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Und so beginnt es
„Music and video have been digital for a long time, and short-form reading has been digitized, beginning with the early Web. But long-form reading really hasn’t.“
Amazon: Reinventing the Book | Newsweek.com
Viel* wurde diese Woche über Amazons neuen E-Reader Kindle geschrieben. Ein paar Anmerkungen.
Amazon, Innovator
Amazon ist in meinen Augen ein was die Innovationen im Netz angeht leicht unterschätztes Unternehmen. Es ist nicht nur das größte E-Commerce-Unternehmen der Welt, es hat auch mit den User-Reviews eine der Grundsäulen des Web2.0 (User Generated Content) bereits eingeführt, als Tim O’Reilly von dem Begriff des Web2.0 noch gar nicht träumte. Und als das Web2.0 in den Köpfen von jedem ankam, der Entrepreneur fehlerfrei buchstabieren kann, und an jeder Ecke Angebote für Konsumenten aus dem Boden schiessen, was macht da Amazon? Es bietet für diese Startups die Infrastruktur hinter den Kulissen an und steht damit nebenbei wie kein anderes Unternehmen als Synonym für die in der Techszene beliebt gewordene Cloud (Pl0gbarliebling Mogulus läuft zum Beispiel komplett, also ohne eigen Server, auf Amazon S3 und EC2 ).
Kindle, ein Anfang
Jetzt also ein E-Reader. Es bietet sich ja an. Amazon kennt sich mit Büchern ja aus. Und mit digitaler Distribution auch. Fotos von Kindle gibt’s auf neuerdings zuhauf. Dort haben die Kollegen auch eine 4-teilige Serie zum E-Reader gestartet.
Bei allen Unzulänglichkeiten, die Kindle hat, und da gibt es einige, ist Amazon hier wohl trotzdem der erste massentauglichere E-Reader gelungen. Immerhin: Nach nur fünfeinhalb Stunden war Kindle ausverkauft.
Was ist das Besondere an Kindle?
Specifically, it’s an extension of the familiar Amazon store (where, of course, Kindles will be sold). Amazon has designed the Kindle to operate totally independent of a computer: you can use it to go to the store, browse for books, check out your personalized recommendations, and read reader reviews and post new ones, tapping out the words on a thumb-friendly keyboard. Buying a book with a Kindle is a one-touch process. And once you buy, the Kindle does its neatest trick: it downloads the book and installs it in your library, ready to be devoured.
schreibt Newsweek. Kommt das Prinzip des bequemen Auseinerhand bekannt vor? Genau, das ist wie itunes für Bücher.
Das ist natürlich ein großer Vorteil. Aber auch wie mit ipod/itunes einer der großen Nachteile. Mit der appligen Bequemlichkeit kommt auch das applige LockIn. Schön mit DRM drumrum.
Und das ist auch die große Ironie bei der Sache: Da kommt Amazon daher und startet als erstes großes Unternehmen einen DRM-freien MP3-Shop -weil es anders nicht in den Markt reinkommt. Aber bei einer anderen Form von Content, da muss DRM wieder sein. Es wäre amüsant, wenn es nicht so traurig wäre: Es ist immer der selbe Zyklus, wenn heute neue Vertriebsmöglichkeiten von Inhalten von Industriegrößen erprobt werden: Markt wird mit DRM besetzt, Konkurrent oder Nachfolgeprodukt ohne DRM rollt langsam Markt von hinten auf (immer *überraschenderweise*), während die Konsumenten sich anderenorts illegal bedienen.
Kindles Hauptnachteile:
- DRM, wie eben ausgeführt,
- LockIn, es ist nicht ein Produkt, sondern ein Amazon-Service, ohne Amazon geht hier (fast) gar nix
- es ist in der Tat nicht sonderlich hübsch
- diverse Skurrilitäten, wie die Möglichkeit, einige Blogs gegen Bezahlung zu abonnieren (angeblich um die Übertragungskosten zu decken)
- Feedreader: Bloglines ist über den Browser erreichbar, GReader nicht (weil Kindle kein Javascript kann), Feedlesen auf E-Readern ist aber _das_ Killerfeature (siehe unten), die Nichtbeachtung dieses Umstandes wird im Nachhinein als der größte Fehler beim (ersten) Kindle betrachtet werden
- es diskriminiert uns Linkshänder, unverschämt
E-Reader will kill the Printstar
Kindle ist erst der Anfang. Irgendwann in den nächsten Jahren, voraussichtlich noch in diesem Jahrzehnt, wird ein E-Reader auf den Markt kommen, der tatsächlich die Medienrevolution, von der wir Geeks die ganze Zeit reden, weil wir sie schon kommen sehen bzw. mittendrin stecken, in die breite Öffentlichkeit tragen wird.
