In der Filesharing-Debatte wird oft von einem moralisch begründeten Recht der Künstler gesprochen, über ihr Werk in jeder Hinsicht selbst zu bestimmen. Abgesehen davon, dass diese Sichtweise am Thema vorbeigeht (weil es um Geschäftsmodelle geht) und es durchaus diskutabel ist, ob Urheber immer am besten wissen, was man mit ihren Werken anstellen sollte, also abgesehen von diesen oft komplett ausgeblendeten Aspekten:
Der Vorwurf, unautorisiertes Filesharing würde auf eine unmoralische Weise dem Künstler das Bestimmungsrecht über sein Werk nehmen, impliziert auch, dass das im industriellen, also im bisher herkömmlichen, Kontext nicht passiert. Da konnte der Künstler bestimmen. Da war er Herr über seine Rechte.
Das ist so leider auch nicht richtig. Der neueste Fall ist die deutsche Band „Wise Guys„. Ihr ehemaliges Label EMI versucht aktuell mit einer Zweitveröffentlichung eines alten „Wise Guys“-Albums etwas von dem aktuellen Erfolg abzubekommen. Die Band selbst findet diesen Umgang mit ihrem Werk nicht gut:
Durch den Chartserfolg unseres wirklich aktuellen Albums „Klassenfahrt“, das ja auf Platz 2 eingestiegen war, versucht die EMI, mit der wir nach 1997 keine CDs mehr aufgenommen haben, mit Hilfe eines „uralten Huts“ schnell noch ein paar Euro abzugreifen. Manchen Kunden, die uns nicht gut kennen, kann es so natürlich leicht passieren, dass sie die „Alles im grünen Bereich“ für unser neues Album halten und kaufen. Die EMI nimmt mit diesem Verkaufstrick zumindest billigend in Kauf, dass unsere (potenziellen) Hörer getäuscht werden. Und dass wir entschieden gegen diese „Erneut-Veröffentlichung“ sind, ist den Damen und Herren vollkommen egal.
Warum ist die Band davon nicht begeistert?
Die CD „Alles im grünen Bereich“ ist dreizehn Jahre alt. Unser Gesang, unsere Performance, das Songwriting, die Produktion, sogar Cover- und Bookletgestaltung repräsentieren das Niveau einer sehr, sehr frühen Entwicklungsphase der Wise Guys. Die CD ist definitiv Teil unserer Geschichte, zu der wir auch stehen, aber uns ist es wichtig, dass die Besitzer dieses Albums wissen, dass es von 1997 ist. Und genau das wird durch die Verkaufstaktik der EMI bewusst verschleiert.
Nun scheint EMI sich im Rahmen des Vertrages zu bewegen, der seinerzeit mit den „Wise Guys“ abgeschlossen wurde. Die offensichtlich nicht begeisterte Band würde das Vorgehen sonst wohl unterbinden lassen.
Daran gibt es also nichts auszusetzen. EMI nutzt die Rechte, die man vor längerer Zeit erworben hat. Sie nutzen diese Rechte auch gegen den Willen der eigentlichen Urheber.
Das zeigt aber auch, dass die romantisierende Sichtweise auf den industriellen Verwertungsprozess, bei dem der Künstler sein Geld mit dem Verkauf der Tonträger verdient und seine Rechte ihm gehören, so nicht zutrifft. Auch und gerade in dem Unternehmensgeflecht, das rund um die industrielle Verwertung von immateriellen Gütern gewachsen ist, werden den Urhebern ihre Rechte vertraglich abgekauft, um sie verwerten zu können.
Die Frage ist nun: Wenn jemand argumentiert, dass es moralisch nicht hinnehmbar sei, dass dem Künstler mit unautorisiertem Filesharing ein Teil seiner Rechte über sein Werk abgenommen werden, dann muss dieser auch argumentieren, dass den Künstlern über Verwertungsverträge diese Rechte nicht abgenommen werden dürfen. Dem Künstler gehört sein Werk, niemand darf es ihm nehmen.
Erscheint das sinnvoll? Nein. Denn die Rechtefrage, die wir auch im Rahmen der Filesharing-Debatte diskutieren, und die bereits wesentlich älter ist, ist keine Frage der Moral sondern eine ökonomische Debatte. Es geht um die Frage, unter welchen Rahmenbedingungen wir entsprechend erfolgreiche Geschäftsmodelle entstehen sehen, die gesamtgesellschaftlich Anreiz für die Schaffung von Kultur schaffen. Dazu müssen wir auch die einzelnen Rechte, die wir als Gesellschaft den Urhebern zugestehen, aufdröseln und schauen, welche heute noch sinnvoll (und durchsetzbar) vergeben werden können.
Dass der Urheber etwa die komplette Kontrolle über sein Werk behalten muss, ist und war nie zwingend notwendig. Man frage dazu zum Beispiel die EMI.
Früher hat der Urheber die Rechte an Verwerter verkauft und manche, nicht viele, konnten sich so refinanzieren. Heute leben wir mehr oder weniger in einer Welt, in der ein Teil der gesetzlich zugeteilten Bestimmungsrechte erst gar nicht mehr im Kontrollbereich des Urhebers liegen. Das hat zu einem noch stärkeren Aufstieg der wirtschaftlichen Bedeutung der entsprechenden Komplementärgüter geführt. Die Folgen sind, für viele sicher überraschend, gesamtwirtschaftlich durchaus positiv.
