Die tatsächliche Gretchenfrage der Urheberrechtsdebatte ist: Wie gehen wir mit dieser Tatsache um?
Dirk von Gehlen über Pinterest, das Teilen von Inhalten und Verständnisprobleme:
Die Welt, die sich im Digitalen öffnet, ist grundlegend anders als jene Welt, die sich die Politiker vorstellen, die Anfang März im Kanzleramt über das Leistungsschutzrecht sprachen. Die Prinzipien, die in dieser digitalen Welt gelten, unterscheiden sich deshalb so fundamental, weil sie eine Prämisse nicht nur akzeptieren, sondern beständig fortentwickeln, die die Politik einbremsen oder gar rückgängig machen möchte: digitalisierte Inhalte sind leicht teilbar, sie sind gleichzeitig an unterschiedlichen Orten verfügbar und kaum einzubremsen. Diese Tatsache ist unabhängig von der moralischen Beschaffenheit der Netznutzer, sie hängt nicht an deren Erziehung oder am Respekt, den Bürger gegenüber Urhebern (die sie im übrigen ja selber sind) aufbringen. Diese Tatsache ist vor allem dies: eine Tatsache.
Christian Buggedei in einem Kommentar zu einem Carta-Artikel:
Es gibt viele Dinge, bei denen man die “Das ist Technik, das geht halt so und nicht anders” nicht hinnehmen muss. Da kann man neue, bessere Technik konstruieren, da kann man Verbote aussprechen und sie auch kontrollieren.Dieses eine Ding – Inhalte kopieren – ist leider eine Ausnahme. Wenn wir dieses wirksam kontrollieren und einschränken wollen, müssen wir das Internet so wie es ist abschaffen. Komplett. Eigene, spontan erstellte Seiten und Dienste wird es nicht mehr geben, jeglicher Kommunikationsvorgang muss überwacht und kontrolliert werden. Alles andere wird fast sofort umgangen werden.
Siehe auch Kristian Köhntopp:
Es ist nicht das Urheberrecht das Problem, sondern es sind mehrere Mechanismen am Werk, die strukturelle Dinge ändern:
1. Weil Kopien machbar sind werden sie gemacht. Das ist auch nicht zu verhindern, ohne daß etwas ganz schreckliches entsteht, daß niemand von uns will.
2. Weil jeder sich und seine Werke publizieren kann, fragmentiert der Markt. Dazu kommt, daß viele ihre Werke kostenlos oder zu sehr niedrigen Kosten publizieren. Dadurch entsteht ein Race to the bottom.
3. Weil jeder sich publizieren kann, und die publizierten Werke teilweise Fragmente sind, die dann wieder weiter verarbeitet werden, ist Urheberschaft teilweise ein schwer feststellbares Konzept.
Die Antwort auf die Gretchenfrage, von denjenigen, die das veraltete Urheberrecht aufrechterhalten wollen, lautet: Wir ignorieren diese Tatsache. Und wenn die Auswirkungen doch zu groß werden, bekämpfen wir sie mit allen uns zur Verfügung stehenden und mittels Politikdruck hinzufügbaren Mitteln.
Wir müssen 2012 noch immer über die Tatsache reden, dass digitale Inhalte ohne zusätzliche Kosten kopierbar sind und dass dies ein wesentlicher Bestandteil des Internets ist, der größten Kopiermachine der Welt, die immer effizienter wird.
Was sagt uns das über den bisherigen Verlauf der ‚Debatte‘?