Massentauglich wie der Ipod für portable Musikplayer, wird dieser E-Reader wie ein Durchlauferhitzer für den Übergang von Analog zu Digital in der Medienlandschaft wirken.
Ich habe eine mehrteilige Serie über die kommenden Veränderungen in den Medien in Vorbereitung. Gedanken zu künftigen E-Readern und dessen Auswirkungen sind ein wichtiger Bestandteil davon. Hier jetzt schon mal ein paar Gedanken dazu:
Vorteile von E-Readern:
- Gegenüber anderen Gadgets wie iphone und co.: auf angenehmes Lesen hin optimierter Screen. E-Ink und co gehören zu den wichtigsten Technologien der nächsten Jahre
- ebenfalls gegenüber anderen Gadgets: höhere Akkulaufzeit (Kindle hält 30 Stunden laut Amazon, und ist in zwei Stunden wieder aufgeladen)
- Fontgrößenanpassung (Jeder Ü50 wird sich darüber freuen)
- Textsuche
- Updates (bei Sachbüchern etwa könnten die Daten immer auf dem aktuellen Stand gehalten werden, wissenschaftliches Zitieren wird lustig in der Zukunft)
- Bookmarks, Anmerkungen und Kommentare , kollaborativ so wie man es heute bereits bei Webseiten kennt
- Besonders bei regelmäßigen Publikationen wie Tageszeitungen, sind bzw. werden E-Reader schlicht praktischer sein, sowohl was das Erhalten als auch was das Transportieren angeht (die viel und verzweifelt beschworene Papierhaptik spielt bei Tageszeitungen keine wirkliche Rolle, im Gegensatz zu Büchern)
- ebenfalls praktischer sind E-Reader für das Lesen von Newsfeeds, das mit ihnen einen nicht vorstellbaren Aufschwung erleben wird. Feeds und E-Reader sind ein Match made in heaven, und die in baldiger Zukunft dominierende Konsumform von Nachrichten. Netvibes bringt jetzt schon ein leichtes Zeitungsfeeling mit, ein solcher Feedreader auf einem E-Reader, das würde recht gut passen. Aber auch andere Feedreader wie der GoogleReader passen wie die Faust aufs Auge. Die perfekte Applikationart zur Contentverbreitung verbunden mit der optimierten Hardware zur Contentkonsumierung.
Auswirkungen von E-Readern:
- E-Reader werden Print nahezu komplett ablösen sobald sie eine gewisse kritische Masse an Nutzern erreicht haben. Grund: Kosten, digital Distribuiertes wird mehr Profit abwerfen
- alte MedienMarken werden direkt mit den neuen Mikropublikationen (aka Blogs) konkurrieren, letzere werden heute noch nicht vorhersehbare Zuwachsraten an Lesern haben
- und mehr
Fazit
Kindle in der 1.0-Version dürfte nicht der große Wurf sein. Zuviele Kinderkrankheiten scheinen in dem Gerät noch zu stecken. Kindle ist aber zweifelsohne der Anfang vom Ende des analogen Textes. Mit Kindle hört die Produktform des E-Readers auf, ein marginalisiertes Randthema zu sein. Sie werden massentauglicher.
Die nächste oder übernächste Generation an E-Readern wird wie eine Bombe einschlagen und Kioske unter sich begraben.
Sobald ein E-Reader den GoogleReader unterstützt und per Wlan (oder von mir aus auch per obskuren Mobilfunknetz) automatisch füttert, bin ich sogar bereit mehr als 400$ dafür hinzublättern.
Denn wenn einem schon von rund um den Globus täglich Texte vom Umfang von zweieinhalb ‚Zeit‘-Ausgaben vor die Nase gepusht wird, dann will man die auch so angenehm wie möglich lesen.
