Wer dachte, die faktische Verpflichtung zu Uploadfiltern sei schon der Supergau, hat sich wohl getäuscht. Denn im Streit um den geplanten Art. 13 der Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt hat sich die Situation nochmals verschärft. Der zwischen Parlament und Rat abgestimmte endgültige Text, trägt keineswegs den vielfach geäußerten Bedenken Rechnung, sondern geht vielmehr noch einen Schritt weiter.
Art. 13 Nr. 1 lautet nunmehr wie folgt:
Die Anbieter sollen also jetzt nicht mehr nur eine Veröffentlichung ohne Zustimmung des Rechteinhabers verhindern. Das hätte es erforderlich gemacht, die vieldiskutierten Uploadfilter einzuführen. Nach dem aktuellen Konzept sollen die Plattformbetreiber vielmehr gleich direkt beim Rechteinhaber eine Lizenz erwerben. Selbst Uploadfilter wären dann kein zwingend geeignetes Instrument mehr, um eine eigene Haftung zu vermeiden.
(Hervorhebung von mir)
Man nennt so etwas Zwangslizenz. Und selbst das würde nicht reichen, weil die Plattformen keine Lizenzen mit der ganzen Welt abschließen können.
Die weitere Maximalisierung des geplanten Gesetzes könnte eine Präventivmassnahme gegen den jetzt doch rasant anwachsenden Gegenwind sein. Je extremer die eigene Position, desto eher landet der endgültige Kompromiss im Bereich dessen, was man gern erreichen möchte. Eine so alte, wie effiziente Verhandlungspraxis. Solang alle mitspielen.
Stadler:
Anbieter von User-Generated-Content Plattformen wie YouTube, nach meiner Einschätzung aber auch soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram oder Twitter, werden damit also so behandelt, als würden sie die urheberrechtlichen Nutzungshandlungen ihrer User selbst vornehmen, weshalb sie auch originär dafür verantwortlich wären, sich selbst beim Rechteinhaber eine urheberrechtliche Gestattung (Lizenz) zu besorgen.
Das geht deutlich über die bisher geplante Regelung hinaus. Letztlich wird damit das bisherige Geschäftsmodell sämtlicher Plattformen, die den Upload von Inhalten durch Nutzer ermöglichen, in Frage gestellt.
Das kann in dieser Form im Übrigen auch Marktplatzanbietern wie Amazon und eBay erhebliche Kopfschmerzen bereiten.
Ich schrieb vor ein paar Tagen:
Das offensichtlich werdende Ziel: Article 13 soll das Plattformgeschäft als solches im Mediensektor zerstören. Das ist kein massiver, aber leider übersehener Kollateralschaden, sondern implizites Ziel[...]
Selbst wenn es nicht das implizite Ziel ist, so ist diese direkte Folge zumindest etwas, das den befürwortenden EU-Politikern egal zu sein scheint. Oder es ist ihnen nicht bewusst. Stadler:
Die EU überholt die durchaus urheberrechtsfreundlichen USA damit mal eben locker.
Die damit zusammenhängenden Fragen sind von gesamtgesellschaftlicher Relevanz und sollten daher nicht auf Ebene einer Urheberrechtsreform entschieden werden. Letztlich geht es nämlich auch darum, welches Internet wir als Bürger haben wollen. Man hat erneut das Gefühl, dass vielen Abgeordneten des EU-Parlaments einmal mehr die Bedeutung und Tragweite ihrer Entscheidung nicht bewusst ist.
Die Anbieter von Plattformen für User-Generated-Content, werden sich künftig sehr genau überlegen, ob sie wie bislang den freien Upload und das freie Einstellen von Inhalten durch ihre Nutzer ermöglichen wollen, oder ob dies aufgrund der urheberrechtlichen Vorgaben nicht mehr mit vertretbarem wirtschaftlichem Risiko möglich ist.
Obwohl ich nicht zu Alarmismus neige, ist die Befürchtung, dass eine solche Regelung Plattformen wie YouTube, Facebook oder Instagram in Europa generell in Frage stellt, keinesfalls mehr abwegig oder übertrieben.
