23. Nov. 2007 Lesezeit: 5 Min.

Die Zukunft des Lesens

Und so beginnt es

"Music and video have been digital for a long time, and short-form reading has been digitized, beginning with the early Web. But long-form reading really hasn't."

Amazon: Reinventing the Book | Newsweek.com

Viel* wurde diese Woche über Amazons neuen E-Reader Kindle geschrieben. Ein paar Anmerkungen.

Amazon, Innovator

Amazon ist in meinen Augen ein was die Innovationen im Netz angeht leicht unterschätztes Unternehmen. Es ist nicht nur das größte E-Commerce-Unternehmen der Welt, es hat auch mit den User-Reviews eine der Grundsäulen des Web2.0 (User Generated Content) bereits eingeführt, als Tim O'Reilly von dem Begriff des Web2.0 noch gar nicht träumte. Und als das Web2.0 in den Köpfen von jedem ankam, der Entrepreneur fehlerfrei buchstabieren kann, und an jeder Ecke Angebote für Konsumenten aus dem Boden schiessen, was macht da Amazon? Es bietet für diese Startups die Infrastruktur hinter den Kulissen an und steht damit nebenbei wie kein anderes Unternehmen als Synonym für die in der Techszene beliebt gewordene Cloud (Pl0gbarliebling Mogulus läuft zum Beispiel komplett, also ohne eigen Server, auf Amazon S3 und EC2 ).

Kindle, ein Anfang

Jetzt also ein E-Reader. Es bietet sich ja an. Amazon kennt sich mit Büchern ja aus. Und mit digitaler Distribution auch. Fotos von Kindle gibt's auf neuerdings zuhauf. Dort haben die Kollegen auch eine 4-teilige Serie zum E-Reader gestartet.

Bei allen Unzulänglichkeiten, die Kindle hat, und da gibt es einige, ist Amazon hier wohl trotzdem der erste massentauglichere E-Reader gelungen. Immerhin: Nach nur fünfeinhalb Stunden war Kindle ausverkauft.

Was ist das Besondere an Kindle?

Specifically, it's an extension of the familiar Amazon store (where, of course, Kindles will be sold). Amazon has designed the Kindle to operate totally independent of a computer: you can use it to go to the store, browse for books, check out your personalized recommendations, and read reader reviews and post new ones, tapping out the words on a thumb-friendly keyboard. Buying a book with a Kindle is a one-touch process. And once you buy, the Kindle does its neatest trick: it downloads the book and installs it in your library, ready to be devoured.

schreibt Newsweek. Kommt das Prinzip des bequemen Auseinerhand bekannt vor? Genau, das ist wie itunes für Bücher.

Das ist natürlich ein großer Vorteil. Aber auch wie mit ipod/itunes einer der großen Nachteile. Mit der appligen Bequemlichkeit kommt auch das applige LockIn. Schön mit DRM drumrum.

Und das ist auch die große Ironie bei der Sache: Da kommt Amazon daher und startet als erstes großes Unternehmen einen DRM-freien MP3-Shop -weil es anders nicht in den Markt reinkommt. Aber bei einer anderen Form von Content, da muss DRM wieder sein. Es wäre amüsant, wenn es nicht so traurig wäre: Es ist immer der selbe Zyklus, wenn heute neue Vertriebsmöglichkeiten von Inhalten von Industriegrößen erprobt werden: Markt wird mit DRM besetzt, Konkurrent oder Nachfolgeprodukt ohne DRM rollt langsam Markt von hinten auf (immer *überraschenderweise*), während die Konsumenten sich anderenorts illegal bedienen.

Kindles Hauptnachteile:

  • DRM, wie eben ausgeführt,
  • LockIn, es ist nicht ein Produkt, sondern ein Amazon-Service, ohne Amazon geht hier (fast) gar nix
  • es ist in der Tat nicht sonderlich hübsch
  • diverse Skurrilitäten, wie die Möglichkeit, einige Blogs gegen Bezahlung zu abonnieren (angeblich um die Übertragungskosten zu decken)
  • Feedreader: Bloglines ist über den Browser erreichbar, GReader nicht (weil Kindle kein Javascript kann), Feedlesen auf E-Readern ist aber _das_ Killerfeature (siehe unten), die Nichtbeachtung dieses Umstandes wird im Nachhinein als der größte Fehler beim (ersten) Kindle betrachtet werden
  • es diskriminiert uns Linkshänder, unverschämt

E-Reader will kill the Printstar

Kindle ist erst der Anfang. Irgendwann in den nächsten Jahren, voraussichtlich noch in diesem Jahrzehnt, wird ein E-Reader auf den Markt kommen, der tatsächlich die Medienrevolution, von der wir Geeks die ganze Zeit reden, weil wir sie schon kommen sehen bzw. mittendrin stecken, in die breite Öffentlichkeit tragen wird.

Massentauglich wie der Ipod für portable Musikplayer, wird dieser E-Reader wie ein Durchlauferhitzer für den Übergang von Analog zu Digital in der Medienlandschaft wirken.