WolfgangMichal says
„Wir müssen 2012 noch immer über die Tatsache reden, dass digitale Inhalte ohne zusätzliche Kosten kopierbar sind und dass dies ein wesentlicher Bestandteil des Internets ist, der größten Kopiermachine der Welt, die immer effizienter wird.“
Nein, darüber müssen wir nicht reden. Das ist allen seit langem klar. Dass du aber glaubst, dass wir über diese Tatsache reden müssen, zeigt, dass bei euch (ich verwende jetzt mal das pauschalisierende „euch“, sorry) eine Denkblockade existiert. Wer die technischen Verwertungsbedingungen zum Maßstab erklärt, denkt auch nur in dieser Verwerterlogik (nach dem Motto: Wenn ich für ein Produkt nichts erzielen kann, weil es leicht und kostenlos kopierbar ist, ist das Produkt auch nichts wert. Das ist die „Tatsache“, die hier vermittelt wird. Diese Betrachtung taucht auch in den Kommentaren zu meinem Beitrag auf, und das nicht zum ersten Mal. Es ist eine kaltschnäuzige Haltung, und sie wird paradoxerweise oft von Leuten vertreten, die gern hart gegen sich selbst sein wollen).So lange „ihr“ euch weigert, über Arbeit zu reden, d.h. über den Aufwand, den die Herstellung eines Produkts erfordert, werdet ihr mit den Urhebern nicht ins Gespräch kommen. Denn der entscheidende Faktor ist nicht die leichte Kopierbarkeit, sondern die Arbeit, die in einem Produkt steckt. Und da wir (noch immer) in einer Arbeitsgesellschaft leben, wird die geleistete Arbeit gesellschaftlich und politisch Vorrang vor der leichten Kopierbarkeit haben. Notfalls wird man diese Tatsache mit drakonischen Strafen gegen Kopisten durchsetzen. Ich denke, dieses Vorgehen finden wir beide gleichermaßen problematisch. Deshalb fordere ich dich und euch auf, das Ganze einmal ernsthaft vom maßgeblichen Faktor Arbeit her zu durchdenken.
Marcel Weiss says
Es fällt mir schwer mit dir zu diskutieren, weil ich weiß, dass du die Debatte verfolgst, dich aber weigerst, dich mit den Aussagen auseinanderzusetzen, die nicht in deine Ansicht des „Alle sind gegen die Urheber!“ passt.
Es geht nicht (allein) um Verwertungsbedingungen, sondern um systemische Umstände, die unveränderbar sind.
„Wenn ich für ein Produkt nichts erzielen kann, weil es leicht und kostenlos kopierbar ist, ist das Produkt auch nichts wert.“
Wert und Preis sind nicht identisch. Ersteres ist subjektiv, zweiteres ist der Kompromiss auf dem Markt.
„So lange „ihr“ euch weigert, über Arbeit zu reden, d.h. über den Aufwand, den die Herstellung eines Produkts erfordert, werdet ihr mit den Urhebern nicht ins Gespräch kommen.“
Ich beschäftige mich seit sehr langer Zeit damit, wie Kreative im Filesharingzeitalter Geld verdienen können. Hier noch einmal eine Übersicht für Vergessliche: http://neunetz.wpengine.com/urheber…
Ich stehe übrigens im Gespräch mit vielen Urhebern (bin btw. auch selbst
einer), danke der Nachfrage.
WolfgangMichal says
O.K. gehen wir mal davon aus, dass es sich nicht nur um technische, sondern um systemische Umstände handelt. Diese systemischen Umstände sind vorläufig aber noch eingebettet in eine Gesellschaft, die dem Faktor Arbeit einen extrem hohen Stellenwert beimisst. Deshalb wird diese Gesellschaft – unabhängig von meiner Meinung dazu – alles tun, um die Entwertung ihrer Arbeit durch kostenloses Kopieren zu verhindern. Oder – das wäre die Alternative, die man diskutieren müsste – die Einstellung zur Arbeit (und vermutlich auch zum Eigentum) müsste sich durch die nun mal existierenden „systemischen Umstände“ der einfachem und kostenlosen technischen Reproduzierbarkeit grundlegend ändern. Genau darüber aber – über die potentiell systemsprengende Kraft der Kopie – wollt ihr nicht diskutieren. Das war der Vorwurf meines ursprünglichen Beitrags. http://carta.info/41917/kleine…
Da reichen leider keine noch so putzigen Geschäftsmodelle auf der Basis von Almosen. Das ist reine Augenwischerei. Da müsst ihr schon mal ein bisschen grundsätzlicher werden. Das heißt, wenn ihre eure Positionen ernst meint, dann müsst ihr mehr in Frage stellen als euch möglicherweise lieb ist, dann müsst ihr eure Thesen mal zu Ende denken. Ist das nicht der Fall, dann verbuche ich die Debatte unter Sandkastenspiele.Das Zitat („Produkt ist nichts wert“), das du oben gegen mich anführst, ist – wie gesagt – ein Zitat, nicht meine Meinung. Ich habe es zitiert, weil ich dieses „Argument“ in Diskussionen oft vorgehalten bekomme.
Robin S. says
Die Chancen, dass ich beim Schwarzfahren in der Tram erwischt werden gehen gegen Null. Selbst wenn man hin und wieder erwischt wird und eine Geldstrafe fällig wird, ließe sich durch ein konsequentes Schwarzfahren der Quotient Preis/Fahrt vermutlich drücken.
