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Das Apple-Auto kommt
Ende Mai diesen Jahres ging ein Knall durch die Welt der Automobilbranche. Nach Monaten der ersten, noch recht unglaubwürdigen Gerüchte über ein mögliches Apple Car antwortete Jeff Williams, Top-Manager bei Apple, auf einer Technologie-Konferenz auf die Frage, was Apple mit seinen Milliarden an Cash-Reserven machen kann, mit einem bedeutungsschwangeren “The car is the ultimate mobile device.” Das Auto ist das ultimative mobile Gerät. Deutlich auf die Gerüchte anspielend, hat Williams so der Öffentlichkeit signalisiert, dass Apple tatsächlich an einem wie auch immer gearteten Eintritt in die Automobilbranche arbeitet.
Williams ist Senior Vice President bei Apple und wird inoffiziell als künftige Nachfolge von Apple-Chef Tim Cook gehandelt, sollte dieser irgendwann keine Lust mehr auf den Posten haben. Tim Cook hat auf der selben Konferenz 2013 auf die Frage nach Wearables geantwortet, dass er „das Handgelenk interessant finde“. 2015, zwei Jahre später, kam die Apple Watch auf den Markt.
Apple, das mit dem iPhone den Mobiltelefonmarkt umgekrempelt hat, plant ein eigenes Auto. Das ist mittlerweile unbestreitbar. Nach unzähligen Gerüchten der Abwerbung von Experten aus der Automobilbranche schuf diese Woche ein Bericht im Wall Street Journal endgültige Klarheit. Inoffizielle Quellen berichten dem Wall Street Journal gegenüber, dass Apples Autoprojekt, Codename „Titan“, die Erlaubnis bekommen hat, die Belegschaft von aktuell 600 Mitarbeitern auf das Dreifache zu steigern. „Titan“ ist apple-intern kein Forschungsprojekt mehr, bei dem noch unklar ist, ob das erforschte Objekt tatsächlich irgendwann ein Produkt wird. Apple hat sich für ein eigenes Auto entschieden. Das erste Auto von Apple soll demnach bereits 2019 erscheinen. Das Auto von Apple wird natürlich ein elektrisches Auto sein; dazu gleich mehr. Das erste Auto von Apple wird nicht komplett selbstfahrend sein, aber selbstfahrende Apple-Autos sind langfristig geplant.
Apple zeigt mit dem iPhone eindrücklich, wie gut es in der Koordinierung der industriellen Massenfertigung technisch diffiziler Produkte ist. Das iPhone wird in der höchsten Stückzahl produziert, in der je ein technisches Produkt hergestellt wurde, (nur Autos wie der VW Käfer kommen in vergleichbare Dimensionen) und verschaffte Apple einen Platz in der Wirtschaftsgeschichte. Das ist eine kaum zu überschätzende Leistung: Man kann argumentieren, dass iPhones oder auch High-End-Android-Geräte, diese Supercomputer für die Hosentaschen, sehr viel komplizierter in der Produktion sind als etwa ein elektrisches Auto. iPhones sind Mini-Supercomputer. Die
Ingenieursleistung hinter der Miniaturisierung wird leicht unterschätzt.
(Erstaunlicherweise wird im Ingenieursland Deutschland darüber nie
gesprochen.) Ähnliches in ein Auto zu packen ist vergleichsweise
trivial, sowohl konzeptionell wie auch in der eigentlichen Fertigung. Es gibt im Vergleich praktisch keinerlei Platzbeschränkungen vom
Smartphone kommend. Das gilt für die gesamte Elektronik wie auch die
Batterie. Alles Entscheidende, das nicht von Zulieferern im Zweifel
zugekauft werden kann, ist einfacher umsetzbar.
Es ist also bei weitem nicht zwingend so, dass der am Gewinn gemessen erfolgreichste Smartphonehersteller der Welt sich mit der Entscheidung, ein elektrisches Auto zu bauen, verheben wird.
