18. Juli 2017 Lesezeit: 4 Min.

Deutsche Autoindustrie kämpft mit Ifo-Studie gegen steigende E-Mobilität

Im Auftag des Verbands der Automobilindustrie kommt das Ifo-Institut in einer Studie (PDF) zum Schluss, dass ein Verbot von Neuzulassungen von Automobilen mit Verbrennungsmotor 2030 in Deutschland Arbeitsplätze hierzulande kosten würde.

heise online:

Das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung spricht sich dagegen aus, Neuwagen mit Verbrennungsmotoren zu verbieten. Ein solches Zulassungsverbot verhindere einen Wettbewerb der Umweltschutztechniken, sagte Institutspräsident Clemens Fuest am Dienstag in Berlin.

Die vorgelegte Ifo-Studie kommt auf mindestens 620.000 Arbeitsplätze in Deutschland, die nach heutigem Stand von einem Aus für Benziner und Diesel betroffen wären. "Das heißt nicht, dass diese Arbeitsplätze wegfallen", betonte Fuest. Besonders bedroht wären aber 130.000 Stellen in kleinen und mittleren Zulieferfirmen. Die Studie wurde im Auftrag des Verbands der Automobilindustrie (VDA) erstellt.

Es handelt sich um die Reaktion auf eine Forderung der Grünen. Die deutsche Automobilbranche hat Angst.

Die FAZ, titelt, zuverlässig, "Grünen-Vorschlag gefährdet 600.000 Arbeitsplätze".

Man kann mittlerweile festhalten, dass die FAZ die vielleicht destruktivste Publikation für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist.

Die Forderung der Grünen ist, entgegen der Reaktion aus der Industrie und der Pressse, eher zurückhaltend angesichts der weltweiten Entwicklungen. Ein Beispiel für den Kontext via heise:

Der norwegischen Regierung schwebt vor, ab 2025 solche Autos nicht mehr zuzulassen.

Weltweit denken die Administrationen von Großstädten über den Verbot von Verbrennungsmotoren in den Innenstädten nach. China baut Batteriefabriken im großen Stil.

E-Mobilität kommt. Und zwar schneller als die meisten denken. Und danach kommen die selbstfahrenden Automobile.

2030 wird der Absatzmarkt für Verbrennungsmotoren nicht leicht zurückgegangen sein. Er wird weltweit eingebrochen sein.

Nicht die Grünen, wie die FAZ in ihrem Missverständnis des Marktes schreibt, gefährdeen 600.000 deutsche Arbeitsplätze, sondern die deutsche Automobilindustrie selbst. Weil sie sich zu langsam weiterentwickelt. Diese Branche muss sehr viel schneller auf den Wandel reagieren.

Es ist ein schlechtes Zeichen, dass man sich bemüßigt fühlt, solche Auftragsstudien erstellen zu lassen. Es ist auch ein schlechtes Zeichen, dass diese Studien (oder zumindest ihre grob vereinfachenden Zusammenfassungen für die Öffentlichkeit) ohne kritisches Hinterfragen geschluckt werden.

Was passiert mit der deutschen Autoindustrie, wenn die Nachfrage nach Vehikeln mit  Verbrennungsmotor weltweit sinkt?

Soll in Deutschland weiter mit Verbrennungsmotor gefahren werden, während ringsum die Bevölkerungen auf E-Fahrzeuge umsteigen? Wie viele Autos mit Verbrennungsmotoren müssen wir Deutsche 2030 jede von uns jedes Jahr kaufen, um die sinkende Nachfrage aus dem Ausland aufzufangen?

Das wäre doch mal eine Studie wert.

Tatsächlich heißt es in der Ifo-Studie (S. 41):