Was geht, wird gemacht, wird hier (nicht zum ersten mal) behauptet. Und was im Beispiel gemacht wird ist sogar im Sinne einer Preisoptimierung auch rational. Warum kaufen sich trotzdem viele ein Ticket?
Dass ein System nur dann funktioniert, wenn es komplett „wasserdicht“ ist, also nicht hintergangen werden kann, trifft offenbar nicht zu. Dass man ausgehend von nicht zu reparierenden Löchern im System dessen totale Untauglichkeit diagnostiziert, ist auf eine Weise radikal, die die Komplexität menschlichen Verhaltens unterschätzt. Gerade aus diesem Grund ist das zitierte Argument – was geht wird gemacht – immer auch eine leicht angreifbare Apologetik des – stand heute – illegalen Kopierens.
Ich kriminalisiere hier tausende Filesharer? Ja, genau darum geht es mir. Nicht alles was geht, darf auch gemacht werden. Ein stärkeres Unrechtsbewusstsein, das auch den Bahnfahrer zum Schalter drängt, die gesellschaftliche Einsicht in eine moralische Minderwertigkeit – wer wird schon gern öffentlich als Schwarzfahrer überführt – können möglicherweise mehr leisten, als so mancher diesem menschlich moralischen Faktor zutraut. Zumindest aber ihn völlig außer acht zu lassen zeugt von einer Weltsicht, die an der Realität scheitert.
Kann man auf einer solchen von mir beschriebenen Grundlage ein Geschäftsmodell aufbauen? Wo überdies der etwas überstrapazierte Schwarzfahrer-Vergleich an einigen Stellen nicht besonders treffsicher ist? Keine Ahnung, ich präsentiere hier keine Lösung. Ich relativiere, und Relativierungen sind angesichts einer festgefahrenen ideologischen Auseinandersetzung möglicherweise hilfreicher als die Proklamation des nächsten absoluten Anspruchs.
mynonra says
@WolfgangMichal:disqus
Dass Arbeit notwendig ist, um ein Werk zu produzieren ist doch genauso seit langem jedem klar. Der Punkt von Marcel ist doch, dass man die aktuellen technischen Gegebenheiten akzeptieren und darauf aufbauend eine Diskussion um Urheberrecht/Geschäftsmodelle führen muss — nicht an den technischen Gegebenheiten vorbei.
Es bleiben dann drei Möglichkeiten:
1. Kontrolle: Jede Information die verbreitet wird, wird auf Rechtsverletzungen hin überprüft.
2. Abschreckung: Geringe Chance erwischt zu werden, dafür aber drakonische Strafen.
3. Anpassung: Geschäftsmodelle an die neuen technischen Gegebenheiten anpassen.
Ich denke die ersten beiden Punkte widersprechen jedem gesunden Rechts- und Demokratieempfinden. Über die Missbrauchsgefahren gigantischen Ausmaßes bei Punkt 1 müssen wir nicht reden und dass drakonische Strafen nichtmal zwingend abschreckend sind, dürfte auch bekannt sein. Schon heute ist das Missverhältnis von Schaden und Strafe bei Urheberrechtsverletzungen riesig. (Bsp: Lied für €1, Abmahnkosten Größenordnung €1000, man vergleiche das mal mit Steuerhinterziehung, wo sogar in jedem Fall ein Schaden entsteht)
Bleibt eigentlich nur Punkt 3: Anpassung. Dass die Einkommen der Künstler in den letzten Jahren deutlich gestiegen sind [1], zeigt, dass dies ein sinnvoller Weg ist, der sich sogar positiv auf die Einkommen der Kulturschaffenden auswirken kann.
Dafür sind meiner Meinung nach zwei Punkte förderlich:
a) moralische Verpflichtung der Nutzer für Kultur zu zahlen
b) Transparenz: Nur wer weiß, wie teuer ein Werk in der Entstehung war (und ggf. auch wie viel Einnahmen damit schon erziehlt wurden), kann wissen, ob der verlangte Preis angemessen ist bzw. was ein angemessener Preis ist.
[1] http://www.piratenpartei.de/20…
Marcel Weiss says
„Entwertung von Arbeit“ ist ein Strohmannargument. Es geht um die Veränderung von Geschäftsmodellen. Man kann mit den kostenlosen Kopien sehr gut Geld verdienen als Urheber, wenn man es richtig anpackt. Da gibt es also keine Entwertung.