This is the most important thing we’ve ever done
Ladies and Gentlemen, the Revolution is on its next stage.
—
* Wöllte man die Bloglandschaft in einer Fallstudie untersuchen, eine Bestandsaufnahme quasi machen, würde sich die Berichterstattung zur Einführung des Kindle geradezu aufdrängen. Es war/ist alles vertreten, drüben wie hier. Von guten, hintergründigen Berichten zum Produkt bis hin zu substanzlosem Mumpitz, der auf einem Video und einem(!) inoffiziellen Vorabfoto basiert, das vorher bereits auf mehreren(!) Blogs als nicht repräsentativ aufgrund seiner unvorteilhaften Perspektive bezeichnet wurde. Aus der Hüfte abgefeuertes Halbwissen galore. Und wer Kindle mit dem Iphone vergleicht, hat nichts, aber auch gar nichts, verstanden.
(Disclaimer: In diesem Text finden sich einige Links zu einem Blogwerkblog. Ich schreibe auch für ein Blogwerkblog. Die Links entstehen, weil ich da die einzigen vernünftigen deutschen Artikel zum Thema fand (siehe auch Fußnote), zumindest innerhalb der deutschen Blogosphäre. Auf Oldmediaseiten nach Artikeln zu suchen, ist mir jetzt zu aufwendig. Give me fullfeeds and I’ll recognize you.)
Peter Giesecke says
Ich glaube nicht, dass Amazon unterschätzt wird, sondern dass sich dies nur selten in laut geäußerter Aufmerksamkeit widerspiegelt. Amazons Erfolg ist u.a., dass es einfach so funktioniert. Das gilt auch für eBay und für Google als Suchmaschine.
Beim E-Reader ist es einfach noch zu früh zu sagen, wohin die Richtung geht. Geht es nicht um Bücher und Zeitungen? RSS-Feeds kann man auch mit vielen Handys/Smartphones lesen. Und sind Mobile Internet Devices wie das Nokia Internet Tablet nicht längst E-Reader? Die haben eine enstprechend handliche Größe und können 800 x 600 Pixel anzeigen. Braucht es wirklich spezialisierter Geräte? Oder übernehmen andere die Funktion einfach mit?
Dann noch das haptische Erlebnis. Als die DVD rauskam, als die ersten MP3s auf dem Rechner landeten, da schrie die Meute: Qualitätsverlust. Theoretisch richtig, doch in der Praxis hat dies niemand gestört. Das Neue hat sich durchgesetzt. Einen Roman oder die Zeit auf einem E-Reader zu lesen, ist aber dennoch etwas anderes als das (gebundene) Buch oder die Zeitung in der Hand zu halten.
E-Reader werden meiner Meinung nach eine Nische besetzen, sich aber nicht wirklich durchsetzen. Höchstens als Software auf dem Smartphone. Das Papier bleibt uns erhalten. Genaus wie das papiergefüllte Büro.
Marcel Weiß says
Man sollte den höheren Lesekomfort, der mit spezieller Technik wie E-Ink kommt, nicht unterschätzen. Nur eine nicht so große Bevölkerungsschicht hat Spaß daran, lang und viel an normalen Screens zu lesen. Mit E-Ink wird das attraktiver für Nichtnerds.
Wie letztenendes die Geräteart heißt, auf der man Texte digital lesen wird und welche Zusatzfunktionen die noch mitbringen werden, ist dabei nicht so wichtig. Auf jeden Fall wird es digital, weil es bequemer ist und mehr Funktionen mitbringt.
Ich denke auch, den meisten wird ein Smartphone-Screen allein schon wegen der Größe nicht reichen. So wie sich jemand, der gern fotografiert, eine extra Digicam kauft, obwohl er Fotos auch mit seinem Mobiltelefon machen könnte, so ist das auch mit speziell auf das Lesen ausgerichteten Geräten (ob man die nun EReader nennt oder nicht).
Haptik: Bei Büchern ja. Bei Zeitungen wie gesagt nein, spielt keine Rolle (außer für Verleger und Leute ü60). Die digitalen Versionen der Zeitungen werden im Abo nur halb so viel oder noch weniger kosten. Immer weniger Leute werden bereit sein für die Papierausgabe mehr zu bezahlen als für die digitale Version. Und die Papierausgabe wird für die Verlage immer teurer werden, mit sinkenden Papierabonnentenzahlen (steigende Stückzahlen). Und damit unattraktiv für beide Seiten. Das ist aber vor einem Zeithorizont von 5+ Jahren.
