Im Koalitionsvertrag (PDF) der großen Koalition zwischen SPD und CDU/CSU heißt es zum Thema Netzneutralität auf Seite 49:
Der Erhalt des offenen und freien Internets, die Sicherung von Teilhabe, Meinungs- vielfalt, Innovation und fairer Wettbewerb sind zentrale Ziele der Digitalen Agenda. Der diskriminierungsfreie Transport aller Datenpakete im Internet ist die Grundlage dafür. Dabei ist insbesondere auch sicherzustellen, dass Provider ihre eigenen inhaltlichen Angebote und Partnerangebote nicht durch höhere Datenvolumina oder schnellere Übertragungsgeschwindigkeit im Wettbewerb bevorzugen. Neutralität ist auch von Suchmaschinen zu verlangen, die sicherstellen müssen, dass alle Angebote diskriminierungsfrei aufzufinden sind.
Besonders der letzte Satz, der nicht wirklich zu diesem Thema passt, sticht heraus. Er erinnert an die Forderungen der Presseverlage, besser in den Suchergebnissen gerankt zu werden, weil sie Presseverlage sind.
Hubert Burda fordert das implizit bereits seit längerem. Im November 2011 schrieb ich dazu:
Burda will keine Gleichbehandlung. Er will ein Ergebnis, bei dem die Inhalte der VDZ-Mitglieder immer vorn stehen. Wie soll das bei einer Plattform wie Facebook geschehen? Soll Facebook die Links von Freunden zugunsten der Links von Pressepages im Newsfeed nach unten schieben?
Wie soll eine ‘Suchneutralität’ bei Google aussehen? Google muss gewichten. Man kann auch nicht fordern, auf der Frontseite der Zeitungen genannt zu werden und das ‘Presseneutralität’ nennen.
Nun hat sich Google in den letzten zwei Jahren stark verändert. Die Situation ist komplex geworden, nicht zuletzt mit der Integration von Google+.
Was hier allerdings im letzten Satz steckt, könnte leicht zu einem zweiten Presseleistungsschutzrecht werden.
Weiter heißt es zur Netzneutralität:
Die Gewährleistung von Netzneutralität wird daher als eines der Regulierungsziele im Telekommunikationsgesetz verbindlich verankert und die Koalition wird sich auch auf europäischer Ebene für die gesetzliche Verankerung von Netzneutralität einsetzen. Die Bundesnetzagentur wird ermächtigt und technisch sowie personell in die Lage versetzt, die Einhaltung dieses Ziels zu überwachen. Zudem müssen Mobilfunkanbieter Internettelefonie gegebenenfalls gegen separates Entgelt ermöglichen.
Das klingt grundsätzlich erst einmal positiv für eine gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität. Wenn wir allerdings zum letzten Absatz zu diesem Thema im Koalitionsvertrag kommen, sehen wir recht deutlich, dass es alles eine Frage der Definition von Netzneutralität ist:
Das so genannte Best-Effort-Internet, das für die Gleichberechtigung der Datenpakete steht, wird in seiner Qualität weiterentwickelt und darf nicht von einer Vielzahl von „Managed Services“ verdrängt werden. Netzwerkmanagement muss allerdings dort möglich sein, wo es technisch geboten ist, damit bandbreitensensible Daten und An- wendungen verlässlich und ohne Verzögerung übertragen werden bzw. zum Einsatz kommen können. Deep Packet Inspection (DPI) zur Diskriminierung von Diensten oder Überwachung der Nutzerinnen und Nutzer werden wir dagegen gesetzlich untersagen.
„Manged Services“, der Begriff der Telekom für eigene Dienste, die gesondert behandelt werden, hat bereits Eingang in die Sprache des Koalitionsvertrags gefunden. Die Deutsche Telekom hat ebenso wie die Presseverlage vor vier Jahren also im Vorfeld der Bundestagswahl anscheinend alles politisch richtig gemacht, um die Koalitionsverhandlungen der neuen Regierung in die gewünschte Richtung zu lenken.
Das „Best-Effort-Internet“ „darf nicht von einer Vielzahl von „Managed Services“ verdrängt werden“ bedeutet: „Managed Services“ sind erlaubt. Es dürfen nur nicht zu viele sein. Das ist schwammig genug formuliert, um festzuhalten, dass die künftige Bundesregierung hier keine klaren Grenzen ziehen wird.
Unklar ist, wie das mit der vorher gemachten Aussage zusammen gehen soll: „Dabei ist insbesondere auch sicherzustellen, dass Provider ihre eigenen inhaltlichen Angebote und Partnerangebote nicht durch höhere Datenvolumina oder schnellere Übertragungsgeschwindigkeit im Wettbewerb bevorzugen.“
Dieser Satz ist erfreulich eindeutig. Aber hier könnten die „bandbreitensensiblen“ Daten zum Zuge kommen, also etwa Web-TV-Angebote oder Musik; „bandbreitensensibel“ ist immerhin auch Auslegungssache: „Netzwerkmanagement muss allerdings dort möglich sein, wo es technisch geboten ist, damit bandbreitensensible Daten und Anwendungen verlässlich und ohne Verzögerung übertragen werden bzw. zum Einsatz kommen können.“
Was im Koalitionsvertrag damit implizit abgesegnet wird:
- Die Drosselungspläne der Telekom, die die Grundlage für den Zwei-Klassen-Zugang zum Netz sind
- Der Weg der Telekom und anderer hin zu einem Zwei-Klassen-Zugang zum Netz
Da die Marktanreize der Internetprovider eindeutig sind, wird das reguläre Internet in Deutschland Stück für Stück an den (Drossel-)Rand gedrängt werden.
Besonders für die bereits mächtige Deutsche Telekom öffnen sich hiermit enorme Netzwerkeffekte.
Eine gesetzlich geregelte Netzneutralität, die der Telekom etwa das Bevorzugen eigener Dienste und Kooperationen zum Beispiel mit Spotify unterbindet und damit einen datendiskrimierungsfreien Internetzugang sicherstellt, wird es nicht geben.
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