Steffen Meier fasst lesenswert den historischen Hintergrund der Buchpreisbindung und die aktuelle Situation zusammen. Im Falle eines Wegfalls der Buchpreisbindung sieht er eine zunehmende Monopolisierung des Marktes, weil große Marktteilnehmer wie Amazon1 ihre Position noch stärker in den Verhandlungen mit Buchverlagen ausspielen könnten:
In Zeiten, in denen hierzulande eine komplette Generation jede Suche bei Google und einen Kauf bei Amazon beginnt (man verzeihe diese plakative Zuspitzung, möge sich doch aber bitte unter den Jüngeren im eigenen Bekanntenkreis einmal umsehen) kann dies nur zu weiterer Marktkonzentration führen. Um etwa im E-Book-Bereich mit niedrigen Preisen wirtschaftlich sinnvoll zu operieren und damit sowohl Nachfrage zu wecken als auch zu befriedigen braucht es den Zugang zu großen potentiellen Käufergruppen – und eine möglichst große Portokasse. “Kampfpreise” würden hier zu weiterer Monopolisierung oder Oligopolisierung führen. Allein die Konditionenverhandlungen zwischen Verlagen und großen Plattformen mag man sich gar nicht vorstellen. Oder, wie Volker Oppmann ergänzt: “Dazu operiert Amazon aufgrund der unterschiedlichen Steuersätze aus Luxemburg (3%) heraus mit 16% Margenvorteil gegenüber deutschen Wettbewerbern (19%) – im Falle eines Wegfalls der Preisbindung würde es eine massive Rabattschlacht geben und es würde ein einziger Anbieter am Markt übrig bleiben. Game over.”
Ich sehe das etwas anders. Es ist überhaupt nicht gegeben, dass die Buchpreisbindung gegen Amazon hilft. Tatsächlich gehe ich vom Gegenteil aus. Amazon ist zuvorderst ein Onlinehändler, bei dem seine Kunden davon ausgehen, dass sie
a.) nahezu alle Produkte vorfinden &
b.) diese Produkte kaufen können.
Man sollte nicht den Fehler machen und in diesen Dimensionen darüber nachdenken, wie man Amazon gefährlich werden kann. Ein Amazon-Nachbau wird Amazon nicht vom Thron stoßen. Erst recht nicht, seit Amazon mit Prime auf Produktbündelung auf einer Ebene setzt, auf der fast niemand mit ihnen aufgrund ihrer Größenordnung konkurrieren kann.
Nein, man kann nur und muss Amazon asymmetrisch angreifen, wenn man es denn angreifen will. Das heißt, mit Geschäftsmodellen, die sich nicht mit dem Sortimentsverkauf von Amazon vertragen. Ansätze, die Amazon im besten Falle den Boden unter den Füßen wegziehen. Zum Beispiel Abomodelle, etwa auch gekoppelt mit neuen Produktionsprozessen, spezialisiertes, vertikal integriertes Crowdfunding und spezielle Serviceansätze, die direkt an das E-Book/Buch gekoppelt sind. Alles, was möglich wird, wenn man sich auf den Inhalt und nicht auf dessen Container konzentriert.
Die Buchpreisbindung verhindert diese Experimente.
Ein weiteres Problem2: Amazon experimentiert mit neuen Ansätzen wie Kindle Worlds. Das Modell hinter Kindle Worlds wäre zum Beispiel etwas, das Amazon Probleme bereiten könnte, wenn es von einem Konkurrenten kommen würde. Denn es würde am Komplettangebot kratzen. Dass Amazon aber trotz Marktführerschaft innovativ bleibt, macht es für die Konkurrenten nicht einfacher.
Würde all das etwas gegen den Vormarsch von Amazon ausrichten? Vielleicht, vielleicht nicht. Das ist aber auch die falsche Frage.
Die Frage ist, wie nachhaltige digitale Strukturen auch in der Buchbranche entstehen können. Dort wie in anderen Branchen können sie nur aus Experimenten in der Wildbahn erwachsen. Alles, was diese Experimente zurückhält, hat tendenziell weitreichende negative Nebeneffekte.
Was man zumindest festhalten kann: Es sieht aktuell nicht danach aus, als würde die Buchpreisbindung den Vormarsch von Amazon spürbar aufhalten. Sie ist, wenn überhaupt, dann nur ein weiterer Grund für Amazon, um selbst ins Verlagsgeschäft einzusteigen.
cs115 says
Beim Thema Buchpreisbindung bin ich immer etwas gespalten, aber vor allem unter deinen letzten Absatz würde ich drei große Ausrufezeichen setzen. Sobald Amazon sich entscheiden sollte, wirklich groß ins Verlagsgeschäft einzusteigen (inkl. eigener Lizenzausgaben und womöglich unter Wiederbelebung des guten alten Buchclub-Modells – und Prime würde sich dazu eignen), könnte die Buchpreisbindung zur Waffe in der Hand des Feindes ihrer eigenen Verfechter werden. Dass das nicht längst passiert ist, ist vielleicht einfach dem Umstand zu verdanken, dass (v.a. gedruckte) selbstverlegte Bücher schlicht zu wenig Marge bringen bzw. kleinteilig und damit schlecht zu automatisieren sind, als dass es für Amazon wirklich attraktiv wäre.
Im von Meier verlinkten Wikipedia-Artikel zu Kröner ist im Übrigen schön nachzulesen, dass die Buchpreisbindung ursprünglich einfach ein Lobbyprojekt des kleinen und mittelgroßen stationären Buchhandels war, um die großen Versandhändler daran zu hindern, den Markt mit günstigen Büchern zu überschwemmen (!). Erst in der Verargumentation gegenüber Öffentlichkeit und Gesetzgeber ist sie dann zur Bewahrerin der kulturellen Vielfalt umetikettiert worden. Es hat damals ganz gut funktioniert, daher rührt vermutlich auch der unverbrüchliche Glaube der konventionellen Player an dieses Wundermittel.