Ich werde in der kommenden Serie das nochmal ausführen und genauer darauf eingehen.
Matthias says
Ich tendiere auch eher in Richtung Nischenphänomen. Denn ein Denkfehler steckt meines Erachtens hinter dem Konzept des E-Book-Readers: Er missachtet die Medienkonvergenz im Internet selbst.
Man nehme nur einmal die Zeitungen im Netz, die dort nicht nur mit Text und Foto vertreten sind, sondern auch (in Ansätzen) schon Videos und Podcasts bringen. Deutlich stärker gilt das natürlich für Blogs: Da geht es quer durch den „Gemüsegarten“ und es kommen noch die Verlinkungen hinzu. Und dann die Fachbücher, die teilweise schon gar keine Bücher mehr sind, sondern veritable Internetseiten (etwa von Springer oder Thieme).
Wie will der Kindle dem beikommen? Er wäre dann das optimale Lesegerät für konservative Zeitungen (nur Text), Romane und irgendwelche rein textbasierten Blogs. Sieht so die Zukunft aus? Oder kann die E-Ink-Technologie auch Videos problemlos darstellen?
Ralph says
Ich interessiere mich auch sehr für das Thema E-Book Reader, tendiere allerdings eher zu dem ebenfalls auf E-Ink bassierenden Iliad von iRex.
Der ist mir zur Zeit allerdings noch etwas zu teuer. Mal sehen, wie das nach dem Weihnachtsgeschäft aussieht.
Marcel Weiß says
Matthias: E-Ink untestützt, so weit ich weiß, kein Video. Schon das Umschalten der Seiten dauert ja lang genug, dass man es merkt (Bruchteile einer Sekunde). MP3s kann der Kindle aber abspielen.
Letztenendes, denke ich, wird der einzige Unterschied zwischen E-Readern und anderen Gadgets sein, dass erstere aufs angenehme Lesen optimiert sind. Welche Zusatzfunktionen die dann in der Zukunft noch mitbringen, wird nur von der Entwicklung der Technologien begrenzt.
Ralph: Jaaa, das Iliad. Da schiel ich schon drauf, seit das in der c’t damals vorgestellt wurde. Aber das kostet ja immernoch absurde 700€. Keine Ahnung, wer das bei dem Preis kaufen soll.
Robert Wetzlmayr says
Kindle erinnert mich an den Apple Newton: Das richtige Gerät, aber ohne jede Chance in seiner Zeit.
Bücherleser sind eine eigene Klientele, Kindle adressiert aber die speziellen Bedürfnisse großer Gruppen (zur Zeit) nicht
* Taschenbuchlesern ist ein Digitalbuch von Amazon zu teuer.
* Fachliteraturlesern ist das Handling zu umständlich: Handschriftliche Annotationen, Scribbles und Fähnchen sind nicht mit Bookmarks zu ersetzen.
* Genußleser werden sich hüten, das Gerät im feuchten Bad oder am Sandstrand einzusetzen.
Wer bleibt als Käufer übrig?
WortWerker says
manueller Trackback: http://friedhelmbrust.blogspot.com/2007/11/zndeln.html
Marcel Weiß says
Robert Wetzlmayr: zB us-amerikanische Vielleser, die oft reisen und möglichst viele Bücher mit sich führen wollen.
Ich halte wie gesagt, das (den?) Kindle nicht für der Weisheit letzten Schluss. Es ist ein Anfang. (der in Sachen DRM eindeutig in die falsche Richtung ging).
Rudolf Hinter says
Ich interessiere mich auch sehr für das Thema E-Book Reader, mein Ideal sieht so aus,
Farbe A5 oder A4
Sehe derzeit nur zwei mögliche Alternativen
1. den HP E-Reader
2. den Fujitsu FLEPia E-Reader
Sollte jemand eine weitere Alternative kenn bitte ich um eine Nachricht auf rhinter@gerber-satz.de.
Wir sollen für einen Kunden Kataloge mit vielen Farbabbildungen auf einen E-Reader implementieren