Die in Kapitel 2.2 durchgeführte Quantifizierung potentieller Effekte eines Zulassungsver-bots für Pkw und leichte Nfz mit Verbrennungsmotor auf Produktionswert, Bruttowert-schöpfung und Beschäftigung der deutschen Industrie nimmt an, dass nicht nur die Herstellung entsprechender Produktarten für den inländischen Absatz betroffen wäre, sondern auch diejenige für Exportmärkte. Aufgrund der starken Exportorientiertheit der deutschen Automobilindustrie stellt sich die Frage, inwiefern es ich hierbei um eine realistische Annahme handelt. So werden insbesondere im Kraftwagen- und Motorenbereich (WZ-2910) mehr als 70% der Umsätze im Ausland erzielt, 55 der Großteil davon mit europäischen Kunden. Allerdings ist es nicht unwahrscheinlich, dass es bis oder spätestens ab 2030 (dem unterstellten Inkrafttreten eines Zulassungsverbots) auch außerhalb Deutschlands zu einer verstärkten Regulierung des Verbrennungsmotors kommen könnte. Beispielsweise erwägt China – als weltweit größter Automobilmarkt – die Einführung einer Elektroquote. Damit dürften sich Automobilhersteller und ihre Zulieferer bereits deutlich vor dem Jahr 2030 mit entsprechenden regulatorischen Eingriffen auseinandersetzen müssen. Abgesehen davon werden regulatorische Maßnahmen, die auf die Reduktion von Emissionen im Verkehrssektor abzielen (CO 2 -Grenzwerte, Euro-Normen), in der Regel nicht auf nationaler, sondern auf Ebene der Europäischen Union implementiert und betreffen somit den vollständigen gemeinsamen Binnenmarkt.

Aber die Grünen gefährden Arbeitsplätze. Na klar.

Wer sich die Anfänge dieser Debatte anschaut und sich an manch andere Debatte der letzten Jahre erinnert fühlt, dem kann Angst und Bange werden um die deutsche Wirtschaft, deren Herz das Automobil ist, und mit ihr um die deutsche Gesellschaft als ganze.

--

Noch eine Anmerkung zur Studie. Das Ifo-Institut geht davon aus, dass Patente ein hinreichender Hinweis auf Aktivität in einem Bereich darstellt. Wer viele Patente im Bereich X hält, ist stark / beschäftigt sich viel mit / ist gut aufgestellt im Bereich X. Es zeigt sich auch hier wieder schön, wie irreführend diese (naheliegende) Annahme ist (die Anzahl der Patente sagt nur etwas darüber aus, wie viele Patente ein Unternehmen anmeldet, kaum mehr) S. 57:

Die Untersuchung in diesem Kapitel wurde von der These geleitet, dass deutsche Automobilhersteller aufgrund der starken Position bei Verbrennungsmotoren Anstrengungen in alternativen Antriebstechnologien unterlassen. Nach Analyse internationaler Patente für Verbrennungsmotoren, Elektrofahrzeuge, Hybridfahrzeuge und Brennstoffzellenfahrzeuge lässt sich diese These eindeutig widerlegen. Die deutsche (Automobil-)Industrie gehört bei den alternativen Antriebstechnologien jeweils zu den führenden internationalen Wettbe-werbern. Die Position bei Verbrennungstechnologien ist zwar stark, aber nicht fundamental verschieden im Vergleich zu den anderen Technologien. Hieraus lässt sich direkt ablei-ten, dass die notwendigen Investitionen – aus dem eigenen Cashflow heraus – getätigt werden: Das technische Fundament ist gelegt. Darüber hinaus ist ein Großteil der deutschen Forschung im Bereich des Verbrennungsmotors auf die Reduktion des Verbrauchs ausgerichtet – im Mittel der vergangenen 20 Jahre waren zwei von drei erteilten deutschen Verbrennerpatente Innovationen zur Reduktion des Benzin- oder Dieselverbrauchs. Deutlich schwächer ist die Position der deutschen Forschung im Vergleich bei der Grundlagen-technologie Batterie und Akkumulator. Hier kann und sollte die Politik im Bereich der For-schungsförderung – gerade auch hinsichtlich der Grundlagenforschung – tätig werden, um Kompetenzen in diesem Feld in Deutschland zu halten und auszubauen. Schließlich gibt es einige nachfrageseitige Faktoren, welche zur langsamen Marktdurchdringung mit alternativen Antriebstechnologien beitragen. Um diese anzugehen, steht der Politik ein Instru-mentenbaukasten nachfrageorientierter Innovationspolitiken zur Verfügung (siehe z.B. Falck und Wiederhold 2013), was ein Zulassungsverbot zusätzlich unverhältnismäßig erscheinen lässt.

Also: Die deutsche Automobilindustrie, die Angst um ihren Verbrennungsmotor hat, ist bestens gerüstet und aufgestellt bei alternativen Antrieben. Auch deshalb ist ein Zulassungsverbot von Verbrennungsmotoren unverhältnismäßig. Bin ich der einzige, der diese Argumentationskette unlogisch findet? Was stellt mehr Anreiz dar als ein kommendes Neuzulassungsverbot in 13(!) Jahren? Ein Verbot noch dazu, das den internationalen Entwicklungen eher hinterherhecheln wird?

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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