Als ich gestern Abend das a16z-Manifest sah, dachte ich bei mir, da sehen wir morgen also wieder das erwartbare rage-posting von den üblichen Verdächtigen.
Und bereits heute früh wird mir das hier schon in den LinkedIn-Feed gerepostet.
Das ist noch vergleichsweise harmlos für die mittlerweile hochemotionalisierten Grabenkämpfe auch bei Techthemen. Aber es gibt 2 Dinge die beispielhaft für diese Debatten mittlerweile sind, und die wir hier gut daran durchexerzieren können.
Erstens: Maximal breitgestreute Ablehnung mit öffentlicher Drohung, Leute aus dem eigenen Bekanntenkreis notfalls auszuschließen.
At some point soon, someone might share 'The Techno-Optimist Manifesto' with you in glowing terms. At least that will be a great opportunity for you to reflect on, if nothing else, that person's character.
Es hat sich in manchen Kreisen mittlerweile eingebürgert, sofort Persona non grata zu rufen, wenn jemand bei einem beliebigen aktuellen Lieblingsärgernis eine andere Ansicht hat. "Du hast eine andere Position als ich dazu, also hast du einen schlechten Charakter." ist keine gute Ausgangslage für eine Debatte. Es geht hier nicht um Undiskutierbares wie Menschenrechte.
Zweitens: Diese breitestmögliche Ablehnung geht immer einher mit einem geradezu pendantischen Blick fast immer auf die Wortwahl.
"Techno-Optimists believe that societies, like sharks, grow or die."
The common belief people hold is that 'if sharks stop moving, they die'. Not 'stop growing'. Moving. It's not even true of all sharks, but that's beside the point.
Als würde es Metaphern und sprachliche Bilder nicht geben. Als wäre nicht klar, dass hier grow und move für das Gleiche stehen.
Es ist etwas irre, wie zuverlässig dieses Diskurspattern (1+2) zu beobachten ist.
Beides, die breitestmögliche Ablehnung mit persönlicher Sanktionsandrohung und der pedantische Blick auf Nebensächlichkeiten, haben den gleichen gemeinsamen Effekt: Bloß nicht mit dem eigentlichen Ding auseinandersetzen. (Das muss man auch nicht. Das Manifest ist inhaltlich relativ bedeutungslos. Wenn ich mich nicht mit etwas auseinandersetzen will, dann äußer ich mich nicht dazu öffentlich but that's just me.)
Neben offensichtlich übertriebenem Unsinn hat Andreessen auch oft Recht, wenn man Technologie wortwörtlich nimmt, also beim Rad oder der Landwirtschaft anfängt, und nicht mit "irgendwas mit Software" gleichsetzt.
Er macht eine offene Feindschaft auf gegenüber einer Ansammlung von Gruppierungen, die öffentlich als Expert:innen auftreten mit einem sehr ausgeprägten Righteousness-Sinn bei Tech-Themen & einer gleichzeitig leider sehr stark ausgeprägten Abneigung gegenüber Details.1
Das ist, was auf der anderen Seite der VC-Arroganz gegenübersteht.
Ein Beispiel für die Detailscheu, um zu verdeutlichen wovon ich rede: Ich hatte vor geraumer Zeit eine Diskussion mit einem Professor für Medienwissenschaft und Digitales, der weitreichende gesellschaftliche Voraussagen zu KI machte. Im Gespräch stellte sich heraus, dass er keine KI-Dienste außer ChatGPT kannte und keine Newsletter oder dergleichen zum Thema verfolgte.
Mangels Überblick über (oder auch nur flüchtigen Einblick auf) den ganzen Sektor würfelte er folglich strukturelle Umstände und Inkarnationen munter durcheinander.2
Das ist mir so ähnlich so oft die letzten Jahre passiert, dass ich das nicht mehr ausblenden kann:
Zu viele als Expert:innen ausgewiesene Leute glauben zu wissen, was Technologie X für die Gesellschaft(!) in Y Jahren bedeuten wird (in der Regel Dystopie..), zeigen in Gesprächen aber nicht einmal rudimentäres Grundwissen über die Dinge, die heute passieren.
Extrapolationen aus dem Bauchgefühl heraus.
Das ist offenbar gut für die persönliche Medienpräsenz, aber eins ist es nicht: Ernsthaft.
