17. Sep. 2012 Lesezeit: 2 Min.

"Das Leistungsschutzrecht war eine Machtprobe für den Springer-Verlag, und Springer hat gewonnen."

Stefan Niggemeier hat eine hervorragende Rede von Wolfgang Blau, dem Chefredakteur von Zeit Online, auf seinem Blog veröffentlicht:

[..]höre ich regelmäßig Aussagen wie: »Ja, kann durchaus sein, dass uns ein Leistungsschutzrecht finanziell überhaupt nichts bringen wird oder sogar einen Imageschaden bei netzaffineren Lesern verursacht, aber man muss doch jetzt mal ein Zeichen setzen!«

Ein Zeichen wofür?

»Dafür«, so die stereotype Antwort, »dafür, dass wir uns nicht mehr länger von Google herumschubsen lassen und dass wir — als sonst konkurrierende Medienunternehmen — durchaus auch geschlossen und einig agieren können, wenn es darauf ankommt.“

Das Leistungsschutzrecht war eine Machtprobe für den Springer-Verlag, und Springer hat gewonnen.

[..]

Vor allem wir Journalisten haben uns bisher nicht mit Ruhm bekleckert, wenn es darum ging, persönliche Interessen in unserer redaktionellen Arbeit offen zu legen. Statt ehrlich zu sagen: »Wir haben Angst um unsere Jobs, wir haben Angst um unsere gesellschaftliche Relevanz und unsere berufliche Zukunft«, haben viele von uns die Urheberrechts-Debatte zu einer Debatte über die Zukunft der Demokratie und gar der Kultur des Abendlandes hochstilisiert.

[..]

Ein weiterer (dritter) Punkt scheint mir in einer transparenteren Debatte über das Urheberrecht am wichtigsten. Der Mut der Politik, das scheinbar immer noch Unaussprechliche endlich deutlicher auszusprechen: Dass infolge der Digitalisierung, dann der Vernetzung im Internet und nun auch noch der rapide voranschreitenden mobilen Vernetzung via Smartphone ganze Branchen und ganze Berufszweige verschwinden werden.

Über die transformative Kraft des Buchdrucks und die Bevölkerungsschichten, die sich bedroht fühlten und ihre Argumente, die an die heutige Debatte erinnern:

Und tatsächlich haben sich ja viele damalige Ängste vor einer Überflutung der Menschen durch billige Traktate und gesellschaftszersetzende Schriften bewahrheitet: Der politische und theologische Diskurs, der zuerst in die Reformation und später in die Katastrophe des 30-jährigen Krieges mündete, wäre ohne den Buchdruck nicht in dieser Geschwindigkeit und geographischen Ausbreitung möglich gewesen. Die Ängste der damaligen Wissenselite waren also durchaus berechtigt, auch was die damalige — gefühlte — Überflutung durch gedruckte Schundliteratur, Pornographie und Pamphlete betrifft.

Trotzdem würden wir heute den Buchdruck so wenig missen wollen wie die Renaissance, die Reformation oder die Aufklärung, die durch den Buchdruck mit ermöglicht wurden. Die Historikerin Elisabeth Eisenstein beschreibt in ihrem Buch »The printing revolution in early modern Europe« sehr anekdotenreich, wie der im späten 15. Jahrhundert bedrohte Berufsstand der Schreiber seine Existenz mit immer abstruseren Argumenten zu begründen und abzusichern versuchte und damit einige Zeit Gehör fand.

Und weiter über die Debatten und Ansichten damals und heute:

Johannes Gutenberg, der Abt von Sponheim und Luther waren aber intelligente und für ihre Zeit jeweils gebildete Menschen, wie auch Victor Hugo oder die bayerischen Mediziner, die den Blick aus einem nur etwa 35 Stundenkilometer schnellen Zug von Nürnberg nach Fürth für hirnschädigend hielten.

Wenn das damals aber intelligente Menschen waren, denen mehre Jahre offenbar nicht genügten, um sich an eine neue disruptive Technologie zu gewöhnen, könnte es dann auch sein, dass unsere heutigen Debatten über angebliche Informationsüberflutung, Netzverdummung, Online-Isolation, Kostenloskultur, »Digitale Demenz« oder gar digitalen Kulturverlust nur vergleichbare Übergangsphänomene sind?

Übergangsphänomene, die spätere Generationen im Rückblick auch — hoffentlich — gnädig betrachten mögen, während sie sich dann mit ganz anderen und viel erheblicheren positiven wie negativen Auswirkungen des Internet beschäftigen werden?

In jedem Fall sollten wir bei der Diskussion über eine Reform des Urheberrechts für das Netzzeitalter einkalkulieren, dass unser aller Blick — auch wenn Sie sich sogar für einen »digital native« halten mögen — von einer ausklingenden Ära geprägt ist und dass deshalb — und nur deshalb und nicht etwa aus Gerechtigkeitsgründen — dass deshalb die großen Profiteure dieser ausklingenden Ära nicht Ihre primären Gesprächs– und Denkpartner sein sollten, wenn Sie sich auf die Suche nach einem Urheberrecht für die Zukunft machen.

(Hervorhebung von mir)

Unbedingt lesenswerte Rede.

Nicht so schön formuliert, aber in eine vergleichbare Richtung denkend sagte ich in einem Interview für die Heinrich-Böll-Stiftung zum Medienwandel vor einiger Zeit mit Blick auf die Politik:

Man sollte sich nicht zu sehr auf die heute etablierten Institutionen versteifen. Sondern lieber darauf achten: Wie findet der gesamte Prozess des Journalismus und die Aufgabenverteilung statt, was können wir da unterstützen?

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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