Markus Breuer schreibt ausführlich und lesenswert über das Konzept der persönlichen Zeitung. Wir brauchen Filter, die Frage ist lediglich wie:
Selbst zu ausgefallenen Spezialthemen werden schon lange mehr Informationen (online) veröffentlich, als ein Mensch jemals verdauen könnte.
Eine Filterung von Informationen ist deshalb keine Option! Sie ist unerlässlich und findet tatsächlich längst statt. Wenn wir täglich eine bestimmte Website ansehen (oder zumindest deren Homepage) ist das ein Filter. Wenn ich einen so genannten Feed-Reader (siehe RSS, Newsfeed) benutze, um mir neue Artikel aus vielen Quellen zusammenstellen zu lassen, sind sowohl diese Quellen als auch meine präferierte Zusammenstellung jeweils ein Filter. Ich filtere dann sogar schon doppelt.
Sein Medienkonsum ähnelt meinem, er macht aber einen Fehler bei der Einordnung des selbigem:
Bei mir lassen diese Filter an einem Wochentag ca. 500 Artikel durch. Ich brauche mindestens eine Stunde hochkonzentrierter Arbeit, um die zu überfliegen. Und nur für einige wenige davon habe ich die Zeit, sie aufmerksam zu lesen.
Ich denke nicht, dass dieser Prozess für “normale Menschen” eine akzeptable Vorgehensweise darstellt.
Man muss hier unterscheiden zwischen verschiedenen Graden des Interesses. Wer Experte in einem Feld ist, las schon immer mehr zu diesem Thema als der Laie. In der Vergangenheit las man dann ein oder mehr Monatsmagazine und Fachpublikationen zum eigenen Themenfeld, während der interessierte Laie ab und zu dazu einen Artikel in der Tageszeitung liest.
Wie sieht es heute aus? Nicht viel anders. ‚Nur‘ die Bandbreite der Möglichkeiten hat enorm zugenommen. Ich beschäftige mich mit der Internetwirtschaft und lese bzw. überwache hierzu ungefähr 1700 Blogs und Newssites im GoogleReader. In meinem GoogleReader finden sich aber zum Beispiel keine Artikel zur Außenpolitik der USA oder anderen Feldern, an denen ich zwar ein Interesse habe, das aber untergeordnet ist.
Über diese Themen informiere ich mich zum Beispiel über redaktionelle Angebote wie tagesschau.de oder The Economist. Allgemeine Nachrichten erreichen mich über Links, die mir vom Social Graph auf Twitter und Facebook zugespielt werden und über Aggregatoren wie Google News.
Wäre meine Interessenslage anders, würde ich Blogs und Newssites zur US-Außenpolitik en masse abonnieren und über Techthemen nur über Tagesschau und co. erfahren.
Will sagen: Die Art und Weise, welche News mich wie erreichen, hängt von meinem Interesse an den Feldern ab.
Es gibt einen Markt für personalisierbare, kleinteilige Infoaufnahme und es gibt einen Markt für den redaktionellen Alles-aus-einer-Hand-Ansatz. Da letzterer aber per Definition dem ersteren Ansatz bei Gründlichkeit und Umfang immer unterlegen ist, spricht er zunehmend eher die „Außenseiter“ des jeweiligen Nachrichtenthemas an: Die, die zwar nicht alle Infos ausführlichst wollen, die aber möglichst ohne Zusatzaufwand trotzdem über das Notwendigste informiert werden möchten.
Das heißt, es gibt sowohl Nachfrage für personalisierbare Feedreader als auch für auf Einfachheit und Übersicht getrimmte Angebote.
Eine „persöniche Zeitung“ müsste den Spagat zwischen diesen Feldern finden oder sich auf ein Feld einschiessen. Tatsächlich finde ich aktuell Flipboard in diesem Bereich am spannendsten. Flipboard expandiert in verschiedenste Richtungen und denkt diese spannend neu.