Die elektrische Revolution
Apple ist nicht das einzige Unternehmen, das plötzlich am eigenen Auto baut. Uber stellt aggressiv Robotik-Forscher ein, um selbst irgendwann autonome Autos bauen zu können. Google arbeitet bekanntlich an selbstfahrenden Autos. Und auch der chinesische Internetriese Baidu arbeitet an eigenen selbstfahrenden Autos. Zu den Unternehmen (über 25), die an autonomen Autos bauen, zählen neben den großen Automobilherstellern auch Zulieferer wie Bosch.
Warum wollen viele, zum Teil in dieser Hinsicht unbefleckte Unternehmen zur gleichen Zeit in den Automobilmarkt gehen, während es Jahrzehnte lang keine neuen Autohersteller erfolgreich an den Markt geschafft haben? Um das zu verstehen, muss man den perfekten Sturm der Veränderungen sehen, der auf die Automobilbranche zukommt.
Der letzte Automobilhersteller, der es erfolgreich in die internationale Topriege geschafft hat, war Toyota. Die heutige weltweite Nummer zwei erreichte ihren Aufstieg in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts dank neuer Produktionsmethoden. Das ist ein wichtiger Anhaltspunkt, um zu sehen, wie tiefgreifend der kommende Wandel sein wird. Denn die Automobilwelt steht vor dem größten Umbruch ihrer Branchengeschichte: Dem Wandel vom Verbrennungsmotor zum elektrischen Motor. Damit einher geht ein Paradigmenwechsel in der Produktion. Vor diesem Hintergrund sind auch die erfolglosen Gespräche zwischen Apple und BMW zum i3 zu sehen, denn der BWM i3 ist das Ergebnis einer neuen Produktionsmethode.
Wer ein elektrisches Auto baut, benötigt keine komplexen Fabrikanlagen, die Fahrzeuge herstellen, die sich mittels konstanten kontrollierten Explosionen fortbewegen. Das ist nicht zu unterschätzen. Unzähligen Zulieferern stehen wenige Automobilhersteller weltweit gegenüber, aber letztere bauen vor allem den Motor, das Herzstück also. Mit dem Wechsel zum Elektromotor wächst der Anteil der Zulieferer am endgültigen Automobil. Der Verbrennungsmotor ist eine komplizierte Angelegenheit und sorgt ökonomisch betrachtet dafür, dass die Markteintrittsbarrieren hoch sind. Sprich also, es ist teuer und schwierig, als neues Unternehmen auf diesen Markt zu gehen. Das gilt nicht für Elektroautos.
Tesla, der Vorreiter der Elektroautos, ist noch nur eine Fußnote in der internationalen Automobilbranche. Das liegt aber vor allem daran, dass diese neuen Autos, wie jede neue Technologie, am Anfang ihres Lebens teuer sind. 2013 lagen Elektroautos etwa bei 6,2 Prozent Marktanteil in Norwegen, das damit europäischer Vorreiter ist. Ökonomen sprechen von Skaleneffekten, wenn die Produktion von Dingen günstiger wird, je mehr (weil die Kosten pro Stück sinken) oder auch je länger (weil man über die Zeit mehr über die Produktion selbst lernt) sie produziert werden.
Elektroautos stehen bei beidem noch am Anfang und haben zusätzlich das Problem, dass sie erst nützlich werden, wenn es genügend Ladestationen an Tankstellen gibt. Diese Nachteile sind aber temporär. Elektroautos sind im Vergleich sehr viel einfacher zu produzieren als Autos mit Verbrennungsmotor. Eine Folge davon ist eine wachsende Marktmacht der Zulieferer gegenüber den klassischen Autoherstellern. Kein Wunder, dass ein Lieferant der Automobilbranche wie Bosch selbst in Elektronik und selbstfahrende Autos investiert und mit Google kooperiert. Im Automarkt der elektrischen selbstfahrenden Autos gibt es höchstwahrscheinlich keinen Platz für einen Hersteller, der zwischen einem Bosch und einem Google sitzt. Hier liegt ein wesentlicher Grund, warum genau jetzt von Apple bis Google so viele Unternehmen Tesla folgen. Erst mit Elektroautos wird der Markteintritt für sie überhaupt sinnvoll umsetzbar. Und sie alle sehen den Wandel hin zum Elektroauto in den nächsten Jahren kommen. (Man kann es auch umgekehrt betrachten. Dass alle neu auf den Markt kommenden Unternehmen, die an selbstfahrenden Autos arbeiten, auf Elektroautos statt Autos mit Verbrennungsmotor setzen, sagt alles über die unterschiedlichen Markteintrittsbarrieren aus.)
