"Jetzt setzen Ölkonzerne, Automobilindustrie und Chemieunternehmen das Thema wieder auf die Agenda und versprechen eine große Zukunft für den Designersprit.", schrieb das Handelsblatt am 31.5. diesen Jahres. Und dieses Agenda-Setting zeigte Wirkung in Form eines Vorschlags aus der Unionsfraktion des Bundestages.
Kurz vor dem Autogipfel im Kanzleramt meldet sich die Unionsfraktion zu Wort - mit einem Vorschlag zur Rettung des Verbrennungsmotors. CDU und CSU im Bundestag wollen dazu die Produktion klimafreundlicher Treibstoffe fördern und nicht ausschließlich Elektroautos. Das geht aus einem Positionspapier hervor, das dem SPIEGEL vorliegt. Solche synthetischen Kraftstoffe - auch E-Fuels genannt - werden meist aus erneuerbaren Energien, Wasserstoff und Kohlendioxid erzeugt.
SpOn liefert auch gleich noch die recht offensichtlichen Gründe:
Dahinter dürfte auch die Furcht vor dem Verlust Tausender Arbeitsplätze in Deutschland stehen, die am Verbrennungsmotor hängen. In dieser Technik sind deutsche Hersteller führend, in Elektroautos würde sie nicht oder kaum noch benötigt. Zuletzt haben mehrere Länder angekündigt, die Neuzulassung von Benzin- und Dieselautos von 2030 an zu verbieten, darunter Irland. Großbritannien und Frankreich wollen 2040 folgen.
Synthetische Brennstoffe zu fördern, ist dem kurzfristigen Blick auf heutige Produktionsstätten und die dortigen Arbeitsplätze geschuldet. Der Preis dafür ist die wirtschaftliche Zukunft des Landes, die man so verspielt.
Der Wandel beim Antrieb von Verbrenner zu Elektromotor ist tiefgehender als in den aktuellen SUV statt Dieselmotor was anderes einzubauen.
Die Zukunft liegt nicht darin, mit zwei Tonnen 70 KG durch die Gegend zu kutschieren.
Weltweit explodiert der Micromobility-Sektor. Also Fahrräder, E-Bikes, E-Scooter, die man für kurze Strecken ausleihen kann. Es ist das sichtbarste Symptom einer gerade begonnenen Entbündelung des Autos.
Die heutigen Autos sind zu groß und rundherum "überqualifiziert" für den Stadtverkehr. Dass sie zusätzlich noch die Umwelt verschmutzen und die Luft verschlechtern, hilft nicht. Aber auch wenn man den Diesel mit E-Fuels ersetzt, bleiben die 2-Tonnen-SUVs, die jeder große Hersteller heute pusht, grotesk überdimensionierte Monster.
Der Verbrennungsmotor ist eine komplexe Angelegenheit. Deswegen erwuchs aus ihm ein Technologievorsprung für die deutsche Automobilbranche.
Diese Komplexität wird jetzt ein Klotz am Bein.
Reine Elektromotoren sind leichter und weniger komplex. Die ehemaligen Markteintrittsbarrieren fallen steil nach unten. Seit Jahren sagen Experten (unter anderem auch ich) deshalb voraus, dass mit der Elektromobilität eine Explosion der Formfaktoren kommen wird. Neue Größen, neue Herangehensweisen werden kommen.
Denn jetzt können mehr Unternehmen mehr verschiedenes im Mobility-Sektor ausprobieren.
Wir sehen aktuell die zaghaften Anfänge dieser Explosion in Form von E-Scootern und E-Bikes für Sharing und Besitz gleichermaßen. E-Lastenräder, die von Logistikern selbst gebaut werden. Onlinelebensmittelhändler wie Picnic, die ihre eigenen E-Lieferwägen konzipieren und bauen lassen. Usw. Interessant wird es für den innerstädtischen Verkehr, wenn zusätzlich zu den bestehenden Optionen die ersten (wetterfesten) elektrischen Ein-Personen-Pods in Massenfertigung kommen.