Dass Feedreader noch nicht sehr weit verbreitet sind, liegt auch daran, dass sie im Gegensatz zum hierarchischen Redaktionsansatz, der ein paar hundert Jahre auf dem Buckel hat, etwa konzeptionell komplett neu sind, und die wenigsten Menschen überhaupt von ihrer Existenz wissen.
(Angesichts der hier dargelegten Verteilung des Newskonsums bin ich auch der Meinung, dass unser Tagesseminar zum professionellen Informationsmanagement auch Experten aus allen Feldern anspricht, die sich weiterentwickeln, also nicht nur, wenn auch zuvorderst jene, die in informationslastigen Bereichen wie Journalismus oder PR tätig sind.)
Markus Breuer says
Danke für die freundlichen Worte :)
Ich glaube aber ich habe nicht ganz verstanden, wo „mein Fehler“ liegt – von denen ich ganz sicher reichlich mache ;-) Ich wollte auf jeden Fall nicht unterstellen, dass mein Info-Konsum normal wäre.
Selbstverständlich gibt es Unterschiede bei den Themenfeldern, die mich interessieren. Bei einigen interessiert mich ein möglichst breites Spektrum, bei anderen genügt eine Übersicht.
In beiden Fällen würde ich ein besseres Angebot erhalten, wenn die Auswahl individualisiert stattfindet. Selbst bei den Quellen, die ich nutze, um bei meinen Spezialinteressen auf dem Laufenden zu bleiben, und die ca. 500 Beiträge am Tag produzieren, gibt es viele Beiträge, die mich nicht interessieren. Und fast alle davon haben meines Erachtens eindeutige Kriterien, die ein Algorithmus recht zuverlässig identifizieren könnte.
Es gibt für jedes Interessensfeld inzwischen im Internet extrem viele Quellen. Einige sehr ergiebige. Wer interessiert ist, ein möglichst komplettes Bild zu erhalten, muss ähnlich vorgehen wie ich – oder du :) Das wird aber vermutlich kaum jemand machen, weil er/sie sich aus verschiedenen Gründen heraus nicht die Zeit dafür nehmen will oder kann.
Das lässt Otto Normalinternetnutzer momentan Redaktionen machen. Die werden dafür bezahlt. Sie machen es aber in einer Form das alle Leser die selbe Auswahl geliefert bekommen – was sie momentan offensichtlich zufrieden stellt, aber sicherlich nicht ihrem individuellen Interessensprofil entspricht.
Ich stimme nicht mit dir überein, dass Nutzer redaktioneller Auswahlen zumeist die sind, für die das jeweilige Thema Randinteresse ist. Ich bin kein Sport-Fan, aber Sport-BILD und ähnliche Blätter haben, glaube ich, Millionenauflagen und werden von Hardcore-Fans gelesen. Handelsblatt, WiWo und Financial Times sind ebenfalls für „Hardcore-Fans“ (auch, wenn die sich nicht so nennen würden.) Es sind aber Menschen, die – auch wenn sie diesen Typus Software kennen würden – sich vermutlich nur selten die Arbeit machen würden, einen Feedreader zu konfigurieren.
Feedreader sind praktisch. Google Reader und dahinter Reedr auf dem iPad ist ein wunderbares Tool – aber etwas für Geeks. Flipboard ist eigentlich auch ein Feedreader und deutlich endbenutzertauglicher. Flipboard ist aber nicht so effizient für große Newsmengen, wie das dei Kombination Google Reader plus Reedr ist. Auch Flipboard benötigt deshalb Filter/Priorisierungen, damit jemand damit ein breites Feld abdecken kann – oder ein spezielles sehr tief.
