Dirk von Gehlen schreibt auf sueddeutsche.de über die Kulturflatrate:
Pauschale Vergütungssysteme sind in vielen Bereichen bereits Alltag in diesem Land. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird ebenso über eine Pauschale finanziert wie die Verwertungsgesellschaften Gema und VG Wort in dieser Art Tantiemen für Künstler ausschütten.
Das stimmt. Wer pro Kulturflatrate ist, sollte sich die Vor- und Nachteile von GEMA über ÖR bis VG Wort genau anschauen.
Begründet wird die Kulturflatrate immer damit, dass sie notwendig ist, um Filesharing und damit unsere heranwachsenden Generationen zu entkriminalisieren. Ist sie wirklich notwendig?
Ein Vorgang, der gerade einer jungen Generation so selbstverständlich erscheint wie den Älteren der Besuch in einem Copyshop, wird kriminalisiert und mit Strafen belegt. Das führt zu einem massiven Legitimationsproblem des Urheberrechts und zu einer Spaltung der Gesellschaft. Beides ist nicht wünschenswert, wer aber pauschale Vergütungssysteme ablehnt, verstärkt diese Tendenzen noch.
Die implizite Annahme: Unautorisiertes Filesharing sorgt für mehr Schaden als Nutzen. Dieser Schaden muss kompensiert werden. Also: Kulturflatrate als Kompensationswerkzeug.
Was aber, wenn unzählige Studien zeigen, dass die Gesamtumsätze der betroffenen Kreativbranchen steigen?
Dann wird die Legitimationsgrundlage bereits schwieriger. Es wird insgesamt nicht sonderlich schwierig, weil es bei der Urheberrechtsdebatte auf keinen Fall um ärgerliche Nebensächlichkeiten wie die Realität geht, aber doch immerhin ein kleines bisschen aufwendiger.
Die Kulturflatrate ist keine Lösung für ein Problem, das viele im Filesharing sehen.
Denn wenn man etwas aus den Studien herauslesen kann, dann dass die positiven Effekte die negativen branchenweit (also medienunabhängig) eher zu überwiegen scheinen.
Wer sind dann die Verlierer, die sich lautstark beschweren? Kreative und Rechteverwerter, die sich nicht anpassen wollen oder können. Während der Gesamtumsatz der eigenen Branche wächst, reden diese von Marktversagen. (Während es eigentlich das eigene Geschäftsmodellversagen ist.)
Wenn wir eigentlich gar kein Problem haben, warum suchen wir dann nach einer Lösung? Weil die am stärksten Betroffenen des Wandels die größten Unternehmen der Branchen sind. Die großen Konzerne, die sich auf die industrielle Verwertung von Rechten spezialisiert haben. Die Unternehmen, deren Prozesse, ja, deren Existenzberechtigung auf der Verbindung zwischen immatierellem Gut und physischen Träger basiert.
Diese schreien am lautesten und beschäftigen die meisten Lobbyisten und Anwälte.
Wenn die Kulturflatrate keine Lösung ist, was ist sie dann? Sie ist ein Wegezoll für diese großen, einflussreichen Unternehmen. Sie ist der Wegezoll, den wir als Gesellschaft werden bezahlen müssen, um ein halbwegs modernes Urheberrecht zu bekommen.
Dirk von Gehlen:
Im Bereich der Kassettenkopie ist also bereits Realität, was im Bereich der Digitalkopie ummöglich sein soll: Die Leermedienabgabe hat weder zu einem Ende der Kultur geführt, noch hat sie einen bürokratischen Überwachungsapparat genährt (wobei man über eine Reform der Gema gesondert reden könnte).
Wir haben bereits Leermedienabgaben und zahlen zum Beispiel etwa bereits 36 Euro Pauschalabgabe pro Smartphone.
Warum wird nirgendwo aufgeschlüsselt, wie viel davon tatsächlich an Kreative geht und wie viel bei Mittelsmännern hängenbleibt, die keine zusätzliche Leistung hierfür erbringen mussten? Und wie viel geht davon an aktive Kreativschaffende und wie viel an durch Verteilungsschlüssel begünstigte Erben?
Warum heißt es nie: 'Ja, Filesharing ruiniert unser Geschäft, aber X Prozent werden wenigstens von den Einnahmen über die Leermedienabgaben gedeckt'?
Die bereits existierenden Pauschalabgaben, die landesweit addiert signifikante Höhen erreichen dürften, werden immer ignoriert. Warum?