Das ist aber nur ein Aspekt des Umbruchs.
Computer auf Rädern
Neue Autos haben bereits heute sehr viele Chips eingebaut. Manche Modelle können 100 Mikroprozessoren und 100 Millionen Zeilen Code vorweisen. Diese Computer und Chips sind aber nur auf ein jahrhundertaltes Konzept nachgerüstet. Elektroautos dagegen muss man sich eher vorstellen wie Computer auf Rädern. Eine Entwicklung, die man bei Tesla heute schon beobachten kann, wird mit eigenen, selbstfahrenden Autos von Apple und Google noch weiter zunehmen. Android Auto und Apple CarPlay sind nur die ersten Symptome der Computerisierung des Autos. Warum wird es computerisiert? Weil wir viel Zeit in Autos verbringen. Das Innenleben der Autos wird damit zu einem weiteren Schlachtfeld zwischen den Softwareriesen Apple und Google, die dem Betriebsystem des jeweils anderen keinen Zentimeter Boden überlassen wollen.
Können deutsche Automobilhersteller hier mithalten? Es lohnt aus verschiedenen Gründen, einen Blick auf den Smartphone-Markt zu werfen. Warum ist keiner der erfolgreichen Handyhersteller
noch erfolgreich am Markt? Smartphones sind keine Handys sondern kleine Computer. Die Folge aus diesem Wandel des Produkts hin zum Computer: Die Kernkompetenz, die über den Erfolg am Markt entscheidet, sind die Softwarefähigkeiten als Unternehmen. Das gleiche gilt für Smartwatches (Computer am Handgelenk) und wird für Autos (Computer auf Rädern) gelten. Warum? Weil Software Computern die Möglichkeit gibt, mehr verschiedene Aufgaben zu erfüllen als ihre nicht-computerisierten Vorgänger. Kein Facebook, Whatsapp, Instagram und Uber auf dem Handy. Auf dem Markt führt das dazu, dass diejenigen, welche die Software machen, den Markt gestalten können und das dann natürlich auch tun. (Weil die Software auch das flexibelste der wichtigen Produktmerkmale ist.)
Schauen wir nun auf den Smartphone-Markt, den computerisierten Handymarkt. Samsung, eines der größten Konglomerate der Welt mit erfolgreichen High-Tech-Sparten, hat es nicht geschafft, eine eigene Softwareplattform gegen Google zu etablieren. Und das, obwohl es der nach Stückzahlen führende Smartphonehersteller weltweit ist. Haben deutsche Automobilhersteller bessere Chancen an dieser Front als Samsung? Das ist die Frage, die den deutschen Wirtschaftsstandort Deutschland die nächsten Jahre beschäftigen wird. Denn der Smartphonemarkt hat auch gezeigt, wo die Gewinne in einem computerisierten Markt gemacht werden: Direkt (Google über Werbung) oder indirekt (Apple über vertikale Integration) mit Software und Services. Entweder man ist namensloser Hardwarezulieferer und -Produzent für Apple oder defizitärer Hersteller im Universum von Google, welches sein Geld mit Werbung verdient und so viele Autos selbst herstellen wird wie es Smartphones selbst herstellt.
Die Computerisierung verändert die Wertschöpfung und die Arbeitsteilung auf dem Markt. Es ändert sich zum Beispiel der Käufermarkt, wenn Privatpersonen dank Appifizierung (Uber und co.) immer weniger Gründe sehen, ein Auto zu besitzen. (Ewas, das übrigens langfristige Fragen für das Apple-Auto aufwirft.)
Der Vergleich zwischen Smartphone und Auto liegt nun darin, dass Computerhersteller auf einen Markt neu gekommen sind und ihn umgekrempelt haben, indem sie, essentiell gesprochen, (leistungsfähigere) Software in das Zentrum gestellt haben. Die Folge ist eben, dass ein BMW zum Beispiel marginalisiert wird, weil das Unternehmen (veraltende Verbrennungsmotor-)Hardware beherrscht, aber nicht die Software.