Jedes Geschäftsmodell, das auf echte statt künstliche Knappheiten setzt, zu den „putzigen Geschäftsmodelle auf der Basis von Almosen“ zu rechnen, sagt viel über deine Bereitschaft aus, dir das im Detail anzuschauen.
Robin S. says
„Man kann mit den kostenlosen Kopien sehr gut Geld verdienen als Urheber,
wenn man es richtig anpackt. Da gibt es also keine Entwertung.“
Das klingt so gut, dass es einen Beleg wert wäre…
Marcel Weiss says
Die Bahn kann ihr Geschäftsmodell nicht so verändern, dass sie am Schwarzfahren profitiert. Urheber können dagegen die maximale Verbreitung ihrer Werke, die ihnen nichts zusätzlich kostet, zu ihrem gunsten einsetzen. Siehe:
http://neunetz.wpengine.com/urheber…
Marcel Weiss says
Ich bekomme das Gefühl, das viele das Klicken auf Links verlernt haben. Siehe: http://neunetz.wpengine.com/urheber… http://neunetz.wpengine.com/urheber… http://www.techdirt.com/articl…
Robin S. says
Mir ging es nicht um die Entwicklung der Bahn hin zu einem neuartigen Geschäftsmodell, sondern ob das Unterlaufen des bisherigen allein durch die Möglichkeit dazu zu rechtfertigen ist.
Marcel Weiss says
Es ist nicht einfach nur eine Möglichkeit, sondern einer der bestimmenden Merkmale der Digitalisierung. Es geht um die Tragweite.
Robin S. says
Ich verstehe deinen Artikel so, dass wegen der „Tatsache: Digitale Inhalte sind kopierbar und werden verteilt“ aktuelle Geschäftsmodelle nicht zu halten sind. Dazu führst du Argumente an, die ich teilweise nachvollziehen kann, teilweise aber relativiert habe, indem ich das menschlich-moralische als Faktor mit eingebracht habe. Welche Geschäftsmodelle in Zukunft tragfähig sind, dazu habe ich mich nicht geäußert und das war auch nicht mein Punkt.
WolfgangMichal says
@mynonra: Das Problem ist, dass Punkt 3 bisher noch immer ein Wolkenkuckucksheim ist. Bzw. der Versuch, Künstlerexistenz und Sozialhilfe gleichzusetzen.
Im übrigen ist der angebliche Beleg der Piratenpartei zum gestiegenen Einkommen wenig stichhaltig. Wer sich mit den virtuellen Einkommensangaben bei der Künstlersozialkasse auskennt (und warum sie in den letzten Jahren – wegen vermehrter Kontrollen – leicht angestiegen sind), weiß das. Ich empfehle zum Einkommen der „Kulturschaffenden“ lieber den Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“, Punkt 4: „Die wirtschaftliche und soziale Lage der Künstler“, ab Seite 229. (Drucksache 16/7000. Gibt's auch als pdf im Netz).
hubrt says
@mynonra:disqus 1,2,3 ist schon richtig, aber in der Absolutheit geht das jetzt etwas weit. Die Entscheidung liegt nicht zwischen einem 100%-Stasi 2.0, dem Gulag 2.0 oder einem anarcho-kapitalistisch-kreativem Komplex, sondern wo wir unsere gesellschaftlichen Schwerpunkte legen wollen.
In aufgeklärt-westlicher Tradition würde ich jetzt auch mal für 3. Anpassung von Geschäftsmodellen plädieren. Was nicht bedeutet, dass keinerlei Kontrollen stattfinden können. Halt bitteschön nicht als digitale Rasterfahndung, die die Gesamtbevölkerung unter Generalverdacht stellt und per minimaler Konfigurationsänderung in eine politische Netz-Stasi umgewidmet werden kann. Und dass bei Strafen und Abschreckung die Forderungen der Content-Taliban ist sicherlich auch kein Weg für eine bürgerliche Gesellschaft.
Vorsichtig wär ich mit dem Argument des gestiegenen Einkommens der Künstler, da hat der @WolfgangMichal:disqus schon recht. Die Forderung nach Transparenz ist nett. Aber „wie teuer ein Werk in der Entstehung war“ hat wenig damit zu tun, was dann auch wirklich gerne dafür bezahlt wird. Dass laut Michal alle neuen Geschäftsmodelle „Künstlerexistenz und Sozialhilfe“ gleichsetzen, mag anekdotisch richtig sein (Flattr ist kaum was anderes als der Spenden-Hut in der digitalen Fussgängerzone), aber hat mit der Realität dann doch nur wenig zu tun.
