Die zu Yahoo gehörende Fotocommunityseite Flickr hat also gestern ein paar internationale Versionen gelauncht. Unter anderem Eine für Deutschland. Und führt damit ein neues ‚Feature‘ ein: den unabschaltbaren Safesearchmodus für (u.a.) deutsche Nutzer. Man bekommt nur noch jugendfreie Bilder zu sehen. Unabhängig davon wie alt man selbst tatsächlich ist -es gibt keine Einstellmöglichkeit. Ich habe sogar irgendwo gelesen (finde die Quelle leider nicht mehr), dass seit der Umstellung manch deutscher Nutzer nicht einmal eigene(!) Bilder sieht, die als „moderate“ oder „restricted“ eingestuft sind. Holla, die Waldfee.
Bleed von der de:bug hat ein wenig recherchiert:
Meine verkrampfte Suche nach Bildern die Deutsche (oder auch Singapuris) nicht sehen dürfen, brachte mich z.B. auf die Suche nach sexy . Mir, dem Yahoo-Ami sagt Flickr da: “Wir haben 420.902 Ergebnisse für Fotos zu sexy gefunden.” Mir, dem Bundesadler-Yahooligan gehts da ganz anders. “Wir haben 356.531 Ergebnisse für Fotos zu sexy gefunden.” Mist.
Und er findet teilweise absurde Beispiele an rausgefilterten Fotos. Er zweifelt auch die Sinnhaftigkeit des Ganzen an:
Zensur ist das jedenfalls alles nicht, sondern nur Programmier-Irrsinn. Offizielle Erklärung ist, dass das irgendwas mit den bundesdeutschen Gesetzen zu tun hat. Ob die wirklich bei Flickr jemand richtig verstanden hat, oder ob die einfach nur zu ernst genommen wurden, oder ob irgendjemand überhaupt weiss, was sie sagen und warum sie zu einer so skurrilen Lösung führen, ist und bleibt vermutlich für immer, fragwürdig bis ungeklärt.
Don Dahlmann auf der anderen Seite sieht hier eindeutig Zensur und äußert Bedenken, die viele flickrnutzer teilen dürften:
Wenn das deutsche Innenministerium plötzlich der Meinung ist, dass Fotos von Demonstrationen, in denen man zum Beispiel prügelnde Demonstranten oder Polizisten sieht, unter dem Verdacht stehen, zur „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ beizutragen, oder unter anderen Gründen nicht gerne gesehen werden, wird Yahoo/Flickr diese Bilder zensieren.
Zulässig ist das Zensurargument meines Errachtens durchaus. Eben weil flickr aufgrund seiner schieren Größe -auch ohne massive Oldtimerabbildungen- ein gesellschaftlich relevantes Gewicht zumindest für Netizens erhalten hat. Wer zu aktuellen Geschehnissen Fotos im Netz sucht, der geht zuerst zu flickr.
Jemand zu hause bei Yahoo?
Mir stellt sich nun bei dem aktuellen Vorgehen nur eine Frage: Was zum Teufel hat man sich bei flickr gedacht? Hat man ernsthaft geglaubt, die User würden nicht auf die Barrikaden gehen? Hat dort niemand was vom digg-Aufstand mitbekommen?
digg-Aufstand reloaded*
Nebenbei: meine dort geäußerten Annahmen , wann eine Revolte auf einer Communityseite funktionieren kann, treffen vollständig auf flickr zu: Wenn eine Peergroup durch die Struktur des Dienstes und dessen Content-Verteilungsmechanismus eine signifikante Zahl an Usern erreichen kann, geht’s rund. Das geschieht nun hier nicht über das Diggen der Stories mit der verbotenen Nummer sondern durch das Einstellen von Bildern mit Slogans (Wie in der Vergangenheit schon öfter geschehen auf flickr). Der Effekt ist der Gleiche: Jeder aktive Nutzer wird über kurz oder lang davon erfahren, selbst wenn er nicht davon betroffen ist (zB als US-User ).
Damals schrieb ich zu den Voraussetzungen einer Revolte ähnlich der auf digg:
Voraussetzung: eine kritische Masse an Usern, die die Gesamtheit der anderen Nutzer erreichen kann (in diesem Fall digg-Thread auf der Homepage). Ist das möglich und entspricht das Thema in etwa dem Konsens der meisten Nutzer, ist eine solche Community durch nichts mehr aufzuhalten.
Genauere Informationen zum flickr-Aufstand findet man bei pl0g.de .
Des Users Verlust ist Yahoos Verlust
Und es setzt sich auch fort, was ich schon mal bei der Zwangsumstellung von flickraccounts auf yahooIDs erwähnte: Yahoo macht sich mit seiner Userunfreundlichkeit weiter unsympathisch und jeder Dienst, der künftig noch von Yahoo übernommen wird, wird viele User bestürzt auf den Umgang des Konzerns mit flickr schauen lassen und veranlassen schon mal vorsichtshalber sich über Alternativen zu informieren.
Dass sich Yahoo an anderer Stelle auch nicht mit Ruhm bekleckert sondern im Gegenteil eher moralisch fragwürdig verhält , wirft nur noch mehr Öl ins Feuer.
Aussicht?
Kommt denn auch bald der Tag an dem ich auf Yahoos del.icio.us nur noch deutsche Seiten oder für Deutschland zugelassene Seiten sehe? IP-Filter böten sich ja hierfür auch noch an..
Prost Mahlzeit.
UPDATE: Das große Abwandern weg von flickr hat eingesetzt. Und wird auf den deutschen Blogs dokumentiert. Ich kann Jedem nur zooomr empfehlen, auch wenn die 3 ‚o’s nerven. Bin bei Denen seit reichlich einem Jahr und die werden immer besser.
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*neunetz.com, heute mit extra ausgelutschter Matrixverballhornung
[tags]flickr, userrevolte[/tags]
Carsten Pötter says
Gute Zusammenfassung. Yahoo war mir bislang eigentlich immer sympathisch; sie hätten DIE Firma des Web 2.0 sein können (man schaue sich nur ihre Übernahmen an), aber offensichtlich haben sie das alles überhaupt nicht verstanden.
Marcel Weiß says
Spätestens auf der oberen Managementebene und in der Rechstabteilung ist auf jeden Fall Schluß mit einem Verständnis für die neuen Vorgänge im Netz.
Yahoo hat auch bis heute es nicht geschafft eine einheitliche Strategie für seine ganzen Seiten zu entwickeln, geschweige denn eine Corporate Identity. Man schau sich dagegen mal ein Googleprodukt an. Da sieht man immer sofort dessen Herkunft. Das ist bei flickr und delicious bis jetzt nicht so gewesen. Das einzige was man flickrusern immer wieder draufdrückt, sind Verschlechterungen im Service. zooomr meldeten gestern auf ihrem Blog massive Neuanmeldungen aus Deutschland. :)
Richtig Guerilla wäre übrigens, wenn die Nutzer deutsche Yahoo Mitarbeiter raussuchen und deren Fotos auf flickr komplett als ’nicht jugendfrei‘ taggen.
Jochen Mai says
voting by feet. das schöne am web ist doch, dass all die copycats, die man sonst immer nur als kopisten beschimpft, genau jetzt ihre stunde bekommen: sie können es besser machen. und die konsumenten können durch ihr nutzungsverhalten beeinflussen, welches angebot groß wird. meine meinung: der markt regelt das meist selbst. entscheidend ist natürlich, dass all die, die jetzt „zensur“ schreien, auch wirklich abwandern – und nicht bloß abwarten.