Keine guten Aussichten für deutsche Automobilhersteller.
Die Asymmetrie der Services
Aber so schlimm muss es nicht kommen. Die etablierten Automobilhersteller bauen ihre Autos und lassen diese gegen die Apple-Autos und Uber-Autos antreten. Die qualitativ besten Autos setzen sich am Markt durch. Die Kunden entscheiden und die wollen deutsche Qualität.
So wird es leider nicht sein. Hier kommen wir zum echten Dilemma, das auf die deutschen Automobilhersteller zukommt. Nach dem Siegeszug der Elektroautos, dem Einzug neuer Konkurrenten wie dem ersten Apple-Auto, werden in vielleicht zehn Jahren die selbstfahrenden Autos ihren Siegeszug beginnen. Der aktuelle Geschäftsführer von Ford geht sogar von nur fünf Jahren aus. Ab diesem Punkt wird sich der Markt langsam aber sicher radikal ändern. Services wie Uber werden sehr viel kostengünstiger möglich sein. Ein Auto zu besitzen, wird an Notwendigkeit verlieren, wenn selbstfahrende Autos als Dienst jederzeit schnell zur Verfügung stehen. Man muss sich das so vorstellen: Jede Innenstadt ist gepflastert mit parkenden Autos. Parkende Autos sind der uns ständig vor Augen geführte Beweis, dass fast alle von Privatpersonen gekauften Autos in über 90 Prozent ihrer Lebensdauer unbenutzt herumstehen. Ein selbstfahrendes Auto könnte in dieser Zeit Geld bei Uber verdienen, wenn man schon ein Auto besitzen muss. Wenn Fahrdienste, ob Uber, Google oder jemand anderes, unsere Beziehungen zu Autos dominieren werden, werden diese Anbieter automatisch zu den größten Einkäufern von Autos. Diese Marktmacht wird die Branche verändern, weil diese Unternehmen andere Anforderungen als Endkonsumenten haben.
Wenn wir in weit über 90 Prozent der Zeit unsere Autos nicht benutzen, dann bedeutet das im Umkehrschluss, dass der Besitz von Autos für viele Menschen unattraktiv werden wird, sobald es Alternativen gibt (weil diese mit einer sehr viel höheren Auslastung sehr viel günstiger sein können, sprich sie können die Kosten besser verteilen als sie beim Autobesitz verteilt sind). Die Services werden aufgrund dieser Tatsache schlicht extrem günstiger sein und uns von A nach B bringen.
Wie das konkret aussehen wird, ist offen.
Was nicht offen ist, ist, dass der Besitz von Autos durch Privatpersonen enorm zurückgehen wird. Das wird in den nächsten Jahren dank Uber und ähnlichen Diensten bereits beginnen (carsharing in Städten spielt auch eine Rolle) und mit selbstfahrenden Autos nur an, sorry, Fahrt aufnehmen. Nimmt man hinzu, wie besser ein öffentlicher Personennahverkehr zusätzlich mit selbstfahrenden Autos eine Gegend abdecken kann, wird deutlich wie sehr sich der Blick auf Autobesitz wandeln wird.
2012 gaben Deutsche für Neuwagen durchschnittlich 26.446€ aus. Das Durchschnittsalter eines Autos beträgt ca. 12 Jahre. Gehen wir sehr vereinfachend davon aus, das wir auf Basis dieser Zahlen ungefähr auf Lebensdauerkosten des Autobesitzes von 2.203€ pro Jahr kommen. Zuzüglich weiterer Zahlungen wie Steuern, Versicherung, etwaiger Garagenplatz und Reparaturen kommt man ohne weiteres auf über
3.000€ pro Jahr für den Besitz eines Autos im deutschen Durchschnitt. Die eigentlichen Fahrtkosten sind zusätzlich. Das mag je nach Einkommen nach nicht viel aussehen, wenn das Auto auch Teil des Ausdrucks der eigenen Persönlichkeit ist. Deshalb lohnt sich die Frage, für wie viele Menschen ein Auto überhaupt mehr als eine Transportmöglichkeit ist. Wenn die Alternativen für die Menschen wachsen und vor allem ökonomisch attraktivere Alternativen hinzukommen, wird diese Frage nach der emtionalen Beziehung zum Auto für die deutschen Automobilhersteller überlebenswichtig.
