way to win... that's the way to see a steady and continuous erosion of rights online.The solution is to start lobbying for our own laws. It's time to go on the offensive if we want to preserve what we've got. Let's force the RIAA and MPAA to use up all their political clout just protecting what they have. Here are some ideas we should be pushing for:
- Elimination of software patents* Legal fees paid by the loser in patent cases; non-practicing entities must post bond before they can file fishing expedition lawsuits* Roll back length of copyright protection to the minimum necessary "to promote the useful arts." Maybe 10 years? * Create a legal doctrine that merely linking is protected free speech* And ponies. We want ponies. We don't have to get all this stuff. We merely have to tie them up fighting it, and re-center the "compromise" position.
Tatsächlich kann Defensive keine Lösung auf Dauer sein. Es scheint, als sei die absurde Unverhältnismäßigkeit von SOPA und die Tatsache, dass es kurz vor die Verabschiedung gekommen ist, die US-Internetwirtschaft endlich aufgeweckt zu haben. Jetzt wird es spannend sein, zu beobachten, ob tatsächlich Dinge auf den Weg gebracht werden, wie sie Y Combinator, Marco Arment und Joel Spolsky vorgeschlagen haben.
Es sind drei Wege, die parallel beschritten werden müssen, um einer gemessen an ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung unverhältnismäßig einflussreichen Industrie endlich Paroli zu bieten.
Der Lernprozess der jungen Internetbranche hat gerade erst begonnen. Uns hierzulande steht der Beginn noch bevor. (Manche meinen, wir hatten unseren SOPA-Moment mit Zensursula. Dem würde ich aber nur bedingt zustimmen.)