Risikokapitalgeber stellen die größten Ressourcenallokatoren in der Privatwirtschaft dar.3
Damit geht entsprechende gestalterische Macht einher. Besonders seit das Internet unter anderem einen, wie ich es nenne, Systemwechsel in der gesamten Wirtschaft angestoßen hat, weil die Industrien zunehmend anders arbeiten und zusammenarbeiten. Was das Internet für Distribution macht, macht KI/ML die nächsten Jahrzehnte für den Rest der Wertschöpfung. Die gestalterische Macht der VCs wird also im Guten wie im Schlechten in den nächsten Jahren nicht zwingend sinken.4
Dazu braucht es ein Korrektiv.
Denn das muss, natürlich!, kritisch begleitet werden.
Allzu viele Leute, die sich als dieses Korrektiv sehen oder so medial gesehen werden, sind aber geradezu haarsträubend detailscheu. Das hat über die letzten Jahre massiv zugenommen, sicher auch getrieben von Ideologien und einer Onlineradikalisierung an den Rändern, die nicht nur rechts sondern auch links beobachtbar ist.
Als ich das Manifest von Andreessen gelesen habe, war mir sofort klar, was er meint, wenn er schreibt:
Our present society has been subjected to a mass demoralization campaign for six decades -- against technology and against life -- under varying names like "existential risk", "sustainability", "ESG", "Sustainable Development Goals", "social responsibility", "stakeholder capitalism", "Precautionary Principle", "trust and safety", "tech ethics", "risk management", "de-growth", "the limits of growth".
This demoralization campaign is based on bad ideas of the past -- zombie ideas, many derived from Communism, disastrous then and now -- that have refused to die.
Es sind nicht immer die Themen per se, sondern die Gruppendynamiken, die sich hinter den Themen antagonistisch in Stellung gebracht haben. Sustainability ist wichtig, darunter lässt sich aber auch gut nihilistischer weil rein diskursiv getriebener Antagonismus verstecken. Das Gleiche gilt für Trust & Safety, Tech Ethics, wichtige, aber oft gehijackte Themen.5
Besonders extrem fällt es beim Thema "De-Growth" bei linken Klimaaktivist:innen auf. Weil Antikapitalismus im Blut steckt, kann man nicht anders, als selbst das alles (eigentlich!) überschattende Klimathema in den Kampf hineinzuziehen. Das schadet den Klimaaktivist:innen bei ihrem eigentlichen Ziel, weil es ein gesellschaftlich schon schweres Vorhaben noch schwerer, beziehungsweise unmöglich macht.
Es ist auch noch faktisch völlig unnötig. Ich hatte vor geraumer Zeit darüber geschrieben:
Wir stehen vor enormen Herausforderungen und erleben massiven Widerstand gegen alles, was gegen die Klimakrise hilft. Ich sehe es mit Sorge, wie mit dem unsinnigen Degrowth, das simplizistisch und schlicht falsch Wirtschaftswachstum mit steigendem Ressourcenabbau gleichsetzt, den gesellschaftlichen Widerstandskräften ausreichend Munition für einen diskursiven Nebenkriegsschauplatz gibt, für den uns gesellschaftlich schlicht die Zeit fehlt.
Dabei liegen die positiven realistischen(!) Narrative auf der Hand.
Siehe Noah Smith zu u.a. kommenden Energierevolution. (Ich hatte für meine Mitglieder 2021 darüber geschrieben)
Und zu den massiven, seit längerem beobachtbaren Skaleneffekten bei erneuerbaren Energien siehe u.a. immer Azeem Azhar www.exponentialview.co
Der Wandel zu erneuerbaren Energien ist durch die Bank positiv. Er hilft uns enorm beim Klimawandel und macht uns alle reicher, weil er mittelfristig Strom so günstig wie nie machen wird. So günstig, dass völlig neue Dinge möglich werden. Was für eine gesellschaftliche realistische(!) Erzählung, mit der alle ohne eigenes Kohlekraftwerk abgeholt werden können. Stattdessen De-Growth und Verzicht, weil, ja, warum eigentlich.
Diese Unernsthaftigkeit. Diese Weigerung, Fakten oder Zahlen anzuerkennen, wenn sie nicht in die eigenen Narrative passen, selbst wenn diese Narrative wie bei Degrowth gegen das eigene Ziel arbeiten, ist wirklich bemerkenswert.
Wer die Zahlen kennt, siehe Azhar, wer die Fakten, kennt, wer auf das Ziel schaut, wer auf die Entwicklungen heute schaut, sieht, dass Degrowth und die Entwicklung bei den Erneuerbaren nicht zusammenpassen. Wer Klimawandel ernst nimmt, kann am Degrowth-Fetisch verzweifeln.
