Die Wellen der Internetkonzerne
Die großen Internetkonzerne entstehen in Wellen. Die erste Welle umfasst Amazon, Yahoo und eBay. Die zweite Welle umfasst unter anderem Google und Facebook. Was die zweite Welle von ihren Vorgängern unterscheidet, ist, wie proaktiv (manche mögen sagen aggressiv) sie daran arbeiten, sich nicht auf ihren Lorbeeren auszuruhen und obsolet zu werden. Keine leichte Aufgabe angesichts des massiven Wandels vom Desktop-Web, mit dem sie alle groß geworden sind, zum mobilen Internet. Die erste Welle der Internetriesen ist dagegen etwas, sagen wir, faul über die Jahre geworden. Yahoo spielt nur noch in den USA eine auch dort kleiner werdende Rolle. Amazon ist das einzige Unternehmen aus dieser Zeit, das auch heute noch bereit ist, sich weiter zu entwickeln und an allen Fronten neue Wege zu gehen. Aber Amazon ist die große Ausnahme. Den bedauerlichsten Weg von allen genannten Unternehmen ist eBay gegangen. Während Yahoo, im Kern ein Portal, es besonders schwer hat, eine Zukunft für sich zu finden, hatte eBay das visionärste Modell von allen Unternehmen zur Grundlage.
eBay war perfekt positioniert
eBay ist der erste Peer-to-Peer-Marktplatz des Internets gewesen. eBay setzte auf dem vielleicht wichtigsten Merkmal des Internets auf. Das um ein Vielfaches anwachsende Vernetzungspotenzial. Erstmals konnten Privatpersonen ohne enormen Aufwand landesweit (und später auch länderübergreifend) Dinge verkaufen und von anderen Privatpersonen kaufen. eBay hat damit einen Markt geschaffen, der vorher schlicht nicht existierte. eBay hat dafür außerdem etwas erfunden, das heute im Rückblick offensichtlich erscheint, seinerzeit in den Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts aber alles andere als das war. Die Frage, vor der eBay stand, lautete, wie man Vertrauen auf einem Onlinemarktplatz schafft. Transaktionen finden nur statt, wenn man dem Gegenüber vertrauen kann, alles bestmöglich abzuwickeln. Das gilt für Verkäufer wie Käufer. eBay führte die heute allgegenwärten gegenseitigen Bewertungen ein. Diese ermöglichten es, online einen Ruf, eine Reputation, aufzubauen. Ohne diese vertrauensbildende Massnahme wäre das Onlineauktionshaus nicht erfolgreich gewesen. Und wie erfolgreich es war. eBay wurde der erste große Marktplatz im Internet. Und das vornehmlich mit der Vernetzung von Privatpersonen. eBay war perfekt positioniert, um einer der großen Gewinner des kommenden Siegeszugs des Internets zu werden.
eBays Strategie-Irrtum
Dann passierte aber in den Nuller Jahren etwas bei eBay, das sich bis heute fortsetzte. Das Management von eBay, allen voran Noch-CEO John Donahoe, ein ehemaliger CEO des Beratungsunternehmens Bain & Company, verlor aus den Augen, was eBay besonders machte und von allen anderen Internetunternehmen unterschied. Das Management befand, dass eBay eine Handelsplattform ist, die man fast beliebig in verschiedene Richtungen entwickeln kann. Das Management entschied sich für die dem Anschein nach sicherste Option. eBay soll heute der Partner des Handels sein. eBay soll die Plattform sein, auf der stationäre Händler online Fuß fassen können. Viel Sinn ergibt das freilich nicht, wenn man einen Schritt zurück macht und das Ganze betrachtet. Als Helfer des Handels holt sich eBay schwierige Partner ins Boot, denen das Kerngeschäft wegbricht (durch den Onlinehandel von Amazon bis Zalando). Gleichzeitig kann eBay nicht die Besonderheiten der eigenen Plattform ausspielen. eBay macht das Uninspirierteste, das man machen kann: Sie nutzen lediglich die Reichweite ihres Angebots und versuchen, diese an die offensichtlichsten Kandidaten zu verkaufen. Man kann an den aktuellen Zahlen und Entwicklungen sehen, wie schlecht das funktioniert. Ebay hat im Januar diesen Jahres verkündet, 2.400 Stellen, sieben Prozent der Belegschaft, abzubauen. Der Umsatz steigt zwar, aber nicht zuletzt dafür verantwortlich ist auch eBay-Tochter Paypal, das zuletzt einen Umsatzzuwachs von 18 Prozent verzeichnen durfte; und 2015 ausgegliedert und dan die Börse gebracht werden soll. eBays Onlinemarktplatz entwickelt sich dagegen nicht weiter. Neben Paypal plant eBay auch die Auslagerungen des vor einigen Jahren übernommenen Shopsystems Magento und der “eBay Enterprise”-Sparte. Jochen Krisch spricht auf Exciting Commerce bereits von der Komplettzerschlagung eBays. Harte, aber zutreffende Worte.
