Katharin Tai und Nils Wieland im sehr lesenswerten Fernostwärts-Newsletter über TikTok:
Die weltweit erfolgreiche chinesische Videoapp wurde in den letzten Wochen mehrfach von US-Politikern als Gefahr für die nationale Sicherheit bezeichnet. Der Hersteller erklärt, dass ihre internationale (TikTok) und chinesische App (Douyin) komplett separat seien und deswegen international nichts zensiert wird. Früher (unklar bis wann genau) wurden anscheinend wirklich Inhalte auf Befehl aus dem HQ der Firma in Peking hin zensiert, aber Bytedance beteuert, dass das nicht mehr der Fall ist. Es hilft aber nicht, dass Bytedance sich weigert, vor dem US-Kongress Fragen zum Thema zu beantworten. TikTok ist die erste chinesische App, die wirklich weltweit (und nicht nur bei chinesischen Nutzer*innen) durchschlagenden Erfolg hat, sodass sich die USA auf einmal damit auseinandersetzen müssen, dass nicht mehr alle beliebten Apps im Silicon Valley programmiert werden. Bei Slate argumentieren Samm Sacks und Jennifer Daskal, dass die USA eine kohärente Strategie braucht, anstatt nur in jedem Fall einzelne chinesische Firmen zu attackieren. Unter anderem sagen sie, dass so eine Strategie auch beinhalten würde, US-amerikanische Internetdienste wieder attraktiver zu machen – zum Beispiel durch Regulierung von Hate Speech und robusten Datenschutz. Musik für europäische Ohren, aber ob diese Forderungen in Washington Gehöhr finden, ist fraglich.
Interessante Rückkopplungen.
TikTok ist, nicht zuletzt dank der Übernahme von Musically, zur ersten außerhalb von China erfolgreichen App im Bereich Social Media / Social Network geworden. Das bringt diverse neue Aspekte in das Spannungsfeld Öffentlichkeit <-> Plattformprovider.
Für die USA ist es eine neue Situation, ein populäres Social Network zu sehen, dass nicht US-basiert ist, und damit also auch anderen Regeln, kulturell wie politisch, folgt.
Für uns Europäer ist das keine komplett neue Situation, aber die Konfliktpotenziale sind in meinen Augen in den meisten Fällen schwerwiegender, wenn das Social Network aus einer Diktatur kommt. (Eine Diktatur, welche auch, zum Beispiel, Konzentrationslager betreibt.)
Dass eine international erfolgreiche chinesische App von den politischen Interessen der chinesischen Regierung frei ist, weil das innerchinesische Pendant separat entwickelt und angeboten wird, ist im Übrigen nicht mehr als PR, der man kein Wort glauben sollte.
Bytedance muss -ebenso wie zum Beispiel ein Huawei oder Alibaba- hinter den Kulissen alles machen, was Parteifunktionäre von ihnen erwarten.
Der zentrale, rein algorithmisch getriebene „For You“ / „Für dich“-Part der App sorgt dafür, dass shadow bans beispielsweise trivial und effektiv auf TikTok sind. Abseits von harten Inhaltssperren lässt sich hier auch subtil einiges machen.
Davon abgesehen, ist TikTok ein extrem aufschlussreiches Beispiel für viele Dynamiken der heutigen Social/Mobile-Welt, womit wir uns hier und anderenorts noch näher beschäftigen werden.
Bertram Gugel und ich sprechen in der nächsten Ausgabe unserer Video-Podcastreihe von Hier&Jetzt über TikTok. Sebastian Hirsch und ich sprechen die China-Thematik auch in der nächsten Ausgabe von Zukunft | Bildung an. Das werden wir in der übernächsten Ausgabe wahrscheinlich noch weiter vertiefen.
Siehe auch zum Thema TikTok:
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