Tatsächlich zeichnet sich, parallel zu den Umbrüchen in der Branche selbst, ein Kulturwechsel in westlichen Ländern ab. In den USA legen nur noch 27 Prozent der Sechzehnjährigen die notwendigen Prüfungen für ihre Fahrerlaubnis ab, während es 1983 noch 46 Prozent in diesem Alter werden. In Deutschland sieht die Tendenz ähnlich aus. Von 2004 bis 2013 ist die Zahl der erteilten Fahrerlaubnisse an 18- bis 20-Jährige von 847.615 auf 310.448 gesunken. Erst im Alter von 23 bis 24 Jahren nennen in Deutschland heute 90 Prozent eines Jahrganges einen Führerschein ihr Eigen. Der Wunsch nach einem eigenen Auto scheint zurückzugehen. Denn wer erst Jahre später überhaupt fahren lernt, macht das in den meisten Fällen in erster Linie, um leichter zur Arbeit zu kommen und hat sich vorher oft zugunsten anderer Ausgaben gegen den Führerschein entschieden.
Vor der Frage, wer künftig im Automarkt das Sagen haben wird, Softwaremacher oder Autohersteller, ist es auch eine interessante Tatsache, dass sowohl in Deutschland als auch in den USA in der wachsenden Bedeutung des Smartphones und der „virtuellen Mobilität“ für Heranwachsende ein Grund für den sukzessiven Rückgang der Attraktvität des Automobils von Experten gesehen wird.
Wenn Uber ein globaler Transportkonzern mit einer riesigen Flotte selbstfahrender Autos ist, dann verdient es sein Geld mit Personenfahrten und Logistik, und nicht mit dem Autoverkauf. Entweder es ist dann global der größte und damit wichtigste Autokäufer oder es produziert die Autos gleich selbst. So oder so: Die Gewinne liegen dann beim Serviceanbieter, nicht so sehr beim Autohersteller.
Der Bedarf an Autos in der Bevölkerung wird stark zurückgehen. Man könnte mit Bezug auf die parkenden Autos auch sagen, dass die Automobilbranche zu 90 Prozent auf unbenutzten Produkten basiert. Wenn sich auch nur ein großer Teil dieser Ineffizenz mittels softwarebasierten Diensten abschaffen liese, würde die klassische endkundenorientierte Automobilbranche wie eine Wirtschaftsblase platzen. Man unterschätze hier nicht den radikalen Umbruch, wenn sich nur die Hälfte oder ⅓ des Marktes verschiebt. Wenn die etablierte Branche die Hälfte ihrer Kunden verliert. Es gibt auf Märkten mit Skaleneffekten auch Konsolidierungstendenzen. (Sprich, es gibt einen dominierenden, mit Skaleneffekten gesegneten Weg, Geld zu verdienen, und marginalisierte, teurere Alternativen.)
Der Umbruch hin zu selbstfahrenden Autos und Services wird unzählige Effekte zweiter Ordnung haben. Der Markt der Autoversicherungen wird stark zurückgehen. Warum soll ich eine hohe Versicherung bezahlen, wenn nicht ich sondern mein Auto fährt? Mehr noch, die Haftpflicht sollte in diesem Fall vielleicht eher beim Hersteller denn beim passiven „Fahrer“ liegen. Fahrrad fahren könnte in einem Umfeld selbstfahrender Autos plötzlich attraktiver werden, weil es sehr viel sicherer wird. Die akzeptable Strecke für tägliches Pendeln könnte enorm ansteigen, weil das Auto zum fahrenden Zimmer wird, in dem man frühstücken und sich ankleiden kann. Unsere Städte und unser Zusammenleben sind auf (nicht selbstfahrende) Autos ausgelegt und optimiert. Selbstfahrende Autos werden einen so großen Einschnitt in die Gesellschaft haben wie ihre Vorgänger. Jetzt ist die Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.