Was eBay hätte werden können
Diese Entwicklung ist umso irritierender, als dass eine erfolgversprechendere Expansionsstrategie geradezu offensichtlich gewesen ist. eBay hätte frühzeitig das für den Gebrauchtwarensektor erfolgreich etablierte P2P-Modell auf andere Wirtschaftsbereiche übertragen können. eBay hätte sich sogar im Rocket-Internet-Stil von jungen US-amerikanischen P2P-Startups inspirieren lassen können oder frühzeitig P2P-Startups übernehmen können. Warum hat eBay zum Beispiel nicht anhand des frühen Erfolgs von AirBnB eine eigene Übernachtungsplattform aufgebaut? AirBnB basiert auf dem gleichen Prinzip wie eBay: Es bringt Privatpersonen für Transaktionen zusammen. Nur eben für Übernachtungen, nicht für gebrauchte Gegenstände. Gleiches gilt für Uber. Uber basiert (bei UberPop) auf dem gleichen Prinzip wie eBay: Es bringt Privatpersonen für Transaktionen zusammen. Nur eben für Personentransport, nicht für gebrauchte Gegenstände. Die Mechanismen sind identisch, “nur” die Märkte unterscheiden sich.
eBay, der P2P-Hub
Sowohl AirBnB als auch Uber setzen wie eBay für die vertrauensbildende Massnahme auf Userbewertungen. Bei AirBnB bewerten sich Vermieter und Mieter gegenseitig. Bei Uber bewerten sich Fahrer und Fahrgäste gegenseitig. Unterkünfte und Fahrer, Reisende und Fahrgäste, können so gegenseitig selektiert werden. Das Problem dieses Vorgehens ist offensichtlich. Wenn ein Dienst anfängt, gibt es keine Nutzerbewertungen auf der Plattform. Die Anbieter stehen vor einem Henne-Ei-Problem. Ohne Bewertungen keine Transaktionen, ohne Transaktionen keine Bewertungen. AirBnB versucht, diese Herausforderung unter anderm abzumindern, indem es Neuankömmlingen auf der Plattform die Möglichkeit gibt, per Programmierschnittstelle Profile von anderen Plattformen mit dem AirBnB-Account zu verbinden. Diese Verfizierungen anderer Accounts helfen, um zu evaluieren, ob eine echte, im Zweifel rückverfolgbare Person hinter einem Profil steckt.
eBay hatte frühzeitig viele Menschen auf der Plattform, die bereits eine Hand voll Bewertungen erhalten haben. Lang vor Twitter und Facebook hatte eBay also die Grundlage, um dieses Henne-Ei-Problem zu lösen. Man stelle sich folgendes Szenario vor. eBay entscheidet sich Mitte der Nuller Jahre, einen Vermittlungsmarktplatz von Übernachtungen als P2P-Plattform zu etablieren. eBay-Nutzer können mit ihrem eBay-Account einen neuen Account auf “eBayBnB” anlegen. Wer bereits auf eBay 50 positive Bewertungen hat, wird auch auf “eBayBnB” als vertrauenswürdig eingestuft. Die direkte Verknüpfung der Accounts gibt dem neuen Angebot einen Anfangsschub, den kein anderer Anbieter hätte nachmachen können. Die Accounts von eBay und “eBayBnB” hätten auch nicht von außen verbindbar sein müssen. Das heißt, es ist nicht notwendig, dass jeder Nutzer weiß, dass die Nutzerin “Gertrude1967” nicht nur ihren Toaster und ihre Puppensammlung verkauft sondern auch als “Gertrude” ein Zimmer im Zentrum von Hamburg-Eimsbüttel vermietet. Die wenigsten Nutzer würden so eine Transparenz wünschen. Diese wäre für die Bildung von Vertrauen auch gar nicht notwendig. AirBnB etwa zeigt nicht an, mit welchem Facebook-Profil der Nutzer-Account verbunden ist. Es zeigt nur an, wie viele Freunde der verifizierte Facebook-Account hat. Das bringt keine hundertprozentige Sicherheit für Vermieter, die entscheiden müssen, ob sie jemanden in’s eigene Heim lassen oder nicht. Aber es ist besser als nichts. Sehr viel besser.