Das fängt alles gerade erst an.
Nun, Städte schön und gut, aber was ist mit dem Land, hm?
Vor einem Jahr veröffentlichte die UN eine Prognose, nach der spätestens 2050 68% der Weltbevölkerung in Städten wohnen wird.
Nordamerika liegt bereits heute bei 82% und Europa liegt bei 72% der Bevölkerung, die in Städten wohnt:
Today, the most urbanized regions include Northern America (with 82% of its population living in urban areas in 2018), Latin America and the Caribbean (81%), Europe (74%) and Oceania (68%). The level of urbanization in Asia is now approximating 50%. In contrast, Africa remains mostly rural, with 43% of its population living in urban areas.
Nicht nur wird der Platz in den Städten kostbarer. Die überwiegende Mehrheit der Menschen wird bald urban leben und tut das bereits in vielen für die Hersteller wichtigen Regionen.
In dieser urbanen Zukunft haben Verbrenner künftig keinen Platz. Wortwörtlich.
Es geht hier also um einen künftig stark schrumpfenden Verbrenner-Markt, der heute subventioniert werden soll.
Wer Branchenentwicklungen verstehen will, besonders Ökosystemdynamiken in den Branchen, muss Skaleneffekte verinnerlichen. Es werden weltweit Milliarden über Milliarden $ von unterschiedlichsten Playern in E-Mobilität investiert. Alles was auf E-Mobilität setzt, wird künftig auf günstigste Bauteile setzen können, die unterschiedlich verbaut und kombiniert werden können. Gleichzeitig wird weltweit damit auch die notwendige Infrastruktur entstehen; so wie seinerzeit die Tankstellen kamen.
Und an dieser Elektro-Welt hängt gleichzeitig auf allen Ebenen zusätzlich die alles beschleunigende App-Welt!
Tankstellen für Verbrenner dagegen werden immer unlukrativer werden. Weil die Zahl der Abnehmer mit dem Aufstieg der E-Mobilität zurückgehen wird. (Die Skaleneffekte brechen weg.)
Was passiert, wenn Deutschland massiv in E-Fuels investiert aber der Rest der Welt batteriebetrieben vorankommt? Ein skalenseitiges Worst-Case-Szenario.
Die deutsche Industrie kann jede Antriebsart erforschen, die sie möchte. Aber die deutsche Politik sollte sich bei der Wirtschaftsförderung auf Elektromobilität konzentrieren, weil nur dieser Mobility-Markt künftig groß genug sein wird, um der deutschen Wirtschaft eine Zukunft zu bieten. Wer anderes behauptet, verschläft entweder gerade die sehr offensichtliche globale Entwicklung und/oder hofft, das Ergebnis der heutigen Fehlentscheidungen eh nicht mehr persönlich zu erleben.
Noch ist es nicht kritisch, aber das Zeitfenster schließt sich rasant.
Statt sich also zu freuen, dass man mit E-Fuels keine komplett neue Infrastruktur aufbauen müsse, sollte man sich lieber die Frage stellen, warum die Unionsfraktion weder sich selbst noch der deutschen Wirtschaft nichts mehr zutraut; nicht einmal den Aufbau einer notwendigen, und ehrlich gesagt vergleichsweise unterkomplexen, Ladeinfrastruktur für die künftige alltägliche Mobilität.
- Micromobility: Warum VW eine Antwort auf die E-Scooter-Welle sucht (und auch benötigt)
- Bird-CEO: „Je mehr ich über das Transportwesen lerne, desto mehr realisiere ich, dass wir nicht selbstfahrende Auto oder mehr Tunnels brauchen. Alles, was wir brauchen, sind mehr Fahrradwege“
- Die deutsche Automobilbranche in der SUV-Falle
- Die vorhersehbare Evolution der E-Scooter
- Natürlich wird Elektromobilität zu massiven Verschiebungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt führen, und zwar schneller als gedacht