Boerse.ARD.de berichtet unter der Kategorie „Anlagestrategie“ über die Herausforderungen und Versäumnisse der deutschen Autobranche. Die Diskussion kommt also langsam im Mainstream an. ARD.de:
Mitte Oktober platzte dem 60-jährigen Bayer der Kragen. In einer Rede vor Zulieferern in Wolfsburg schimpfte Diess über die „beinahe hysterische Stickoxid-Diskussion um wenige Problemzonen in unseren Städten“ und über die neuen strengeren CO2-Richtlinien für Autos, die ab 2030 zugelassen werden. Er sprach von einem „politischen Feldzug gegen die individuelle Mobilität“, der existenzbedrohende Ausmaße annehme. […]
Sollte die Politik die deutsche Autobranche mit immer neuen Umweltvorgaben überfordern, drohe der Abstieg in die Zweitklassigkeit. „Die Chancen stehen 50:50, dass die deutsche Autoindustrie in zehn Jahren noch zur Weltspitze gehört“, warnte er.
Ich stimme VW-Chef Diess mit der 50:50-Chance zu. Schuld an dieser unguten Aussicht ist auch, aber nicht nur, die Politik. Aber nicht, weil sie, wie Diess behauptet, einen „politischen Feldzug“ gegen Verbrenner-Autos fährt, die hier gleich mal synonym mit individueller Mobilität gesetzt werden1.
Das Problem ist, dass die deutsche Politik nachwievor viel zu nachsichtig mit den deutschen Automobilherstellern ist. Das geht nicht nur zu Lasten der Konsumenten und unbeteiligter Dritter (Stichwort Dieselbetrug) sondern senkt den Druck für die Autohersteller in ihrem Heimatmarkt zu stark. Sie brauchen aber den Druck, um sich für die (globale E-)Zukunft konkurrenzfähig aufzustellen, solang sie noch die Ressourcen dafür haben.
Beweisstück A dafür sind die Dieselbetrügereien, die sich eine Industrie, die Angst vor den regulatorischen Konsequenzen haben müsste, niemals erlaubt hätte:
Tatsächlich haben die deutschen Autobauer ein echtes Diesel-Problem. Der Verkauf der Diesel-Fahrzeuge ist eingebrochen. Ihr Anteil sackte bei den Neuzulassungen in Deutschland auf 32 Prozent. 2015 war noch gut jedes zweite abgesetzte Auto eines mit einem Selbstzünder. „Der Diesel ist tot“, meint Jacques Aschenbroich, Chef des französischen Autozulieferers Valeo. […]
Die aufgedeckten Abgas-Manipulationen bei VW und später auch bei anderen Herstellern haben zu einer Vertrauenskrise geführt. Seit nun auch Fahrverbote in deutschen Großstädten drohen, ist den Deutschen die Lust auf ein neues Diesel-Auto gänzlich vergangen. Da helfen auch die großzügigen Umtauschprämien nicht viel. Wer weiß, ob nicht bald auch ein Diesel-Fahrzeug der Schadstoffklasse Euro 6 von Fahrverboten betroffen sein wird.
Wegen der Diesel-Krise läuft das Deutschland-Geschäft für die heimischen Autokonzerne schlecht. Bisher hat Mercedes hierzulande im laufenden Jahr sieben Prozent weniger Autos verkauft. Bei BMW lag das Minus bei zwei Prozent.
Beweisstück B: Erst jetzt kommen erste serienreife E-Autos auf den Markt, die dank ihres Preises in der Regel wenig massenmarkttauglich sind.
Um die CO2-Vorgaben der EU zu erfüllen, bedarf es deutlich mehr Elektrofahrzeuge. „Wenn wir den CO2-Ausstoß unserer Autoflotte bis 2030 um 30 Prozent reduzieren müssen, geht das nur mit einem Drittel reiner E-Autos auf den Straßen“, sagt VW-Boss Diess.
