Sascha Lobo auf Spiegel Online sehr lesenswert über ACTA:
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Und genau hier tun sich eine Reihe gefährlicher Abgründe auf. Es beginnt damit, dass die Art, wie Acta und seine Brüder geboren werden, das ohnehin schon geringe Vertrauen in die Apparate der EU erschüttert. Was angesichts der derzeitigen Probleme des Kontinents gleich nach Überdachung des Mittelmeers das zweitdümmste ist, was passieren kann. Es geht weiter damit, dass eine Generation lernt, dass Politik sich nicht nur nicht an ihrer Lebenswelt orientiert - das wäre ja nur Politikverdrossenheit - sondern ihren Alltagserkenntnissen und Bedürfnissen dazu noch entgegensteht. Das schürt regelrechte Politikablehnung.
Und weiter:
alles urheberrechtliche Streben im Digitalen lässt sich zusammenstreichen auf eine simple Frage: Bezahlt jemand Geld für Kulturprodukte im Netz?
Sascha Lobo sieht die Antwort nicht nur bei Ja sondern sieht im Anstieg der Einnahmen aus den direkten Verkäufen auch die Lösung für das aktuelle Problem.
Das stimmt: Wenn ich ein Tonträgerunternehmen leite, dann will ich Tonträger verkaufen. Wenn niemand mehr CDs kauft, dann kann ich auch einfach statt CDs Dateien verkaufen. Der Verlierer ist dann nur das Presswerk als Subunternehmer oder Abteilung im Konzern.
Meine Prozesse müssen ansonsten (vermeintlich) kaum angepasst werden. Mein Verständnis vom Markt, in dem ich mich befinde, bleibt gleich: Ich verkaufe Kopien.
Das Problem liegt nun aber darin, dass wir als Gesellschaft Tonträgerunternehmen nicht brauchen. Wir brauchen auch keine Presswerke oder Druckereien.
Wir müssen keinen Tonträgermarkt schützen. Wir müssen nicht das bedruckte Papier vor dem Untergang reden.
Wir haben als Gesellschaft keine Verpflichtung bestimmte Unternehmen und ihr Geschäftsmodelle zu schützen.
Wir haben die Telegraphenhersteller nicht vor dem Telefon beschützt. Wir haben kein Faxleistungsschutz mit dem Aufkommen der Email eingeführt. Wir haben uns nicht um die Kutschenhersteller gekümmert, als Automobile aufkamen.
Wir haben allerdings als Gesellschaft ein Interesse daran, dass Kreative weiter Kultur schaffen und davon auch leben können.
Viele Studien (ein jüngeres Beispiel) zu den gesamten Umsatzzahlen der kompletten Kreativbranchen, also Musikbranche statt Tonträgermarkt, Filmbranche statt DVD- und Blu-Ray-Verkauf, zeigen steigende Zahlen für die letzten Jahre auf.
Diese steigen über den gesamten Kulturmarkt. Einzelne Bereiche, diejenigen, die wir als Gesellschaft nicht mehr benötigen (für die es eine stetig sinkende Nachfrage gibt), gehen zurück. Nicht der gesamte Kulturmarkt, nicht der gesamte Entertainmentbereich, denn diese wachsen.
Das Problem, und es ist eben ein Geschäftsmodellproblem, ist das unbedingte Festhalten an der direkten Bezahlung für die Nutzung eines Kulturprodukts. Der Verkauf von Musikaufnahmen und von Büchern war schon immer nur für einen kleinen Prozentsatz aller Kreativer das Standbein, von dem sie tatsächlich leben konnten.
Dieses schon immer kleine Standbein wird auf keinen Fall größer werden, wenn die Kunden selbst die Verbreitung und den Zugang übernehmen können. Und das ist kein Problem, wie Studien zu den Gesamtumsätzen zeigen!
Oder anders: Angenommen heute würde Musik erfunden werden, welche ersten Geschäftsmodelle würden gewählt? Der Verkauf einer Aufnahme? Was wäre mit Film, mit Büchern, wenn sie erst mit dem Internet aufkämen?
Sich auf darauf zu versteifen, bedeutet, die vielen anderen, oft erfolgversprechenderen Möglichkeiten zu ignorieren.
Siehe zum Thema auch: Erfolgversprechende Geschäftsmodelle im Filesharing-Zeitalter.