Daraus kann, ja, muss man vielleicht sogar schließen, dass Degrowth der Feind ist. Weil es, ideologisch verbrämt, uns im Klimakampf gesellschaftlich unnötig ausbremst. Neben den 1.000 anderen Bremsen. Das ist keine turbokapitalistische Sichtweise, es ist erst einmal nur eine Sichtweise, die nicht auf Wissenschaftsleugnung setzt.
Verpackt Andreessen seine Argumente gut lesbar? Mitnichten. Nicht ansatzweise.
Ich vermute, dass seine Absicht mit dem Manifest nicht ist, Leute zu überzeugen. Es geht darum, Gleichgesinnte zusammenzubringen.
Viel interessanter als der Inhalt des Manifests ist deshalb, warum er das schreibt.
Es ist ein Signal an Gründer und Wirtschaftspartner.
Ein maximal dick aufgetragenes Signal. Für maximale Signalwirkung.
Andreessens "Software is eating the world" von 2011 im Wall Street Journal war damals ein so erfolgreiches Signal, das die Überschrift heute mittlerweile ein Meme ist. "Time to build" war ebenfalls ein Signal. Das Manifest dürfte in Reichweite und Auswirkungen für a16z näher bei ersterem landen.
Denn ein Manifest dieser Art bringt das Blut zum Kochen bei den üblichen Verdächtigen. Dazu zählen auch viele Journalist:innen, die in den USA ausführlichst darauf reagieren werden. A lot of free press. Das Signal wird ankommen.
Womit ich nicht unterstellen würde, dass er nicht glaubt, was er da schreibt.
In den USA ist unter den Eliten ein kleiner Bürgerkrieg ausgebrochen zur Frage, was "das Richtige" für die Gesellschaft ist. Bei Interesse das hier in Tablet Mag lesen, es erklärt einige der zum Teil bizarren öffentlichen Äußerungen & Handlungen aus dem Silicon Valley in letzter Zeit:
In this environment, founders routinely turned down high-paying jobs at management consulting firms and hedge funds in order to start fledgling businesses with uncertain outcomes. This fostered a new set of cultural values and myths that rival the ones upheld by older elite institutions. In the new ethos of Silicon Valley, talent matters more than credentials. The individual is prized as the fulcrum of social change--a truly talented and ambitious person can accomplish just about anything, so long as they aren't impeded by obtuse regulations.
Das und die gesamtgesellschaftlichen Folgen des Internet of Beefs, die Radikalisierung von Interessensgruppen zwischen Narzissten und Plattformdynamiken, treiben Blüten wie dieses Manifest, das ist der gesellschaftliche Kontext.
Eine Leseempfehlung dazu ist dieser Text auf Ribbonfarm von 2020, The Internet of Beefs:
The end of history is why beef-only thinking is crash-only thinking for humans. The IoB is a way of shorting our collective humanity and crashing old ways of being entirely, with no promise of recovery and reboot.
To participate is to lose.
Das Internet of Beefs, zu deutsch etwa Internet der Streitereien, ist ein wesentlicher Grund, warum das Andreessen-Manifest existiert und der Grund, warum es als Signal funktioniert.
- Weil Details die Righteousness gefährden? ↩
- Ein Mangel an eigenen Frameworks zur Unterscheidung von Pfadabhängigkeiten und vergleichsweise willkürlichen Produktentscheidungen half ebenfalls nicht. ↩
- Equity oder Hedge Funds sind nominal größer, stellen aber keine im Bestfall sektorenaufbauende Ressourcenallokation dar. ↩
- Wobei ich auch vorsichtig damit wäre, das nicht überzubewerten. Viele VCs sind nur bessere Glücksjäger mit Herdentriebproblem, denen technologische Basisentwicklungen in die Hände spielen, also ihre Chancen verbessern. ↩
- Es ist sicher auch diese Aufzählung, welche die meisten Leute aufregen wird, weil sie sich in ihren Kernthemen angegriffen fühlen. Die Emotionalität macht es wiederum einfach für Opportunist:innen, diese Themen zu nutzen, um zu kaschieren, dass sie sich blind gegen XY positionieren als personifizierten medialen Gegenpol (die bequemste persönliche Medienpräsenzstrategie) ohne sich dedizierte Argumente und Positionen zu XY überlegen zu müssen. Man kann das daran erkennen, dass diese Argumente alternativfrei also im luftleeren Raum präsentiert werden, was fast immer als Position unsinnig ist. ↩