In Deutschland wurden im ersten Halbjahr gerade mal knapp 34.000 Stromer und Plug-in-Hybride zugelassen. China ist da schon deutlich weiter. Dort ist ab 2019 ein Mindestanteil von zehn Prozent Elektroautos in der Flotte vorgeschrieben.
Die Deutschen verlieren bereits heute langsam Stück für Stück den chinesischen Markt, den größten Automarkt der Welt. Und das hat nichts, überhaupt gar nichts, mit der hiesigen Debatte über Diesel zu tun. Es hat aber sehr viel mit Diesel selbst zu tun.
Diess forderte neulich eine „sachlichere“ Debatte in Deutschland. Mit diesem Fakt könnte man anfangen.
Experten bezweifeln, ob die deutschen Autokonzerne mit ihren E-Autos hier ähnlich den Markt dominieren werden wie bei den Fahrzeugen mit klassischen Verbrennungsmotoren. Zumal sich mit ihnen auch deutlich weniger Geld verdienen lässt – bisher zumindest. In der Produktion sind sie je nach Modell bis zu 10.000 Euro teurer als herkömmliche Pkws. Kunden sind aber nicht bereit, einen solch hohen Aufschlag zu zahlen. Folglich werden die Stromer zu Kampfpreisen auf den Markt kommen – zu Lasten der Marge der deutschen Autobauer.
Wer in turbulenten Marktzeiten Angst um die eigene (Traum-)Marge hat, könnte morgen schon sehr viel existenziellere Probleme haben.
Die größte Herausforderung für Manager: Es geht nicht um die heutige Marge. Die entscheidende Frage lautet, wer schneller Skaleneffekte bei E-Autos erzielen wird: Die Chinesen, die Deutschen oder Tesla? Deutschland liegt hier aktuell sehr offensichtlich hinten.
Ein großes Problem für die deutsche Industrie werden nicht nur die Hersteller sondern vor allem auch die hiesige Zuliefererbranche sein:
Schlimmer noch: Sollten sich die E-Autos zunehmend durchsetzen, fällt ein Teil der Wertschöpfung weg. Kolben, Schaltgetriebe und Abgasvorrichtungen werden dann nicht mehr gebraucht. Die entscheidenden Komponenten sind die Batterien. Diese kommen aber bis jetzt vorwiegend aus Asien. Was bleibt dann noch für die deutsche Zulieferindustrie?
Bosch und co. müssen sich schnellstens vom Verbrenner und dessen Herstellern emanzipieren und das machen sie auch bereits:
Noch geben sich Conti, Bosch, ZF, Schaeffler und Leoni gelassen. Sie setzen zunehmend auf Elektromobilität und autonom fahrende Autos. Bosch und ZF bieten zum Beispiel elektrische Achsantriebe an. ZF bastelt mit dem Aachener Start-up und StreetScooter-Entwickler an einem Elektro-Kleintransporter, dem e.Go Mover, der sich im Stadtverkehr durchsetzen soll.
Die spannenden Sachen auf der Vehikel-Ebene passieren heute nicht da, wo BMW, Audi und co. genervt und zähneknirschend Elektroantriebe in für Verbrenner konzipierte Chassis pressen, sondern da wo die Zulieferer heute an ihrem „Plan B“ werkeln.
Wer nun noch bedenkt, dass E-Mobilitität nur die noch relativ einfach zu erklimmende Vorstufe zur Mobility-Welt von morgen ist, wir hier also noch gar nicht über die organisatorisch schwereren Felder 'neue Geschäftsmodelle' und 'softwaregetriebene Innovationen' sprechen, kann also zu Recht ein bisschen Angst um die deutsche Autobranche bekommen.
- Wir kennen diesen rhetorischen Trick von der Musikbranche bei Urheberrechtsdebatten. Dort werden Musikaufnahmen und die Recordingindustrie mit der gesamten Musikbranche gleichgesetzt. ↩