@marcelweiss:disqus Urheberrecht ist erst mal ein sehr brillantes Rechtskonstrukt, dass die Leistung des Einzelnen gegenüber den Begehrlichkeiten von finanziell Stärkeren juristisch verortbar macht. Dass es sich bei der Urheberschaft teilweise um ein „schwer feststellbares Konzept“ handelt, mag ja schon richtig sein, hat jetzt nichts mit irgendwelchen digitalen Besonderheiten zu tun. Kreation per Copy/Paste gibt es nicht erst seit Axolotol Roadkill und dem Dr Dr Dr Guttenberg (und das der Vorgang so nicht OK geht, hat jetzt nichts mit Anti-Samplingkultur zu tun).
Worüber wir reden sollten, ist wie ein Blanket Licensing funktionieren könnte. Dass es funktioniert, das wissen wir: Guten-Morgen-Ronny muss nicht jedes Mal bei Roy Blacks Erben nachfragen, ob er „Ganz in Weiss“ auch um 6:35 Uhr in seinem Dudelsender in Castrop-Rauxel spielen darf. Zugegen, der Use Case Radio (dediziertes Endgerät, klar umrissener Service, eingrenzbare Reichweite) ist ein wenig einfacher als der Use Case Netz. Aber dafür sind wir ja auch viel schlauer als der Ronny.
mynonra says
Wie sich die Einkommen der Künstler verändern, sollte man „privates Kopieren“ legalisieren oder zumindest dulden, wird letztendlich niemand seriös voraussagen können. Ich denke aber, dass man durchaus annehmen kann, dass sich nicht allzu viel ändern würde, da man ja schon heute einfach und ohne großes Risiko an kostenlose Kopien kommt.
Dass das durschnittliche Einkommen eines Künstlers eher gering ist, bestreitet die Studie ja nicht. Sie zeigt aber, dass man die Schuld dafür nicht auf schwarze Kopien im Internet abwälzen kann. Die Einkommen sind die letzten 15 Jahre mehr oder weniger konstant geblieben, es gab keinen Einbruch durch das Internet, wie gerne suggeriert wird.
Und da die Realeinkommen der Konsumenten in den letzten Jahren wohl auch eher stagniert haben, ist das ja durchaus plausibel.
mynonra says
Ich stimme dir da prinzipiell zu, nur weiß ich nicht, wie man einen Schaffner oder Verkehrspolizisten technisch implementieren kann, ohne ihm gleichzeitig die anlasslose Hausdurchsuchung, Leibesvisitation und das Abhören des Schlafzimmers zu gestatten.
Der Wert eines Werkes bemisst sich für den Konsumenten natürlich nicht aus den Entstehungskosten, sondern einzig und allein daran, was ihm der Genuss des Werkes wert ist. Dass viele Künstler wenig einnehmen, könnte auch einfach an einem großen Überangebot liegen. Und an dem begrenzten Budget der Konsumenten.
Transparenz kann aber die Zahlungsmoral steigern, gerade bei Künstlern, die nur sehr wenig einnehmen. Die Leute wollen ja neue Filme, neue Musik, neue Bücher…
WolfgangMichal says
@mynonra: Privatkopien sind ja laut UrhG erlaubt, nur eben nicht das „gewerbliche Anbieten“ (Hochladen) von Musik, Filmen oder Büchern über Tauschbörsen. Man kann das Problem stagnierender bzw. real sogar zurückgehender Einkommen auch ganz anders sehen als Sie: Wenn die Künstler durch das Internet (und die weltweite Vervielfältigung ihrer Werke) nicht drastisch mehr verdienen, dann stimmt was nicht.
Ein möglicher Weg des Interessenausgleichs zwischen Urhebern und Nutzern wäre die „Kulturflatrate für Zweitverwertungen“ („für Zweitverwertungen“ muss man immer dazu sagen, weil viele Hornis im Internet noch immer nicht begriffen haben, dass die Kulturflatrate kein Honorarersatz ist, sondern nur eine Abgeltung für die private, nicht-gewerbliche Weiternutzung bereits honorierter Werke). Das Problem vieler Künstler ist, dass sie früher durch Zweitverwertungen ihrer Werke ihre Existenz absichern konnten, etwa Fotografen, die aus ihrem Archiv heraus sichere Zusatz-Erlöse realisieren konnten, oder Journalisten, die ihre schlecht bezahlten Beiträge an 20 Regionalzeitungen weiterverkaufen konnten. Heute ist das kaum noch möglich, was einerseits am Internet, andererseits an den Buy-Out-Verträgen der Verwerter liegt.
