5. Apr. 2018 Lesezeit: 3 Min.

Der Kulturkampf um die Zukunft des deutschen Autos

Heute: Die Fakten.

Warum es wichtig ist: Wenn die üblichen Verdächtigen von Bild bis FAZ bereits beim Diesel auf die Barrikaden gehen, obwohl die Politik quasi nichts gegen die Betrügereien der Branche macht und vor allem das Ausland dem deutschen Diesel auf die Pelle rückt, was wird dann erst passieren, wenn Elektromobilität alles verdrängt und selbstfahrende Autos dem Lenkrad den Garaus machen wollen?

Be smart: Die alternde deutsche Gesellschaft wird sich mit Händen und Füßen auch und vor allem gegen jede Veränderung rund um das Auto wehren. Das heißt:

  • Vorerst nur ein vergleichsweise kleiner, langsam wachsender Zukunftsmarkt für künftige Transportmodi in Deutschland.
  • Eine Automobilbranche, die innerhalb und außerhalb von Deutschland zwei unterschiedliche Schienen fahren wird.
  • (Zu) späte Weichenstellungen bei der Infrastruktur. (Bereits ein großer deutscher Schwachpunkt an allen Stellen.)
  • Der Stand in Deutschland wird mittelfristig nicht den modernen Stand der globalen Automobilbranche wiederspiegeln. (Vergleichbar mit Verpixelungen bei Google Street View und der Abstinenz von guter Wifi-Abdeckung oder Breitband oder Mobilfunk allgemein etc.)

So, jetzt zu den gesundheitlichen Fakten für den Kontext.

Der Tagesschau-Faktenfinder vom 1.3.2018 über Stickoxide und Grenzwerte:

Unter der Überschrift "Stickoxide - Emissionen gesunken, Belastung immer noch zu hoch" veröffentlichte das Umweltbundesamt die entsprechenden Informationen: Der Stickoxid-Ausstoß in Deutschland ist massiv zurückgegangen. Aber an verkehrsnahen Messstationen - beispielsweise im innerstädtischen Bereich - liegen die jährlichen Mittelwerte immer noch häufig über dem erlaubten EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffoxid pro Kubikmeter Luft. Die EU-Richtlinie wurde 2010 in deutsches Recht umgesetzt, Übergangsfristen liefen 2015 aus. Ein Fazit des Umweltbundesamts lautet: "Besonders gefährdet sind Menschen, die in der Stadt leben." [...]

Felix Poetschke, Sprecher des Umweltbundesamtes, sagte dem ARD-faktenfinder: "Der EU-Grenzwert wurde 2016 in Deutschland in fast 90 Städten überschritten, sowohl in Großstädten wie auch in kleineren, und immer dort, wo viel Verkehr herrscht. Das Problem mit zu hohen, gesundheitsschädigenden Werten von NO2 ist also ein bundesweites: Viele Menschen sind diesen hohen Konzentrationen ausgesetzt."

Das "Aber die Schwellwerte werden doch konstant verringert"-Argument unterschlägt zwei Dinge.

1.) Der medizinische Hintergrund:

Der überwiegende medizinische Konsens in der Umweltmedizin geht davon aus, dass nach aktuellem Kenntnisstand kein Schwellenwert benannt werden kann, der langfristige gesundheitliche Folgen von NO2 auf Menschen ausschließt.

2.) Die Tatsache, dass Schwellwerte nie nach rein medizinischen Aspekten politisch entstehen, sondern auch massgeblich von der betroffenen Industrie mitbestimmt werden:

Die Umweltepidemiologin Barbara Hoffmann weist darauf hin, dass der aktuelle Grenzwert für Stickoxide bereits relativ hoch angesetzt sei - und nicht allein medizinischen Vorgaben entspreche, sondern einen Kompromiss darstelle:

Man einigt sich auf europäischer Ebene auf einen Wert, der irgendwo zwischen dem liegt, was aus medizinischer Sicht sinnvoll wäre - und dem, was die Industrie angibt maximal erreichen zu können.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO werde bei ihrer nächsten Überarbeitung voraussichtlich einen geringeren Stickoxid-Grenzwert als die aktuell zulässigen 40 Mikrogramm benennen. Ein solcher Vorschlag hat aber im Gegensatz zur EU-Regulierung keinerlei rechtliche Bindung.

Und zur Rolle der Diesel-PKWs:

Messungen des Umweltbundesamtes zufolge war im Jahr 2015 der Verkehr der mit Abstand größte Verursacher von Stickstoffdioxidausstoß. [...]

Innerhalb der am Verkehr beteiligten Fahrzeuge wiederum sticht der Diesel-PKW als größte Stickoxid-Quelle hervor: Laut dem Handbuch für Emissionsfaktoren des Straßenverkehrs (HBEFA) sind Diesel-PKW für 72,5 Prozent des im Verkehr ausgestoßenen Stickstoffdioxid verantwortlich - deutlich vor leichten (elf Prozent) und schweren Nutzfahrzeugen (acht Prozent).

Die Fakten sprechen eine eindeutige Sprache. Die öffentliche Debatte in Deutschland auch.

Weil die deutsche Automobilbranche nicht einfach so auf den Diesel verzichten kann, nimmt sie (und ihre Apologeten) die Gesundheit der Menschen in deutschen Städten in Kauf. Deutschland wird der letzte Legacy-Markt für Diesel werden.

Trotz trotzigem Widerstand in den deutschen traditionsverliebten Massenmedien,
werden Diesel-Pkw selbst hierzulande zu Ladenhütern:

Der Automarkt in Deutschland hat im Auftaktquartal geboomt - es wurden so viele Neuwagen verkauft wie seit 18 Jahren nicht mehr. Aber um den Diesel machen Käufer einen großen Bogen.

Diesel-Autos werden in Deutschland zu Ladenhütern. In den ersten drei Monaten brach die Zahl der Neuzulassungen von Pkw mit Dieselmotoren um 21 Prozent auf 283.800 Fahrzeuge ein. Das teilte der Verband der internationalen Kraftfahrzeughersteller (VDIK) mit.

Nachvollziehbar. Der Wiederverkaufswert von Dieselfahrzeugen wird die nächsten Jahre weiter rasant sinken. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Regionen, in die man mit Diesel gar nicht mehr fahren darf, stetig ansteigen werden.

Die gleiche Dynamik -sinkende Wiederverkaufswerte, sich dadurch beschleunigende Verschiebung im Mix- werden mittelfristig auf alle Verbrenner zutreffen. Im nächsten Schritt wird ähnliches mit selbstfahrenden Autos passieren.

Der deutsche Verbraucher wird mit dem medialen Stolz auf den Diesel geradewegs ins Verlustgeschäft geschickt. Zum Glück haben Bild und co. heute offensichtlich nicht mehr die Meinungshoheit.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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