Im Kulturkampf-Blog der ZEIT wird auf ein Interview mit Kanzerlin Angela Merkel hingewiesen:
In einem aktuellen Interview mit der Bunten klagt Bundeskanzlerin Angela Merkel über die “Vielzahl der Informationskanäle”, insbesondere das Internet. Dadurch würde “es immer schwieriger, ein Gesamtmeinungsbild zu erkennen”. Durch den “sehr großen technischen Wandel” sei es schwerer geworden, “alle Menschen, alle Generationen zu erreichen, denn diese nutzen die einzelnen Medien mittlerweile sehr unterschiedlich”. Und vor allem die jungen Menschen informierten sich ausschließlich über das Internet, “und das oft sehr punktuell”.
Tina Klopp schreibt weiter:
Dass die Öffentlichkeit immer fragmentierter und kleinteiliger wird, ist als Diagnose indes so richtig wie banal. Spontan fielen einem da aber eher positive Attribute ein: Freiheit und Auswahl zum Beispiel. Sicher war es früher einfacher für Politiker, ihre Botschaften zu übermitteln, wenn ohnehin alle gezwungen waren, die gleichen drei Fernsehprogramme zu gucken.
Die Öffentlichkeit fragmentiert aufgrund der größeren, online verfügbaren Auswahl. Neben den Vorzügen, die Klopp schon angesprochen hat, gibt es noch weitere Aspekte bezüglich der Fragmentierung der Öffentlichkeit, die oft nicht beachtet werden.
Wer sich online informiert, ist aus verschiedenen Gründen oft besser informiert: Er kann mehr Informationsquellen nutzen, die Informationen werden effizienter verbreitet. Früher hatt man z.B. die FAZ abonniert und bezog seine Informationen vornehmlich aus ihr. Online kann man neben der FAZ noch weitere Publikationen zumindest in Teilen weitaus problemloser konsumieren und bekommt über den eigenen Social Graph noch Informationen aus den unterschiedlichsten Quellen zugespielt.
Zu dieser grundsätzlich effizienteren Informationsverteilung kommen Gruppenüberschneidungen: Fragmentierung online bedeutet nicht, dass sich einzelne Menschengruppen in abgeschotteten Räumen treffen und dort von den anderen Gruppen nichts mitbekommen.
Ein banales Beispiel: Es dürfte nur wenige Twitternutzer in Deutschland gegeben haben, die der Fußball-WM entkommen konnten. Twitter ist mit seinem Follower-Prinzip das Paradebeispiel der systemimmanenten Fragmentierung. Und es zeigt recht deutlich: Fragmentierung im Netz bedeutet nicht Abschottung. Gerade das Webdienste zunehmend dominierende Follower-Prinzip ermöglicht mehr Individualisierung während es gleichzeitig Gruppenabschottung hemmt. (Alle Mitglieder einer Gruppe müssten sich explizit dazu entschliessen, nur anderen Mitgliedern der gleichen Gruppe zu folgen, um sich komplett abzuschirmen.)
Womit nicht gesagt ist, dass man sich online nicht abschotten kann und nur mit einer kleinen Gruppe kommunizieren und nur eine beschränkte Bandbreite an News konsumieren kann. Angesichts der sich entwickelnden Informationsdienste erscheint es mir aber zumindest als äußerst unwahrscheinlich, dass dieser Weg der dominierende sein wird.
Neben der Gruppendurchlässigkeit wirken auch Aggregatoren gegen eine tiefgehende Spaltung der Öffentlichkeit durch Fragmentierung. Man denke nur etwa an Google News, Rivva, Techmeme, Digg und andere Beispiele.
Ich glaube, das Unbehagen von Politikern wie der Kanzlerin kommt in erster Linie davon, dass „BamS und Glotze“ immer weniger funktioniert, um die Massen zu lenken. Spin wird schwerer, wenn die Kanäle zahlenmässig explodieren, dazu noch interagieren und die ehemaligen Gatekeeper zu Filtern ‚degradiert‘ werden. Schlecht für auf Spin vertrauende Politiker, gut für die Demokratie.
zrendavir says
Eine andere Sichtweise: Die Fragmentierung der Öffentlichkeit hat auch ganz andere Vorteile. Es findet nämlich eine Art Spezialisierung statt. Während früher von den Bürgerrechtsinteressierten über die Umweltinteressierten und Wirtschaftsinteressierten eben alle diesselben Medien konsumiert haben, kann durch die Fragmentierung heute jeder auch seine eigenen inhaltlichen Schwerpunkte setzen. Der Bürgerrechtsinteressierte wird zu Bürgerrechtsthemen besser informiert als vorher, der Umweltinteressierte wird zu umweltpolitischen Themen besser informiert als vorher etc.
Die kollektive Öffentlichkeit fragmentiert nicht einfach, sie fragmentiert in besser informierte, spezialisiertere Teilöffentlichkeiten. Und bei zunehmender Komplexität der Welt ist Spezialisierung auch notwendig. Siehe Beispiel #zensursula: für eine traditionelle nicht-fragmentierte Öffentlichkeit wären die Problematiken von Netzsperren nicht offensichtlich gewesen, weil das Thema auch für die meisten Journalisten zu komplex ist. Erst die spezialisierte Teilöffentlichkeit (= „wir netizens“) ist informiert genug, um die Thematik in seiner Komplexität zu begreifen und angemessen zu reagieren.
Marcel Weiss says
Ja, das fasst es sehr gut zusammen.
Tim says
Die Befürchtung das es nun schwieriger geworden sein ein „Gesamtmeinungsbild zu erkennen“ irritiert mich.
Betrachtet man die Arena der Massenmedien, so ist dieses Gesamtmeinungsbild doch primär die Meinung von Journalisten und professionellen Kommunikatoren (PR). Wie kommt man denn auf die Idee, das dies einem Gesamtmeinungsbild entspreche?
Ich denke das das Internet es viel leichter ein Gesamtmeinungsbild zu erkennen. Denn schließlich handelt es sich bei den Nutzergenerierten Inhalten um die Meinung von Bürgern. Zwar ist dies noch kein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung, aber hier bieten sich doch Möglichkeiten durch Monitoring und Datenauswertung an Meinungsbilder zumindest derjenigen zu kommen, die im Web schreiben und kommentieren.