Weil ein Unternehmen, dass seinen Gewinn maximieren will, niemals genug von einer staatlich garantierten Pauschale bekommen kann. Mehr ist immer besser und deswegen ist der aktuelle Satz immer zu wenig. (Und das gleiche gilt für Schlagerstar-Erben in der GEMA, die dort keine unbedeutende Gruppe stellen.)
Die Leermedienabgaben lehren uns also sehr wohl etwas, das auch negativ sein kann: Solche Pauschalabgaben fördern undurchsichtige Bürokratiedschungel, in denen viel Geld in der Administration versickert und deren Ineffizient sprichwörtlich ist.
Nun könnte man argumentieren, dass diese systemischen Nachteile hinzunehmen seien, denn sie schaffen immerhin eine Kompensation für diejenigen Kreativen und Verwerter, die sich weigern, sich den Veränderungen anzupassen und wie ihre Kollegen zum Umsatzzuwachs ihrer Branchen beizutragen.
Diese bereits schwache Position wird nicht besser durch die Komplexität der Aufgabe, die die Kulturflatrate erfüllen sollte. Internet und Digital ist eben nicht wie Kassetten und Industrie vor ein paar Jahrzehnten. Wer ist zum Beispiel im Musikbereich empfangsberechtigt? Jeder, der Audio veröffentlichen kann - also Jeder - oder nur registrierte GEMA-Mitglieder? Wollen wir gleich de Verteilungschlüssel der GEMA übernehmen, damit die Schlagerstar-Erben uns nicht weinend auf der Straße zusammenbrechen?
Ich hatte mich bereits mehrfach mit den Details einer Kulturflatrate beschäftigt. Die Fragen zur Umsetzung sind endlos und nach wie vor unbeantwortet:
Niemand hat bisher erklärt, wie eine Bemessungsgrundlage auf Stichproben mit dem Long Tail vereinbar sein soll. Wer meint, das sei kein Problem, frage mal im Elektronikmusikbereich nach, wie man dort zur GEMA steht.
Niemand hat bisher erklärt, wie eine Bemessungsgrundlage ohne Stichproben aussehen soll.
Niemand hat bisher erklärt, wie ein fester Kuchen an auszuschüttenden Geldern sich auf eine Branche auswirkt, wenn ihre größten Unternehmen von ihm abhängen. Besonders, wenn man bedenkt, dass ein solches System bereits beteiligte Akteure schlechter stellt, wenn neue Werke zur Ausschüttung hinzukommen.
Niemand hat bisher erklärt, wer was wofür bekommen soll. Und das, während praktisch jeder Bürger im Netz heute nicht nur Urheberrechtsverletzer sondern auch Urheber ist!
Die Umsetzung einer Abgabe auf Leermedien wie Audiokassetten in einer Zeit in der Musik industriell verbreitet wurde, war dagegen recht einfach: Die potentiellen Empfänger waren verhältnismässig leicht auszumachen und verhältnismäßig in der Anzahl leicht überschaubar. Trotzdem dürfte es enorme Unterschiede zwischen Verteilung und Realität der Verbreitung gegeben haben.
Diese übersichtliche Welt existiert heute nicht mehr.
Aber das ist auch egal: Dieter Gorny, Lady Gaga und Coldplay sollten die größten Nutznießer einer Kulturflatrate sein, alles andere an Kultur ist Nebensache. Denn die Kulturflatrate ist keine Kulturlösung sondern der Wegezoll für diejenigen einer Industrie, die dort noch etwas zu verlieren haben. Diejenigen, die am lautesten schreien. Diejenigen, die es mit Hinterzimmerpolitik auf masslos ausgeweitete exklusive Rechte gebracht haben und damit unsere Kultur in Geiselhaft genommen haben. Diejenigen also, die nur gegen einen Wegezoll aus dem Weg gehen werden.
Eine Kulturflatrate wäre also eine Art lebensverlängernde Massnahme für Rechteverwerter. Eine sehr ineffiziente noch dazu. Keinerlei Probleme von Kreativschaffenden würden damit gelöst. Immerhin haben auch all die Pauschalabgaben, die wir bereits haben, keine Probleme gelöst, sie bestenfalls nur gelindert.
Wer sich für das Thema interessiert: Ich habe 2009 in meiner Zeit bei netzwertig.com dort einen ausführlichen Artikel über die Herausforderungen einer Kulturflatrate geschrieben. Ich habe bis heute keinen Text zu diesem Thema gelesen, der meine Bedenken dazu widerlegen konnte (oder überhaupt ansprach). So viel zur Debatte.