Ingo Dachwitz interviewt auf netzpolitik.org Kristin Benedikt, Referatsleiterin beim BayLDA:
netzpolitik.org: Ihre Behörde hat die Nutzung der „Custom Audience“-Funktion grundsätzlich verboten – es sei denn, es gibt eine Einwilligung der Betroffenen. Eine andere Rechtsgrundlage kommt nicht in Frage?
Benedikt: Nein. Da wäre höchstens die sogenannte Interessenabwägung und in diesem intransparenten Verfahren steht das Interesse der Betroffenen am Schutz ihrer Daten klar über dem Interesse der Unternehmen an Werbung und Umsatz.
netzpolitik.org: Wie würde so eine Einwilligung in der Praxis aussehen?
Benedikt: Die Einwilligung kann beispielsweise beim Abschließen einer Bestellung in einem Onlineshop oder bei der Anmeldung zu einem Newsletter eingeholt werden.
netzpolitik.org: Das wäre dann ein weiteres Häkchen à la „Ich bin damit einverstanden, dass meine Daten an Facebook übermittelt werden, damit ich dort wiedergefunden und mit zugeschnittener Werbung erreicht werden kann“?
Benedikt: Richtig, dieser Zweck muss ganz klar benannt werden. Es dürfte dann natürlich keine vorausgefüllten Check-Boxen geben oder eine Voraussetzung für die Anmeldung bei einem Newsletter sein. Es gibt allerdings einen technischen Haken: Jedes Mal, wenn ich eine Einwilligung erteile, habe ich als Betroffener das Recht, sie zu widerrufen. Ich kann also jederzeit dem Onlineshop mitteilen, dass ich den Newsletter nicht mehr erhalte möchte und auch meine E-Mail-Adresse nicht mehr für Werbung auf Facebook verwendet werden darf. Das hätte zur Folge, dass das Unternehmen meine E-Mail-Adresse unverzüglich aus der Kundenliste entfernen und die bei Facebook hochgeladene Liste aktualisieren müsste. Das führt allerdings dazu, dass die gesamte Facebook-Kampagne abgebrochen und dann neu gestartet werden muss. Das kann zu einem großen finanziellen Verlust führen, denn auch wenn ich die Kampagne gerade erst begonnen habe, gibt es kein Geld zurück.
netzpolitik.org: Facebook könnte sein System ja so anpassen, dass die Kampagnenlisten flexibler sind, aber schauen wir mal auf den größeren Kontext: Ist es überhaupt realistisch, dass dieses System der personalisierten Werbung über abgeglichene Kontaktliste, das Google ja in gleicher Form anbietet, jemals so gestaltet wird, dass Nutzer:innen tatsächlich informiert und selbstbestimmt entscheiden?
Benedikt: Theoretisch funktioniert das sehr gut. Ich brauche dafür einen leicht verständlichen Text, der mir erklärt, wozu ich gerade einwillige – kein Juristendeutsch, sondern verständlich für den Normalverbraucher. Ich vermute allerdings, dass nicht viele zustimmen würden, wenn transparent gemacht wird, dass die Daten an Facebook weitergegeben werden und zu welchem Zweck. Das hätte dann zur Folge, dass die Unternehmen deutlich weniger Kunden auf ihrer Liste haben. Ob personalisierte Werbung dann noch lukrativ ist, kann man in Frage stellen.
netzpolitik.org: Wenn es rechtssicher und fair gestaltet wäre, würde das System der personalisierten Werbung nicht mehr funktionieren?
Benedikt: Genau.
Das wird weitreichende Folgen haben.
Eingeleitet wurde das Verfahren noch vor der DSGVO. Letztere bestärkt diese Entscheidung noch. Das wird sicher nicht nur in anderen deutschen Bundesländern sondern auch auf EU-Ebene Nachahmer finden.
