18. März 2011 Lesezeit: 4 Min.

Anmerkungen zur "Berliner Erklärung"

Golem titelt lapidar "Verleger wünschen staatliche Eingriffe nur zu ihren Gunsten". Und das trifft es ganz gut, wenn es um die heute abgegebene, sogenannte 'Berliner Erklärung' von einigen europäischen Presseverlegern geht.

Schauen wir uns die fünf Thesen an. (Ich halte mich an die Übersetzungen der Thesen vom VDZ.)

1. Der Verzicht auf jegliche weitere Beschränkung der Freiheit der Presse in redaktioneller, werblicher, vertrieblicher oder sonstiger Hinsicht als Minimum vernünftiger Medienpolitik

Ich hoffe, das soll auch für WikiLeaks, Guttenplag-ähnliche Projekte und Blogger gelten.

Interessant ist auch, was die Verleger zu Punkt 1 noch zu sagen haben:

Any additional restrictions in the fields of advertising, distribution or other areas affecting the digital or printed press would result in reducing the ability to invest in quality editorial output and restricting diversity of media content.

Jede wirtschaftliche "Erschwerung", sprich, jeder der andere Preisvorstellungen hat als die Verleger, steht in ihren Augen einer Presse als solche im Wege.

2. Faire Rahmenbedingungen für innovative Geschäftsmodelle im digitalen Zeitalter

Wie etwa für Startups wie Commentarist?

'Fair' liegt in einer Marktwirtschaft im Auge des Betrachters.

Konkret geht es hier um Tablets, die vermeintlichen digitalen Heilsbringer für die Presse:

The press is presently at a disadvantage when it comes to commercial negotiations with digital key players. In the case of paid-for solutions (e.g. through tablets), the margins publishers derive from online offers may even in some cases be reduced compared to the margins in print. A close analysis by authorities is therefore needed in order to ensure a level playing field for all the stakeholders in the digital value chain.

Die Verleger suggerieren, dass sie hier mit einem Monopolisten verhandeln, der ihnen die Preise diktiert. Angesichts des Marktanteils von iPads am gesamten Markt aller digitalen Endkonsumentengeräte, die Internetzugang haben, ist das absurd und ein Stück weit verlogen. Und natürlich sind Tablets in diesem Fall keine losgelöste Erscheinung, die alles ändert, denn auch mit Multitouch-Bedienung gelten die Marktdynamiken des Webs.

Siehe hierzu auch: iOS: Presseverlage finden geschlossene Systeme gut, so lang sie mitbestimmen dürfen

3. Ein effektiver Urheberrechtsschutz als Grundlage einer lebendigen Presse

a.) Es gibt einige akademische Papers, die zu dem Schluss gekommen sind, dass das Urheberrecht an sich keine notwendige Grundlage für eine florierende, kommerziell erfolgreiche Presse ist.

b.) Selbst wenn die Erkenntnis aus a.) nicht zutrifft oder nicht mehr zutreffen sollte: Ich sehe nicht, wie aktuell Urheberrechtsverletzungen der Presse zu schaffen machen würden.

Aber natürlich geht es um das hierzulande seit längerem geforderte Leistungschutzrecht, um Google und co. zur Kasse bitten zu können:

The different possibilities to utilize content on the internet and via tablets make it very easy for third parties, like aggregators, search engines and pirate sites, to use publishing houses’ creative content for free, without authorization and remuneration of the publisher.

Gibt es tatsächlich "pirate sites", auf denen die digitalen (oder eingescannten?) Ausgaben von Zeitungen illegal getauscht werden?

4. Reduzierte Mehrwertsteuer für die digitale Presse wie für die Printpresse

Angesichts der Bedeutung einer funktionierenden Presse für die Demokratie kann ich dem nicht widersprechen. Aber es bleibt die interessante und bisher ungelöste Frage, wie man in Zeiten, in denen jeder ohne Zusatzkosten zum Publisher werden kann, sinnvoll Presse vom Rest der Gesellschaft abtrennt.