~
P.S.: Die Qualitätskontrolle der EMI scheint zu wünschen übrig zu lassen:
Unsere gute Erziehung verbietet uns natürlich jeden Anflug von Schadenfreude. Aber dass auf den von uns ausdrücklich abgelehnten neu aufgelegten „Alles im grünen Bereich“-CDs, die heute in den Handel gekommen sind, fehlerhafter Weise nicht unsere Songs, sondern irgendwelche „Wedding Classics“ mit klassischen Instrumenten drauf sind, dass das bei der EMI tatsächlich NIEMAND bemerkt hat und die gesamte Auflage jetzt also wieder zurückgerufen und neu gepresst werden muss, was natürlich richtig Geld kostet[..]
(via Email. Danke, Sven!)
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Herbert Braun says
Dass die Musikindustrie Musiker oft aufs Heftigste ausgebeutet hat und auch weiter ausbeutet, ist ja nun keine besonders neue Erkenntnis. Die Geschichten von Managern, Labels und Künstlern, die sich gegenseitig verklagen, sind zahlreich. Aber die Argumentation „A ist nicht so schlimm, weil B auch schlimm ist“, hakelt immer ein bisschen.
Ob die Urheber einen Plan davon haben, was mit ihren Werken geschehen soll, ist irrelevant, wenn diese Werke ihr Eigentum sind (und wenn nicht, dann sowieso).
Ich wundere mich bei dieser Diskussion immer, dass sie überwiegend an den Betroffenen vorbei geführt wird – an den Künstlern selbst. Da scheint es trotz einiger gegenteiliger Beispiele und häufig kolportierter, einzelner Erfolgsgeschichten eine recht skeptische Haltung gegenüber Lockerungen des Urheberrechts zu geben. Ohne das werten zu wollen, finde ich das nachvollziehbar.
Marcel Weiss says
Mir ging es mehr darum, zu zeigen, dass im Filesharing-Kontext etwas moralisch aufgeladen eingefordert wird, dessen Verlust man im Kontext der industriellen Verwertung schulterzuckend akzeptiert. Das bei letzterem mit dem Verlust der Rechte in den seltensten Fällen überhaupt eine Refinanzierung für die Urheber einherging, kommt noch dazu.
Was die Betroffenen angeht: Ich wundere mich immer, dass niemanden auffällt, dass nach dem deutschen Urheberrecht jeder von uns, der online aktiv ist, über kurz oder lang automatisch zum Urheber wird. Hier diskutieren also nur Betroffene.. ;)
Im Ernst: Die skeptische Haltung ggü. einer Lockerung des Urheberrechts kommt in erster Linie vom Bild, das die Plattenindustrie seit 10 Jahren zeichnet (Majors als auch Indies) und davon, dass die wenigsten Musiker etwa auch Ökonomen sind. (genauso wie leider auch die wenigsten Labelmanager.) Wenn man noch oft schlecht informierte Medien in den Topf wirft, führt das logischerweise zu dieser Haltung.
Und bitte, neben den Beispielen und einzelnen Erfolgsgeschichten stehen Studien und theoretische Abhandlungen, die alle das gleiche Bild abzeichnen. (siehe die diversen Links im Artikel)
Johannes says
Das ist leider ein Artikel, den ich nicht so richtig schlüssig finde:
1.) Ok, die EMI macht also mit dem Werk des Künstlers etwas was dieser nicht möchte.
Das würde der Künstler gerne unterbinden. Nun wird im Beitrag argumentiert: Wenn schon Plattenfirmen mit einem Werk etwas machen was der Künstler nicht möchte, dann können dass doch auch die Konsumenten machen. Insofern schlägt sich der Beitrag in diesem Punkt eher auf die Seite der EMI.
2.) Im „industriellen Kontext“ hat sich der Künstler für folgendes entschieden: Einen Vertrag mit der EMI, dieser beinhaltete anscheinend auch ein Re-Release. Insofern halte ich die These, dass der Künstler noch nie über sein Werk bestimmen konnte für etwas gewagt. Man hätte ja prinzipiell einen anderen Vertrag ausarbeiten könne, der ein Re-Release verbietet.
3.) Mein Hauptkritikpunkt: „[…] dann muss dieser auch argumentieren, dass den Künstlern über Verwertungsverträge diese Rechte nicht abgenommen werden dürfen.“
Nein, denn bei Verwertungsverträgen bestehen (wie der Name schon sagt) ein Vertrag zwischen den beiden Parteien. Dieser besteht beim Filesharing nicht.
Bei Verwertungsverträgen haben beide Parteien die Möglichkeit bessere oder schlechtere Konditionen auszuhandeln. Dies passiert beim illegalen Filesharing nicht, dort „bestimmt“ der Filesharer den Preis und die Konditionen. Beim legalen Filesharing ist das natürlich widerrum anders: dort bestimmt der Künstler, dass er durch kostenlose Verbreitung seiner Werke u.U. auf einen erhöhten Popularitätsgrad hofft.
Viele Grüße,
Johannes