20. Jan. 2021 Lesezeit: 8 Min.

Clubhouse: Eine Analyse des Dienstes

In einer Pandemie braucht es nicht SXSW oder re:publica sondern nur ein Wochenende, an dem eh alle daheim sind, und schon geht's los. Am letzten Wochenende hat Clubhouse die Tore für deutsche Nutzer mit Einladungen geöffnet. Der Dienst macht bereits seit letztem Sommer die Runde in den USA. Gegründet im März 2020, ist Clubhouse über Einladungen langsam (kontrolliert) gewachsen. Heute liegt die Nutzerschaft laut New York Times bei (erst) 600.000 registrierten Nutzern. Das liegt aber vor allem daran, dass sie sich noch in der 'Private Beta'-Phase befindet und "nur" über Einladungen wächst.

Das kontrollierte Wachstum ergibt auch durchaus Sinn. Dienstag abend sind die Server von Clubhouse in die Knie gegangen, wohl auch wegen das explosiven Wachstums in Deutschland.

Was ist Clubhouse? Jemand verglich es die Tage mit einer permanenten Unkonferenz.

Thomas Knüwer beschreibt Clubhouse so:

Clubhouse ist die Idee eines Konferenzraumes, in dem variable Möglichkeiten geboten werden, ausschließlich über Audio miteinander in Kontakt zu kommen. Es ist möglich, Räume vollkommen privat zu öffnen, sie auf die eigenen Social-Media-Kontakte zu beschränken oder sie öffentlich zu machen. Innerhalb der Räume gibt es einen oder mehrere ModeratorInnen, die TeilnehmerInnen sozusagen das Mikro reichen, während andere nur zuhören können.

Das klingt nach Telefonkonferenz, ist aber tatsächlich sehr viel flexibler. Man kann sich eher eine physische Konferenz vorstellen, bei der FragenstellerInnen auch auf das Podium kommen dürfen.

Man folgt anderen Leuten wie auf Twitter oder Instagram. Über diesen, sehr von der Twitter-Verbindung getriebenen, Interessens-Graph kommen Sprechende und Zuhörende zusammen. Zwei Gruppen, die sich außerdem auf Clubhouse selbst sehr gut durchmischen. Viele vergleichen Clubhouse als eine Mischung aus Party und Podcast. Man spricht live mit einander, kann sehen wer zuhört, also im Publikum ist, und kann als Moderator Leute, die virtuell die Hand heben, weil sie etwas sagen möchten, auf die virtuelle Bühne holen.

Dazu gleich noch mehr. Aber zunächst zum explosiven Wachstum von Clubhouse in den letzten fünf Tagen:

  • Während ich das schreibe, ist Clubhouse den zweiten Tag auf Platz 1 der deutschen Appstore-Charts für kostenfreie Apps.
  • In einem Talk Dienstag Abend sprengten Sascha Lobo und Thomas Gottschalk (yup) wohl die aktuelle maximale Clubhouse-Raumgröße mit etwas über 5.000 Personen
  • Auch TV-Moderatoren wie Joko Winterscheidt und andere sind bereits auf Clubhouse aktiv. (Wie schnell Medienschaffende vor allem aus TV und Rundfunk aufgesprungen sind, ist auch sehr faszinierend.)
  • Erste tägliche Formate etablieren sich: Bei "Mittag im Regierungsviertel" reden aktuell jeden Tag mittags Abgeordnete, Journalist/innen und Lobbyisten über Politik und Verwandtes
  • Ich bin pandemiefamilienbedingt nur punktuell als Beobachter auf Clubhouse unterwegs, habe aber die letzten Tage regelmäßig Räume mit 1.000 bis 2.000 Personen gesehen.
  • In einem Talk von Thomas Knüwers "Mittagsspaziergang" auf Clubhouse kündigt die Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg Pläne für eine Bürgersprechstunde auf Clubhouse an.
  • (Auch die Vampire sind da: Es gibt aktuell jeden Tag mehr VC-/Growth-/Marketing-Talks als VC-Firmen in Deutschland.)

Das ist schon sehr erstaunlich in dieser Geschwindigkeit.