5. Gerechte Bedingungen und Transparenz in der Digitalen Welt

Ja, sehr gern. Dann aber bitte für alle Beteiligten. Gern für die freiberuflich tätigen Journalisten, gern für die Internetdienstanbieter, auf deren Rücken Traffic zu den Onlineangeboten der Presse geschaufelt wird, gern für die Menschen, die ohne finanzielle Kompensation als Quellen genutzt werden. usw.

Sie alle haben aus ihrer Sicht sicher höhere finanzielle Ansprüche an die Presseverlage, als aktuell realisiert wird. Also Gerechtigkeit für alle?

Nein, natürlich geht es auch hier wieder nur um Tablets, die sich nicht so entwickeln, wie man sich das gewünscht hatte:

Non discriminatory and fair access of digital publishers to mobile platforms (e.g. tablets) as well as transparent and fair search engines are prerequisites for the development of attractive and sustainable content offers.

"transparent and fair search engines" ist eine Forderung, die nur von Leuten kommen kann, deren Angebote entweder selbst gern höher gerankt sein sollen und/oder nicht verstehen, wie Suchmaschinen arbeiten.

Auf den ersten Seiten von Suchmaschinen kann nur sehr selten alles gezeigt werden, was gefunden wurde. Also muss gewichtet werden - so wie auf den Titelseiten der Printpresse.

Gewichtung ist immer subjektiv, niemand kann bestimmen, ob sie 'fair' geschieht - so wie bei der Themenauswahl der Titelseiten der Printpresse.

Der Ruf nach Fairness bei Preisbildung im Tabletbereich und Suchmaschinenranking usw. ist ausgesprochen verlogen:

Er ist der Ruf nach Regulation zum eigenen Wohl, weil man sich benachteiligt fühlt. Regulation, weil der Markt sich nicht so entwickelt, wie man das gern hätte. Es ist also, wenn schon, ein Ruf nach weniger 'Fairness' und nach mehr Bevorzugung.

Das folgende Zitat ist übrigens, so weit ich das übersehen kann, eine unverhohlene Lüge:

That is why almost all press publications in Europe, totalling tens of thousands, are already technology-neutral, i.e., available in print from retailers and through subscriptions, as well as digitally via the web and mobile devices, such as e-readers.

Denn zum Beispiel ein Großteil der deutschen Presse ist online mit ihren Inhalten nur bruchteilhaft vertreten :

[..]

Die aktuellen Ausgaben der Zeitungen stehen häufig nur zu einem sehr geringen Teil online.


Technologie-neutral verfügbar? Nein.

Der Perlentaucher, vielleicht die beste Instanz, was den Überblick über die digitale Presse hierzulande angeht, fasste es im Dezember letzten Jahres so zusammen :

Es stimmt also keineswegs, dass die Zeitungen dem Zugriff gieriger Internetnutzer oder -medien schutzlos ausgeliefert sind. Sie wissen ihre Inhalte bestens zu schützen und haben sich in diesem Punkt in den letzten Jahren kaum entwickelt. Während in anderen Ländern - etwa den USA oder Großbritannien - Bezahlmodelle gerade wieder als das ganz große Ding diskutiert werden, haben die deutschen Zeitungen die Bezahlmodelle überhaupt nie aufgegeben.

Angesichts dieser Realitäten erscheint die "Berliner Erklärung" nicht nur bei den Forderungen nach mehr Fairness mit sehr viel Fantasie verfasst.

Es liese sich noch weit mehr zu diesem ausgesprochen eigenwilligen Erklärung schreiben, aber ich will es dabei belassen.

Wer mehr Meinung zur Berliner Erklärung will, kann sich wie immer bei diesen Themen an einem wild fuchtelnden Thomas Knüwer ergötzen .

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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