Das Gleiche gilt für Onlinemarktplätze.
Würde Artikel 13, so wie jetzt angedacht,verabschiedet, wäre das wahrscheinlichste Vorgehen der Plattform- und Marktplatzprovider, gesonderte Angebote für den EU-Raum zu bauen, welche ohne Uploadfunktion kommen und von Endnutzern und Endkunden nur passiv konsumiert werden können.
So umgeht man die wirtschaftlichen Kosten und Risiken, verzichtet aber nicht auf den großen europäischen Absatzmarkt.
Das wäre nicht nur ein Supergau für die vernetzte Öffentlichkeit in Europa, sondern würde ganzen Wirtschaftszweigen, welche auf Plattformen und Marktplätze als Infrastruktur aufsetzen, erheblich zu schaffen machen beziehungsweise diese sogar abtöten.
Der aufmerksamen Beobachterin dürfte an dieser Stelle nicht entgangen sein, dass europäische Medienkonzerne wie Bertelsmann oder Axel Springer, die Lobbyisten hinter dem Gesetzesvorhaben, mit diesem Szenario über-haupt-kein-Problem hätten.1
Mittlerweile erscheint mir das Vorgehen von Axel Voss und co. allerdings wie eine massive Fehlkalkulation, wie man an den jetzt anschwellenden Protesten der YouTuber und ihrer Gemeinschaften sehen kann.
Voss & co., so scheint es gerade, können nur noch verlieren.
Entweder die Urheberrechtsreform mit Artikel 13 wird nicht mehr vor der Europawahl verabschiedet (und muss danach in neuer Konstellation erneut die Runden machen) oder aber ein verabschiedetes Gesetz, das den Jugendlichen und jungen Erwachsenen (im Wahlalter) ein zentrales Stück ihrer Kultur und ihres Alltags entreißt, wird die sehr bald anstehende Europawahl dominieren und potenziell hochproblematisch etwa für die Konservativen werden. Vom Backlash aus der Wirtschaft (siehe Marktplätze et al) ganz zu schweigen.
Wahrscheinlichstes Szenario: Eine verwässerte Version der Urheberrechtsreform wird in den nächsten Wochen durchgeboxt. Diese Version wird YouTube und co. mehr oder weniger unverändert weiter arbeiten lassen. Hier geht es weniger um YouTube, das Unternehmen, das minimal zur Kasse gebeten werden wird, und mehr um die YouTuber selbst, deren Mobilisierungspotenzial noch immer unterschätzt wird. Die letzte Gruppe, die YouTuber, werden die Politiker irgendwie versuchen, ruhig zu stellen.
Alles steht und fällt jetzt also mit der Mobilisierungsmacht der YouTuber.
Man darf gespannt bleiben.
(So oder so, kein Grund zur Freude: Selbst eine wie auch immer abgeschwächte Version von Artikel 13 und Artikel 11 wird auch dann immer noch eine Urheberrechtsverschärfung. Also erneut ein Schritt in die schmerzhaft offensichtlich falsche Richtung. Was auch immer am Ende herauskommt, die Urheberrechtsmaximalisten werden erneut ein weiteres kleines Stück auf Kosten des Rests der Gesellschaft gewinnen. Das Ergebnis von: "Je extremer die eigene Position, desto eher landet der endgültige Kompromiss im Bereich dessen, was man gern erreichen möchte.")
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- Deutsch-französischer Kompromiss zu Artikel 13 verlangt, dass fast alle Posts oder geteilten Inhalte online von einer „Zensurmaschine“ à la ContentID vorab Existenzerlaubnis erhalten
- Uploadfilter: Artikel 13 ist ein Konzerngesetz für eine Konzernwelt
- #Artikel13: Soundcloud-Rap-Phänomen zeigt uns die gesellschaftlichen Kosten, die aus den kommenden Uploadfiltern erwachsen werden
- Wobei es durchaus amüsant wäre, wenn eine Folge davon wäre, dass die erfolgreichen Axel-Springer-Portale wie immowelt oder meinestadt.de ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen werden. Axel Springer ist bekanntlich schon länger kein Presseverlag mehr. ↩