Das wissen die ja auch – und experimentieren zum Beispiel von Anfang an mit Kuratoren. Genauso könnte man Flipboard aber auch mit smarten Filtern füllen – und das sollte man auch tun. Im Moment liefert Flipboard dafür nur zuwenig Feedback an den Versender eine Streams, um ein Profil aufbauen und pflegen zu können. Mal sehen …
Marcel Weiss says
„Ich glaube aber ich habe nicht ganz verstanden, wo „mein Fehler“ liegt – von denen ich ganz sicher reichlich mache ;-) Ich wollte auf jeden Fall nicht unterstellen, dass mein Info-Konsum normal wäre.“
Fehler war vielleicht das falsche Wort. Ich meinte die Implikation, dass nur Internetfreaks Feedreader verwenden. Die Ausdifferenzierung geht über alle Felder hinweg und ist nicht von der konkreten Expertise abhängig. (imo)
„In beiden Fällen würde ich ein besseres Angebot erhalten, wenn die Auswahl individualisiert stattfindet. Selbst bei den Quellen, die ich nutze, um bei meinen Spezialinteressen auf dem Laufenden zu bleiben, und die ca. 500 Beiträge am Tag produzieren, gibt es viele Beiträge, die mich nicht interessieren. Und fast alle davon haben meines Erachtens eindeutige Kriterien, die ein Algorithmus recht zuverlässig identifizieren könnte.“
Ja, aber wenn du den Algorithmus entscheiden lässt, kannst du auch nie sicher sein, ob du wirklich alles mitbekommst. :)
Ich denke, dass ist eine Frage, wo man die eigene Linie zeichnet, und das ist das Neue: Man kann diese Linie zunehmend konkreter genau da ziehen, wo man das selbst persönlich hätte. Da waren die Entscheidungsspielräume früher geringer.
„Ich stimme nicht mit dir überein, dass Nutzer redaktioneller Auswahlen zumeist die sind, für die das jeweilige Thema Randinteresse ist. Ich bin kein Sport-Fan, aber Sport-BILD und ähnliche Blätter haben, glaube ich, Millionenauflagen und werden von Hardcore-Fans gelesen. Handelsblatt, WiWo und Financial Times sind ebenfalls für „Hardcore-Fans“ (auch, wenn die sich nicht so nennen würden.) Es sind aber Menschen, die – auch wenn sie diesen Typus Software kennen würden – sich vermutlich nur selten die Arbeit machen würden, einen Feedreader zu konfigurieren. „
Sowohl Entscheider als auch Journalisten in diesen Bereichen lesen sicher selten nur eine Publikation. Schon wenn Du mehr als eine Publikation in dem Feld liest, bist du konzeptionell beim Konsum auf der Marktseite und nicht mehr beim reinen Vertrauen auf die eine Hierarchie. Der Feedreader ist nur das effizienteste Tool, um den Weg in die Quellenpromiskuität ins Extrem zu treiben.
„Genauso könnte man Flipboard aber auch mit smarten Filtern füllen – und das sollte man auch tun. „
Ja, sehe ich auch so. Flipboard wäre aber gut darin beraten, die Option zu geben, solche Filter zu- und abzuschalten. Dann haben sie höchstwahrscheinlich einen Hit. :)
Alex Kahl @probefahrer says
Huhu zusammen,
mal wieder ein typischer Fall von Themendahingleiten lassen hat mich über den ersten Filter-statt-Gatekeeper-Artikel auf diesen hier gebracht und ich hätte an Euch beide eine Frage:
So wie Marcel scanne ich einige 100 Feeds zum Thema Auto, Mobilität & Stuff.
Was mich aber interessieren würde, sind Webseiten deren Kernthema eben NICHT Autos sind, die aber darüber eine Story bringen.
Ich bin auf der Suche nach einem Positiv-Filter, um der Filter-Bubble im Themenfokus zu entkommen.
Ist Euch da schon ein entsprechendes Tool oder Service untergekommen? Ich spinne mal rum: So etwas wie „Ich nehme die gesamten Postings zum Thema Auto die Google findet und filtere alles raus, was bereits in meinen Feeds auftaucht, um mir die Artikel zu zeigen, die dann noch übrig bleiben.“
So oder so ähnlich ;)