Ich sehe dafür drei Gründe:

  • Der allgemeine Kontext: Der Schritt von 'nichts online machen' zu (z.B.) 'Twitteraccount anlegen und twittern' war vor 10 Jahren größer als heute neben Twitter, Instagram, Tiktok, Facebook, Whatsapp auch noch Clubhouse herunterladen und einrichten. Alle haben Smartphones (oder in diesem Fall ausreichend viele haben iPhones), und die Praktik des Online-Austauschs, des ich probier das mal, klingt interessant ist 2021 auch in Deutschland ausgereift. Grundsätzlich lohnt sich der Blick gerade auf die App-Charts für alle, die Angst vor Facebooks Allmacht haben. Die App, die von Clubhouse von Platz 1 verdrängt wurde: Signal..
  • Spezieller Kontext: Die Pandemie und die Beschränkung auf die eigenen vier Wände für viele ist natürlich der perfekte Kontext für eine App wie Clubhouse.
  • Format: Das Format von Clubhouse ist nicht zu unterschätzen. Spontane und semi-spontane Gespräche in dieser Form haben einen großen Reiz. Ich schrieb neulich im Mitglieder-Newsletter: "Audio hat einen großen Vorteil gegenüber Text und Video: Audio lässt sich in sehr viel mehr Alltagssituationen einbinden als Text oder Video. Es ist außerdem sehr viel einfacher zu produzieren als Video und gleichzeitig „intimer“ und stickier als Text." Audio ist auch für die, die die Inhalte schaffen einfacher und damit attraktiver als Video, wenn egal ist, wie man selbst oder das Umfeld gerade aussieht.. Die mentale Belastung für Konsumenten wie für Sprechende ist bei Audio geringer als bei Video. (Was der Attraktivität von Video keinen Abbruch tut, Audio wird in meinen Augen nur immer noch unterschätzt.)

Zur Architektur: Clubhouse setzt auf ein paar geschickte Mechanismen, um zu wachsen und dieses Wachstum auch zu halten.

  • Wer andere einlädt, wird zumindest aktuell auf dem Profil der eingeladenen Person verewigt. Das bringt Sichtbarkeit für den eigenen Account und setzt damit den Anreiz, fleißig einzuladen, wenn man Einladungen bekommt. (Das wird sicher in drei, vier Jahren im Rahmen eines Redesigns abgeschafft. Für die Anfangsphase ist es sehr clever. Viele, die nur auf die jetzige Sichtbarkeit und das eigene Wachstum achten, könnten allerdings irgendwann ein schlimmes Erwachen haben. Wenn Clubhouse eine Person wegen trolligen Verhaltens rauswirft, kann es je nach Schwere des Verhaltens auch dazu führen, dass die einladende Person ebenfalls fliegt.)
  • Clubhouse arbeitet im Grunde mit zwei Feeds: Zum einen die Startseite der App, die die aktuellen Gesprächsräume aufzeigt und ein Segment mit den in naher Zukunft startenden Räumen zeigt. Zum anderen die Notifications, die sehr clever für die Live-Situation eingesetzt werden. Notifications sind notwendig für eine Live-App wie Clubhouse. So erfahre ich als Nutzer, wenn gerade mehrere Freunde, Bekannte oder Stars, denen ich folge, im Gespräch miteinander sind. Serendipität. Aber ich kann mir als Nutzer aussuchen, mit welcher Frequenz ich benachrichtigt werden möchte (von "very infrequent" bis "very frequent"). Ich kann die Push-Nachrichten pausieren. Und ich kann mir bei den Menschen, denen ich auf Clubhouse folge, auch jeweils aussuchen, ob ich immer, manchmal oder nie informiert werden möchte, wenn sie in einem Raum sprechen. (Default: "sometimes") Das ist sehr erfrischend im Gegensatz zu Notifications-Hupen wie Wish oder AliExpress, deren Flut-oder-Stille-Ansatz bei den meisten Kunden zu letzterem führen dürfte. Hier kann man bereits viel von Clubhouse für die mobile App-Architektur lernen. Das heißt nicht, dass viele Nutzer diese granularen Einstellungen nutzen werden. Dynamische Anpassung an die Nutzung ist für die Masse der User wichtiger. Aber es ist wichtig für so eine App, dass diese Einstellungen angeboten werden für diejenigen, die das feinjustieren wollen. Weil das tendenziell auch die Creators oder Poweruser sind, die nicht ausbrennen dürfen.
  • Exklusivität der Inhalte: Live + keine Möglichkeit in der App, aufzuzeichnen, bedeutet, dass die Dinge die auf Clubhouse passieren, nicht ohne viel Aufwand als Podcasts zweitverwertet werden können. Das ist zumindest für die Anfangsphase von Clubhouse wichtig: FOMO. Die Angst etwas zu verpassen treibt Leute in die App. Entweder ich höre jetzt, was die zu sagen haben, oder ich verpasse es. Das hilft der Dynamik. (Und so ein Wagnis für einen neuen Dienst funktioniert natürlich nur, wenn die Essenz des Produkts funktioniert. Es ist sehr deutlich, dass die innere Logik bei Clubhouse funktioniert.)
  • und mehr (etwa: Leute, denen die Speaker folgen, kommen in der Raum-Darstellung nach vorn, etc.)