Ich habe eine mehrteilige Serie über die kommenden Veränderungen in den Medien in Vorbereitung. Gedanken zu künftigen E-Readern und dessen Auswirkungen sind ein wichtiger Bestandteil davon. Hier jetzt schon mal ein paar Gedanken dazu:

Vorteile von E-Readern:

  • Gegenüber anderen Gadgets wie iphone und co.: auf angenehmes Lesen hin optimierter Screen. E-Ink und co gehören zu den wichtigsten Technologien der nächsten Jahre
  • ebenfalls gegenüber anderen Gadgets: höhere Akkulaufzeit (Kindle hält 30 Stunden laut Amazon, und ist in zwei Stunden wieder aufgeladen)
  • Fontgrößenanpassung (Jeder Ü50 wird sich darüber freuen)
  • Textsuche
  • Updates (bei Sachbüchern etwa könnten die Daten immer auf dem aktuellen Stand gehalten werden, wissenschaftliches Zitieren wird lustig in der Zukunft)
  • Bookmarks, Anmerkungen und Kommentare , kollaborativ so wie man es heute bereits bei Webseiten kennt
  • Besonders bei regelmäßigen Publikationen wie Tageszeitungen, sind bzw. werden E-Reader schlicht praktischer sein, sowohl was das Erhalten als auch was das Transportieren angeht (die viel und verzweifelt beschworene Papierhaptik spielt bei Tageszeitungen keine wirkliche Rolle, im Gegensatz zu Büchern)
  • ebenfalls praktischer sind E-Reader für das Lesen von Newsfeeds, das mit ihnen einen nicht vorstellbaren Aufschwung erleben wird. Feeds und E-Reader sind ein Match made in heaven, und die in baldiger Zukunft dominierende Konsumform von Nachrichten. Netvibes bringt jetzt schon ein leichtes Zeitungsfeeling mit, ein solcher Feedreader auf einem E-Reader, das würde recht gut passen. Aber auch andere Feedreader wie der GoogleReader passen wie die Faust aufs Auge. Die perfekte Applikationart zur Contentverbreitung verbunden mit der optimierten Hardware zur Contentkonsumierung.

Auswirkungen von E-Readern:

  • E-Reader werden Print nahezu komplett ablösen sobald sie eine gewisse kritische Masse an Nutzern erreicht haben. Grund: Kosten, digital Distribuiertes wird mehr Profit abwerfen
  • alte MedienMarken werden direkt mit den neuen Mikropublikationen (aka Blogs) konkurrieren, letzere werden heute noch nicht vorhersehbare Zuwachsraten an Lesern haben
  • und mehr

Fazit

Kindle in der 1.0-Version dürfte nicht der große Wurf sein. Zuviele Kinderkrankheiten scheinen in dem Gerät noch zu stecken. Kindle ist aber zweifelsohne der Anfang vom Ende des analogen Textes. Mit Kindle hört die Produktform des E-Readers auf, ein marginalisiertes Randthema zu sein. Sie werden massentauglicher.

Die nächste oder übernächste Generation an E-Readern wird wie eine Bombe einschlagen und Kioske unter sich begraben.

Sobald ein E-Reader den GoogleReader unterstützt und per Wlan (oder von mir aus auch per obskuren Mobilfunknetz) automatisch füttert, bin ich sogar bereit mehr als 400$ dafür hinzublättern.

Denn wenn einem schon von rund um den Globus täglich Texte vom Umfang von zweieinhalb 'Zeit'-Ausgaben vor die Nase gepusht wird, dann will man die auch so angenehm wie möglich lesen.

Jeff Bezos:

This is the most important thing we've ever done

Ladies and Gentlemen, the Revolution is on its next stage.

--

* Wöllte man die Bloglandschaft in einer Fallstudie untersuchen, eine Bestandsaufnahme quasi machen, würde sich die Berichterstattung zur Einführung des Kindle geradezu aufdrängen. Es war/ist alles vertreten, drüben wie hier. Von guten, hintergründigen Berichten zum Produkt bis hin zu substanzlosem Mumpitz, der auf einem Video und einem(!) inoffiziellen Vorabfoto basiert, das vorher bereits auf mehreren(!) Blogs als nicht repräsentativ aufgrund seiner unvorteilhaften Perspektive bezeichnet wurde. Aus der Hüfte abgefeuertes Halbwissen galore. Und wer Kindle mit dem Iphone vergleicht, hat nichts, aber auch gar nichts, verstanden.

(Disclaimer: In diesem Text finden sich einige Links zu einem Blogwerkblog. Ich schreibe auch für ein Blogwerkblog. Die Links entstehen, weil ich da die einzigen vernünftigen deutschen Artikel zum Thema fand (siehe auch Fußnote), zumindest innerhalb der deutschen Blogosphäre. Auf Oldmediaseiten nach Artikeln zu suchen, ist mir jetzt zu aufwendig. Give me fullfeeds and I'll recognize you.)

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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