Die Übernahme von Nokias HERE Maps durch ein Konsortium bestehend aus Daimler, BMW und Audi deutet daraufhin, dass den deutschen Autobauern die (immer weiter steigende) Bedeutung der Software in den Autos sehr bewusst ist. Die Frage ist, ob das reicht; und ob ein Konsortium die richtige Antwort sein kann. Denn, wie oben angedeutet, wird sich mit dem Wandel zum Elektroauto die Konkurrenzsituation enorm ändern, während sich mit der zunehmenden Bedeutung der Software die Wertschöpfung selbst verändern wird. Das ist fruchtbarer Boden für Disruption, also für die erfolgreiche Verdrängung etablierter Unternehmen durch neue Unternehmen. Auch hier lohnt sich ein vergleichender Blick auf den Smartphone-Markt. Die SMS, die ehemalige Cashcow des Mobilfunks, wurde nicht von einem Mobilfunkanbieter an die Wand gespielt, der eine besonders gute oder günstige SMS-Funktion anbot, sondern von Whatsapp und anderen Messengern, die als Apps erst mit den Smartphones möglich wurden. Dagegen hatten die Mobilfunkanbieter keine Chance. Auch nicht mit eigenem Nachfolger. Die Spielregeln hatten sich geändert.
Der aktuelle VW-Skandal könnte in diesem radikalen Strukturwandel der deutschen Autobranche rückblickend als der zündende Intialpunkt herausstellen. Auf jeden Fall sollte er ein Weckruf sein, für Politik wie Industrie. Wer den Verbrennungsmotor auf den Altar stellt und für unantastbar erklärt, schafft vor allem den Rahmen für eine international weniger konkurrenzfähige deutsche Automobilbranche.
Aber die Branche wird so konkurrenzfähig sein müssen wie noch nie zuvor. Denn auch wenn etwa Analysten von Morgan Stanley davon sprechen, dass der Markteintritt von Apple ‚einer der wichtigsten Momente der Transportbranche‘ sein wird, so ist dieser gefürchtete Eintritt von Apple in den Automobilmarkt gar nicht die größte Gefahr für die bestehenden Automobilhersteller. Denn Apple will am Ende des Tages nur das Gleiche wie sie. Autos an Konsumenten verkaufen. Beruhigend ist das aber für die deutsche Automobilbranche nicht. Ganz im Gegenteil.
Lukas Leander Rosenstock says
Schöne, ausführliche Analyse! Der Automarkt wird sich in den nächsten Jahren verändern und das wird spannend zu beobachten!
Carsten Pötter says
„Die akzeptable Strecke für tägliches Pendeln könnte enorm ansteigen, weil das Auto zum fahrenden Zimmer wird, in dem man frühstücken und sich ankleiden kann.“
Hierzu hatte Hutch Carpenter vor einiger Zeit einen schönen Beitrag geschrieben: http://bhc3.com/2015/07/28/how-self-driving-vehicles-can-fix-the-san-francisco-housing-crunch/
Ach ja, guter Beitrag, Marcel. :)
jackie d ryder says
Einige sehr treffende Beobachtungen; im Detail kann man sicher lange diskutieren. Bis Apple und Google konkurrenzfähige (d.h.: sichere, zuverlässige und vor allem günstige) Autos produzieren, wird z.B. noch einige Zeit vergehen. Elektroautos sind derzeit immer noch untauglich für längere Strecken. Der Tesla etwa ist im Wesentlichen eine teure fahrende Batterie. Aber es stimmt: diese Unternehmen haben die finanziellen Ressourcen für einen langen Atem und der Innovationsdruck auf die deutschen und japanischen Autohersteller wird erheblich wachsen.
Thomas Bohn says
Es fehlt ein entscheidender Punkt. Autohersteller könnten in der Zukunft bloße Zulieferer sein, wie heute schon die Hersteller von Bussen und Straßenbahnen. Demnach könnten autonome Autos dort als ÖPNV unterwegs sein, wo sich große Busse oder gar Straßenbahnen nicht rentieren. Und ob dies ein Umfeld ist, in dem Apple aktiv sein will wird sich noch zeigen. Denn Apple hat ja kein wirkliches Interesse an einer großen Änderung des Marktes. Das Unternehmen baut auf dem Prestige seiner Produkte für den einzelnen auf.