Das Potenzial von Clubhouse vs. Podcasts, Spotify & Second Screen: Nach dem ersten Hype werden sich einige Einsatzzwecke für Clubhouse herausschälen.

Knüwer:

Bei all diesen frühen Diskussionen über Clubhouse und auf Clubhouse kommt die Rede immer auf Podcasts und die Frage, ob diese nun gefährdet seien. Zu einem Teil dürfte es so sein, denn ganz nüchtern ist die Zeit für Mediennutzung solange begrenzt, bis jemand die Regeln der Physik außer Kraft setzt. Somit ist es logisch, dass die Zeit für Podcasts sinkt.

Vor allem in einem, in Deutschland sehr beliebten Feld, dürfte dies zutreffen: Laber-Podcasts. Wir haben hier zu Lande zu viele Podcasts, die zwar technisch exzellent produziert sind, inhaltlich aber einigermaßen langweilig sind.

​Tatsächlich ist das Clubhouse-Format besser geeignet für das, was in ziellosen deutschen Podcasts oft gesprochen wird. Interessant ist aber, dass Clubhouse eine neue Ecke für Audio aufzeigt, die durchaus komplementär zu Podcasts ist. Clubhouse verhält sich zu Podcasts ein bisschen wie Twitch zu YouTube. Mehr sozial und interaktiv, aber in der Regel geringere Informationsdichte. Und auch der Beweis, dass es nicht immer um Informationsdichte geht.

Ich kann mir aktuell gut vorstellen, dass dieses Live-Format, jetzt da wir sehen, dass es erfolgreich in eine App-Architektur gegossen werden kann, sich über Clubhouse hinaus ausbreitet. Discord-Parties in den dortigen Audio-Kanälen gibt es bereits seit langem bei den Jüngeren. Die App Houseparty setzt ebenfalls auf das flanierende Element, allerdings mit Video.

Der vielleicht entscheidenste Unterschied in der Informationsarchitektur zwischen Clubhouse auf der einen und Discord & Houseparty auf der anderen Seite liegt aber in der zugrunde liegenden Netzwerkart. Houseparty ist für Freunde (klar, spontanes Video), Discord funktioniert wie ein Forum. Clubhouse setzt auf den Interessens-Graph, der auf asymmetrischen Beziehungen basiert (eben wie Instagram und Twitter). Das führt zu einer anderen Durchmischung aller Leute auf der App und ermöglicht ein persönlicheres Erlebnis.

Twitter selbst hat deshalb durchaus Chancen mit seinen Audio Spaces etwas Vergleichbares zu etablieren. (Dafür haben sie die Podcast-App Breaker übernommen und das Team darauf umgeleitet. Dass sie Podcasts aussparen (die App ist weg), statt Podcasts und Live-Gespräche als Kontinuum im Audio-Sektor zu sehen, spricht Bände. (keine positiven))

Der sofort sichtbar werdende innere Wert der spontanen Gesprächsrunden deutet an, das Clubhouse ein Format gefunden hat wie seinerzeit Snapchat mit den Stories. Es kann durchaus passieren, dass mit dem Clubhouse-Format das Gleiche passiert wie mit den Stories von Snapchat. Bei Facebook denkt man sicher seit Monaten darüber nach, wie und wo man ein vergleichbares Format bei sich integrieren könnte. (Clubhouse wird im Silicon Valley seit letztem Sommer gehypet.)