Das Augenmerk liegt auf Facebook, aber in Wirklichkeit trifft das vor allem kleinere und mittelgroße Unternehmen, die auf diesen Weg effizient Werbung schalten können. Schön erkennt man das an diesem Austausch:
netzpolitik.org: Zum „Custom Audience“-System gehören mindestens zwei Seiten. Wieso haben Sie sich entschieden, gegen die Webshop-Betreiber vorzugehen und nicht direkt gegen Facebook?
Benedikt: Das ist eine rechtliche Frage, die derzeit stark diskutiert wird. Es gibt eine recht junge Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zur gemeinsamen Verantwortlichkeit für den Betrieb von Facebook-Fanpages. Wir sehen auch die Verantwortung für die „Custom Audience“-Funktion auf beiden Seiten. Aus diesem Grund haben wir im Vorfeld Gespräche mit Facebook geführt. Allerdings geht die erste entscheidende Aktion von dem Webshop-Betreiber aus, denn der übermittelt aktiv eine Liste. Erst dann kann Facebook mit diesen Informationen die weitere Datenverarbeitung vornehmen. Wir sahen es daher als notwendig an, diesen ersten Schritt zu unterbinden, weil das die schnellstmögliche Lösung ist, die rechtswidrige Verarbeitung gar nicht erst entstehen zu lassen. Gleichwohl bezweifeln wir stark, dass Facebook selbst eine Rechtsgrundlage hat, mit diesen Daten weiter umzugehen und diese zu verarbeiten.
Es sind diese „Webshop-Betreiber“, die vor allem betroffen sind. Große Konzerne können auch mit der Gießkanne etwa auf Spiegel Online und auch auf Facebook werben.
Personalisierungsoptionen sind Effizienzoptionen. Personalisierung heißt für Werbetreibende, dass kleinere Unternehmen effektiv Gelder für Werbung einsetzen können. Fährt man diese Optionen, aus welchen guten oder schlechten Gründen auch immer, zurück, nimmt man diesen Unternehmen sukzessive Möglichkeiten, Kunden zu finden.
Am Ende heißt das vor allem, dass hier ein struktureller Nachteil für die europäische Wirtschaft entsteht.
Betrachtet man das nun vor dem globalen Kontext, könnte sich ein Szenario herausschälen: Während Unternehmen außerhalb der EU über personalisierbare Werbung rasant wachsen können1, wenn sie ein Angebot gebaut haben, das Kunden möchten, können Unternehmen innerhalb der EU auf diesen schnellen Wachstumspfad nicht setzen. Das heißt unter anderem, dass vergleichbare Unternehmen innerhalb der EU langsamer wachsen werden.2
Für Facebook mag das einen leichten Rückgang an Einnahmen bedeuten. Aber am Ende des Tages hat Facebook immer noch die größte Reichweite der Welt und wird deshalb auch weiterhin Werbebudgets einsammeln.
Um das klarzustellen, ich sage nicht, dass alles per se so weiterlaufen sollte, wie es bis dato umgesetzt wurde. Aber die eben beschriebenen Dynamiken werden in diesem Zusammenhang praktisch nie diskutiert.
Um es noch einmal konkret zu sagen:
Jedes Unternehmen jeder Größe kann theoretisch jede Art von Werbung einsetzen.
Aber traditonelle Massenwerbung bevorzugt strukturell große Unternehmen.
Personalisierte Nischenwerbung bevorzugt strukturell kleine Unternehmen.
- Man denke etwa an die mobile Marktplatz-App Wish, die in ihren Anfangstagen über Facebook-Ads massiv wachsen konnte. ↩
- Das ist jetzt stark vereinfacht. Natürlich ist kein Unternehmen allein auf Facebook angewiesen. Und wenn doch, dann hat das Unternehmen bereits inhärente Geschäftsmodellprobleme. Der Punkt ist: Wenn aus einem Strauß an Hebeln einer der besten und größten Hebel fehlt, dann merkt man das am Endergebnis, egal wie groß und vielfältig der gesamte Strauß an Optionen ist. ↩