Vor einigen Wochen schrieb ich darüber, welche negativen Effekte exklusive Rechte wie das Urheberrecht haben können:
Tatsächlich verlangsamt das bestehende Urheberrecht, weil es rein ökonomisch betrachtet ein Monopolrecht auf Verwertung ist, die Veränderungen in den Geschäftsmodellen. Es hält sie aber nicht auf.
Die Kreativbranchen sind einer Disruption ausgesetzt, der sie sich widersetzen können, weil ihre Prozesse gesetzlich abgesichert sind. Das macht Veränderungen schwerer als in Branchen, in denen keine Gesetze Prozesse schützen. Aufhalten lassen sich diese aber nicht. Warum? Weil die veränderten Rahmenbedingungen die Auslöser sind. Und diese Rahmenbedingungen können nicht mit Gesetzen weggeschrieben werden. (Zumindest nicht in einem demokratischen Rahmen. Letztlich lässt sich gesetzlich auch festschreiben, dass man sich in der Öffentlichkeit nur mittels silly walking fortbewegen darf, wenn man dafür eine Mehrheit findet, die man nicht finden wird.)
Aber wie stark sind diese Effekte tatsächlich? Bisher hat sich noch niemand näher damit beschäftigt. Bis jetzt. Nun liegt eine erste Befragung von Brancheninsidern von sowohl der Startupseite als auch der Labelseite darüber vor, welche Effekte auf die digitale Musikbranche das Gerichtsurteil zu Napster und das daraus folgende Verhalten der Labels gegenüber Startups hatte.
By interviewing 31 CEOs, company founders and VPs who operated in the digital music scene during the past 10 years, Associate Professor Michael A. Carrier at Rutgers University School of Law has produced a most enlightening report on the decade long aftermath of the Napster shutdown.
TorrentFreak hat einige Zitate aus der Studie herausgezogen:
It started with a drain on cash. Interviewees reported that venture capital funding for digital music “became a wasteland”, a “scorched earth kind of place” housing a “graveyard of music companies.” With the big labels choosing where and when to sue, funding was hard to come by.
[..]
One recalled that the labels “don’t license you if you don’t have traffic” but once enough footfall is achieved then “they want to get paid for ‘infringement’ and the longer it takes to license you, the larger the ‘infringement’ number they can justify charging you.”
Another described a litigation “Ponzi scheme” whereby settlements and other fees extracted from startups were used to fund the labels’ ongoing litigation strategy. However, like all Ponzi schemes there was a problem – maintaining momentum. “Once you stop suing new people there are no new settlements to pay for the ongoing litigation,” one interviewee reported.
But the labels weren’t always unreceptive to new ideas – as long as they were bad ones. The report notes that the labels were happy to take “big, up-front fees” of “10, 20 million bucks” from startups they knew wouldn’t make it. Carrier reports that a leading officer from one label admitted that they would “cripple the companies by demanding such advances and guarantees that they go belly up.”
Established services couldn’t make progress with the labels either, even when they did everything they could to avoid copyright issues. One, that boasted several million users and “interest from top-tier VCs – really the top of the top,” was also sued by the labels.
“After they sued us, our opening offer to them was: ‘You guys made your point; we will charge anything you want to charge, and you can take any percentage you want to take,” a respondent reported. “It was literally an offer of a blank check.” The labels refused and said they wanted the service shut down instead.
[..]
“You do what you want until one day you can’t and they come and your tail light’s broken.”
Das ist das fürchterliche, demprimierende Ergebnis einer Branche, die von Monopolisten bestimmt wird.
Man sollte Dieter Gorny kein Wort glauben, wenn er davon spricht, wie seine Industrie, die Tonträger-Riesen, in den letzten zehn Jahren innovativ waren und neue Produkte entwickelt haben. Sie haben wie alle Unternehmen auf Disruption reagiert: Mit Ignoranz und Desinteresse. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass sie rechtlich in die Lage versetzt waren, potentielle Disruptoren einfach auszuschalten; und das knallhart, man könnte auch sagen mafiös, so lang verfolgt haben, wie es möglich war. Ohne das unkontrollierbare Filesharing würde es deshalb bis heute kein Spotify und co. geben.
Das ist ein enorm wichtiges Thema. Denn entgegen der öffentlichen Wahrnehmung dürfte dieses Verhalten der großen Labels wirtschaftlich weitaus schädlicher für den gesamten Musiksektor gewesen sein als illegales Filesharing, weil es jede Form von neuen Angeboten im Keim erstickt hat und keine Investitions- und Innovationskultur zugelassen hat. Schade deshalb, dass die Studie zum Teil von Google finanziert wurde, was ihre Ergebnisse leider für viele sofort invalide macht, und die Interviewten sich nur anonym beteiligten.
Mittlerweile gibt es wieder Millioneninvestitionen in Musikstartups. Ein Grund dürfte auch sein, dass die Majorlabels an Marktmacht verlieren und besonders in den USA langfristig konstante Einnahmequellen abseits des CD-Verkauf benötigen. Die Angst existiert aber weiterhin, wie ich auf neumusik.com beschreibe:
- Startups: Majorlabels killed the Webmusic-Star
- Y Combinator Startup School: “Gründet keine Musik-Startups.”
Spannend zu dem Thema könnte auch die kommende Breitband-Sendung werden:
Wir werden nicht über Acta, das Leistungsschutzrecht und Netz-Sperren sprechen, sondern der Frage nachgehen, ob und wie das geltende Urheberrecht Innovation behindert. Warum gibt es kein Spotify für Filme? Hätte Google Books in Deutschland entstehen können? Inwiefern wird Open Access durch geltendes Recht ausgebremst? Wie wirkt sich das geltenden Urheberrecht auf kolaborative Arbeiten mit ungezählten Urhebern aus? Wir gehen auch der Frage nach, was Urheberrecht eigentlich bewirken soll und was diskutierte Alternativ-Modelle verbessern würden. Thema ist sicher auch, wie man eigentlich nicht eingetretene Innovation wissenschaftlich misst.
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