Vertiefendes hier:
http://carta.info/23890/warum-…
hubrt says
Ich denke nicht, dass es vordringlich eine Frage der technischen Implementierung ist. Vielmehr geht es darum: was wollen wir dem Online-Polizisten (oder Schaffner) gestatten?
Wir schicken Streifenbeamte ja auch nicht zum regelmässigen Schlossertraining, damit sie sich nach Belieben Zutritt zu unseren Schlaf-, Wohn- und Arbeitszimmern verschaffen können. Klar könnten wir alle zu Schlüsseldienstlern ausbilden. Wollen wir aber nicht.
Und wenn er sich doch in Wohnung schleicht, dann macht er sich a) strafbar und b) alles, was er da findet (Kokain-Berge, Kriegswaffen, oder – schlimmer noch – 53 Downloads aus dem Darknet), kann sich ein Staatsanwalt sonstwo hinstecken.
Warum soll das Online anders laufen?
Wir öffnen auch nicht mehr alle Briefe aus dem Westen (oder, heute, wahrscheinlich dem Nahen Osten) weil Sender wie Empfänger unter Generalverdacht stehen. Wir haben uns darauf geeinigt: sowas machen Demokraten nicht. Und der Grund dafür ist nicht etwa das betriebswirtschaftliche Argument, dass es ganz schön aufwendig ist, in ganz viele Briefe reinzugucken.
Warum soll das Online anders laufen, nur weil die digitalen Pakete so schön einfach aufgehen?
Wir spielen auch nicht mehr Deutscher Herbst, und platzieren an alle Kreuzungen MP-wedelnde Schupos. Selbst damals war das Modell Rasterfahndung dann doch ein Tabu, weil teuflisch undemokratisch.
Da reicht es mir schon, wenn Google et al. die Rasterfahndung ohne Strafandrohungen als Geschäftsmodell für sich entdeckt haben.
Was wir abstecken müssen, ist der möglichst enge Rechtsraum, innerhalb dessen in Ausnahmesituationen mit richterlichem Segen Datenpäckchen untersucht, der Netzverkehr gemonitort und ausgewertet werden darf. Das ist kein technisches Problem.
mynonra says
Ok, das ist eigentlich genau mein Punkt. Gegen TKÜs in Ermittlungen bei schweren Straftaten und unter Richtervorbehalt hab ich nichts einzuwenden.
Du hattest nur geschrieben, dass es auch Kontrollen geben kann. Das klingt für mich nach stichprobenartigen Kontrollen auf Urheberrechtsverletzungen im Internet, vergleichbar mit Verkehrskontrollen auf Straßen. Da ist mein Punkt, dass das technisch nicht umsetzbar ist, ohne gleichzeitig die (intimste) Privatsphäre und das Kommunikationsgeheimnis zu verletzen.
Man könnte natürlich Polizisten abstellen, die sich durch's Internet klicken und nach Urheberrechtsverletzungen suchen, um dann zu ermitteln, wer eine Datei hochgeladen hat. Dazu bräuchte man aber ersten die VDS und zweitens könnte man, selbst wenn man am Ende eine IP-Adresse in der Hand hat, nicht mit Sicherheit sagen, wer die Datei hochgeladen hat.
Deshalb bleiben für mich die beiden Optionen, entweder gute rechtsstaatliche und demokratische Werte beizubehalten und schwarze Kopien hinzunehmen oder Rechtsstaat und Demokration mindestens zu gefährden.
mynonra says
Es stimmt natürlich, dass durch das Internet ein weltweiter Absatzmarkt entstanden ist — aber eben auch eine weltweite Konkurrenz. Dazu senkt das Internet noch die Hürde Werke zu veröffentlichen, was zu noch größerer Konkurrenz führen dürfte. Angebot und Nachfrage dürften sich also eher zu Ungunsten der Künstler verschoben haben.
Privatkopien nach dem UrhG sind ausschließlich Kopien vom legal erworbenen Original. Mit „privatem Kopieren“ meinte ich hingegen jede Kopie, unabhängig von der Quelle, für den rein privaten Gebrauch.
Es gibt sicher einiges das für und einiges das gegen eine Kulturflatrate spricht. Sie würde allerdings nur das Problem der Einkommen der Kulturschaffenden angehen, nicht aber das der privaten/legalen/illegalen Kopien im Internet.