eBay hätte eine Art ‘Trustscore’ einführen können, der den P2P-Einstieg von eBay in neue Märkte immer einfacher gemacht hätte. Der ‘Trustscore’ hätte anonymisiert die Bewertungen über alle eBay-Plattformen hinweg gewichten können. Eine neue, eBay-eigene Plattform, auf der Käufer bereits vertrauenserweckend sind, weil sie Hunderte Dinge auf eBay selbst gekauft und mit 100% positiv bewertet wurden, hat es sehr viel einfacher als eine Plattform, die bei diesen Dingen komplett bei Null beginnt. eBay wäre auf diesem Weg nach und nach zum P2P-Hub geworden. Die Infrastruktur für das, was man seit einiger Zeit die “Share-Economy” nennt. Zu behaupten, das wäre eine lukrative Position gewesen, wäre eine Untertreibung.
Verlorene Chancen
Uber wurde in der letzten Finanzierungsrunde mit 40 Milliarden US-Dollar bewertet. AirBnB wurde in der letzten Finanzierungsrunde mit 10 Milliarden US-Dollar bewertet. eBay wird an der Börse aktuell mit 69, 3 Milliarden US-Dollar bewertet.
Nun lassen sich diese Bewertungen nur bedingt vergleichen. Bei eBay handelt es sich um die Akkumulation von an der Börse gehandelten Anteilen, bei Uber und AirBnB um Spekulationen von Risikokapitalgebern. Aber es lassen sich zumindest grob Trends bei den drei Unternehmen ablesen. Das im März 2009 gegründete, also viereinhalb Jahre alte, Uber ist in den Augen der Investoren bereits mehr wert als die Hälfte von eBay. AirBnB ist sechs Jahre alt und kommt in den Augen seiner Investoren bereits auf ein Zehntel von eBay.
eBay feiert im September 2015 sein zwanzigjähriges Jubiläum. Im Vergleich mit den zwei jüngeren Unternehmen wird deutlich, welche Chancen eBay in den letzten Jahren verspielt hat. Transport (Uber) und Übernachtungen (AirBnB) sind nur die offensichtlichsten P2P-Marktplätze, die sich auch als eBay-Erweiterungen angeboten hätten. Die Liste liese sich nahezu endlos fortsetzen: Selbstgemachtes (Dawanda/Etsy), Spezifische Angebote für Second-Hand-Kleidung (Kleiderkreisel), Dienstleistungen wie etwa Wohnungsreinigung (Helpling).
Kann eBay den Kurs noch wechseln? Das ist ausgesprochen unwahrscheinlich. eBay sieht seine Zukunft abseits der P2P-Märkte. Die größten P2P-Plattformen Uber und AirBnB sind längst selbst auf dem Weg zu in naher Zukunft an der Börse notierten Unternehmen zu werden. Sie breiten sich außerdem selbst als Plattformen immer weiter aus. Das Fenster für eBay, ein kommerzieller P2P-Riese zu werden, hat sich geschlossen. Das Feld der potenziellen P2P-Märkte ist riesig und der Vorsprung durch einen “Trustscore” von eBay ist heute nur noch ein Bruchteil dessen, was er vor zehn Jahren gewesen wäre. Für eBay ist das der Verlust einer in der Wirtschaftsgeschichte einzigartigen, gigantischen Chance. Für die Onlinemärkte ist es gut. Ein P2P-Hub eBay hätte aufgrund der marktübergreifenden Netzwerkeffekte eine kaum aufbrechbare Monokultur bedeutet. Die wird es nun nicht mehr geben.
2015 werden eBay und PayPal in zwei separate Unternehmen aufgeteilt. Danach wird eBay günstig genug an der Börse sein, um vielleicht sogar selbst Übernahmekandidat zu werden. Man denke hierbei etwa an Alibaba, einen chinesischen Onlinehandelsriesen mit dank Börsengang gefüllter Kriegskasse und dem Willen zur internationalen Expansion. Das Tragische an all dem ist, dass der einstige Onlinepionier unter einem innovativen Alibaba zurückbekommen könnte, was er aus eigener Kraft nicht mehr zu schaffen scheint. eBay könnte wieder ein bisschen relevant werden und die Zukunft aktiv mitgestalten. Dazu scheint es allein aktuell nicht mehr in der Lage.
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Dieser Text wurde im Dezember 2014 geschrieben und erschien zuerst im Januar 2015 auf Wired.
In Exchanges #83 sprachen Jochen Krisch und ich im Januar diesen Jahres über die Zukunft von eBay und ich darin auch ein bisschen über diesen Text. Man beachte auch die übrige, zwischenzeitliche Berichterstattung zu eBay auf Exciting Commerce.