Ich würde aber nicht darauf wetten, dass die Zukunft von Clubhouse selbst deshalb schlecht aussieht. Die Exklusivität der Inhalte u.a. dank fehlender nativer Aufnahmemöglichkeit hat einen enormen Sog, der in Deutschland(!) bereits nach fünf(!!) oder weniger(!!!) Tagen eine eigene Dynamik entwickelt hat. Und iPhones haben nicht einmal einen großen Marktanteil in Deutschland. (Clubhouse ist noch iPhone-only.)

Das Format bietet sich hervorragend für "Second Screen"-Geschichten an. Wer Talkshows oder anderen "Live-Events" per Text auf Twitter verfolgt, kommentiert und gemeinsam erlebt, dürfte den Reiz für Gesprächsrunden sehen, die solche Events mitverfolgen. (Aktuell gibt es einigen Inauguration-Räume auf Clubhouse.) Auch After-Parties und Zusammenkünfte nach Dingen aller Art passen perfekt zum Clubhouse-Format. Das ​alles könnte aber auch von Twitter-Spaces und Facebook-Schmaces aufgefangen werden.

Clubhouse dagegen kann durchaus auch in die hochwertigeren Online-Gesprächsrunden reinwachsen. Für die Erlösseite wird es auf Bezahlfunktionen für Creators und Poweruser hinauslaufen. Sie haben bereits ein "Creator Pilot Program" (NYT) für diesen Zweck, in dem sie mit 40 erfolgreichen Clubhouse-Club/Raum-Macher/innen an möglichen Mitteln arbeiten. Das ist naheliegend: Werbung als Erlösstrom für Endkonsumenten-Apps funktioniert in der Oligopolwelt von Facebook und Google nicht mehr oder ist zumindest sehr, sehr schwer geworden. Fragt mal Twitter und Snapchat.

Gleichzeitig explodiert die Welt der Influencer, Creators und Online-Stars. Hier liegt viel Potenzial. Eintrittsgebühr für hochkarätige Fachgespräche mit der Chance auf Beteiligung, Abonnements von regelmäßigen Runden für die Weiterbildung und vieles mehr. (In China ist der Weiterbildungsmarkt über Podcasts millionenschwer und zeigt wo die Reise mit Audio auch im Westen hingehen kann.)

Am interessantesten wird die Reaktion von Spotify auf Clubhouse et al. Zu Spotifys Strategie zählt, die erste Anlaufstelle für Audio zu werden. Musik und Podcasts, check. Anchor hätte eigentlich auch Social und Podcasts zusammenbringen sollen, aber sie sind am Format gescheitert. (Wie sehr sie gescheitert sind, sieht man, wenn man beide Apps, Anchor und Clubhouse, direkt gegenüberstellt und vergleicht.)

Spotify braucht eine Live-Audio-Komponente in seinem Universum. Ich gehe sehr davon aus, dass sie versuchen werden Clubhouse zu übernehmen. Sollte das nicht funktionieren, könnte Spotify ​versuchen, Anchor in diese Richtung auszubauen oder umzubauen. Da Spotify im Gegensatz zu Twitter und Facebook ein großes Netzwerk fehlt, wird das eine Herausforderung. Helfen könnten allerdings die (eingekauften) Podcaster und Zugang zur Musikbibliothek.

Last and maybe also least: Ein deutscher Klon geht ebenfalls bald an den Start. (via Alexander Hüsing)
Diveee (siehe die Screenshots im App Store) ist fast eine 1:1-Kopie von Clubhouse. Das erinnert mich an die Twitter-Klone aus dem Samwer-Umfeld vor 12 Jahren oder so. Der Clubhouse-Klon wird dank fehlender Netzwerkeffekte ähnlich erfolgreich sein.
Clubhouse hat wie oben ausgeführt starke Netzwerkeffekte. Ohne netzwerkstärkenden Twist oder starkem First-Party-Netzwerk dahinter (wie bei Twitter) kann man NICHT DIREKT damit konkurrieren.

Audio-Version:

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Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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