Denn das ist ja die Frage, wo will sich Apple auf dem Automarkt positionieren? Als ein Toyota oder VW, welches für jedes Segment etwas hat. Für Mercedes-Benz die vor allem Premium-Segmente ansprechen (aber halt auch die gesamte Bandbreite) oder halt eine Nische, wie es Tesla aktuell macht (wobei hier durchaus der Blick auf ein breites Sortiment geht).
Da sieht das mit dem autonomen Auto von Google anders aus. Dies ist ein kleines Auto für die Masse. Hier ist klar, es könnte von Taxiunternehmen angeboten werden, genauso wie von Gemeinden als ÖPNV-Ergänzung.
Marcel Weiss says
Danke für die Ergänzungen. Ich habe den öffentlichen Personennahverkehr mit selbstfahrenden Autos angesprochen. Und auch, dass Apples Geschäftsmodell in eine Welt der selbstfahrenden Autos und ihrer Services nicht so richtig passt. Ich bin da aber nicht tiefer darauf eingegangen, weil der Text auch so schon lang genug war.
Fritz says
Sehr schöne Überschrift. Man kann an diesem oder jenem Punkt etwas einwenden oder bedenken, aber mit der Überschrift bringst du die Situation auf den Punkt und mit den Ausführungen die Argumente, warum es auf jeden Fall zu einem dicken Konkurrrenzkampf zwischen völlig neuen Anbietern und 100 Jahre alten Automarken kommen wird.
Ich kann die reale Lage auf Ingenieursebene nicht beurteilen. Immerhin muss man annehmen, dass die Entwicklung eines „userfreundlichen“ Elektroautos doch nicht ganz so trivial sein kann – auch Tesla brauchte Jahre, um mit dem kleineren Modell rüberzukommen. War vor 6 Monaten für Frühjahr 2016 angekündigt, und im Frühjahr kam jetzt die Verschiebung auf Ende 2017. Solche lange Entwicklungszeiten deuten darauf hin, dass da nicht so einfach die Bausätze zusammenzukaufen sind, und ich würde vermuten dass der kleine Tesla erst 2018 kommt und dann vielleicht auch teurer sein wird. Wenn zwischen dem derzeitigen Durchschnittspreis im Massenmarkt von 26.000 und einem „kleinen“ Tesla mehr als 30% liegen, die Abschreibungen auf die Batterien aber weiter so hoch bleiben (siehe auch Elektroräder), dann wird es schwierig, zumal wenn sich um einen Gesamtmarktanteil von vllt 15% eine Vielzahl von Herstellern balgen, man andererseits aber hohe Entwicklungskosten amortisieren muss.
Ob sich der Markt in seinen alten Gewohnheiten so disruptiv umgestaltet? Weiß ich nicht. Wenn die Leute immer weniger Geld für Autos haben oder ausgeben wollen, dann trifft es auch die E-Autos (selbstfahrende Autos müssen ja keine E-Autos sein, Mobileye wird heute massenhaft in Benziner eingebaut).
Wenn der Kernnutzen eines Autos persönliche Freiheit ist, dann haben E-Autos vorläufig auch noch einen gravierenden Nachteil, nämlich die geringe Reichweite. Auch von der Seite gibt es einen gewissen Schutz des Altmarktes, der sich sowieso nicht so schnell austauscht wie z.B. Telefone. Autos haben eine viel längere, derzeitig steigende Halbwertzeit (bei gutem Umgang sind die Karren ziemlich lange haltbar, Benziner mit Unfallverhinderungstechnik könnten noch erheblich länger halten ;)) ).
Wie auch immer, deine These ist vermutlich richtig, dass die Autohersteller ihre Zukunft nicht mehr so souverän planen können wie früher. Es wird Veränderungen geben, aber wer Pleite geht und wer nicht, würde ich mich nicht trauen vorherzusehen. (Google zieht sich aus der Robotnik und der Wohnungsautomatisierung schon wieder zurück … vielleicht auch nicht dumm?)