19. Feb. 2013 Lesezeit: 2 Min.

Egomacher

FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher hat mit "Ego. Das Spiel des Lebens"* ein neues, bereits an einigen Stellen diskutiertes Buch herausgebracht, das sich nach "Payback" mit ansatzweise verwandten Themen des Vorgängers beschäftigt: Computer, Finanzmärkte, Algorithmen und Kapitalismuskritik. (Und, immer auch, der Ausblick auf die Apokalypse.) Auf Amazon wird der Inhalt des Buches so beschrieben:

Dieses Buch erzählt davon, wie nach dem Ende des Kalten Kriegs ein neuer Kalter Krieg im Herzen unserer Gesellschaft eröffnet wird. Es ist die Geschichte einer Manipulation: Vor sechzig Jahren wurde von Militärs und Ökonomen das theoretische Model eines Menschen entwickelt. Ein egoistisches Wesen, das nur auf das Erreichen seiner Ziele, auf seinen Vorteil und das Austricksen der anderen bedacht war: ein moderner Homo oeconomicus. Nach seiner Karriere im Kalten Krieg wurde er nicht ausgemustert, sondern eroberte den Alltag des 21. Jahrhunderts. Aktienmärkte werden heute durch ihn gesteuert, Menschen ebenso. Er will in die Köpfe der Menschen eindringen, um Waren und Politik zu verkaufen. Das Modell ist zur selbsterfüllenden Prophezeiung geworden. Der Mensch ist als Träger seiner Entscheidungen abgelöst, das große Spiel des Lebens läuft ohne uns.

Lesen werde ich das Buch nicht. Denn alles, was ich über Frank Schirrmachers Verständnis von den Themen des neuen Buches wissen muss, steht in dieser Aussage aus einem Interview zum Buch mit dem Deutschlandfunk:

Kaess: Da passt das jetzt gar nicht so schlecht in diesen Zusammenhang, das Thema Ihres neuen Buches, das eine radikale Kritik ist am modernen Homo oeconomicus, der nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist und die totale Ökonomisierung unseres Lebens. Warum haben Sie dieses Thema gewählt?

Schirrmacher: Weil ich jetzt selber dem überall begegne. Wenn Sie sich zum Beispiel anschauen, es gibt ja eine sehr beliebte modernere Theorie, die sogenannte Verhaltensökonomie, die bestsellerträchtig auch, werden ganz banale Lebensfragen gestellt, zum Beispiel: Ist es sinnvoll, eine Strafe zu erheben, wenn man sein Kind zu spät vom Kindergarten abholt? Und dann wird darüber nachgedacht, nein, das ist nicht gut, denn wenn die Strafe zu gering ist, sagen die Eltern, das ist es mir wert, und so weiter. Diese Ökonomisierung, noch von den kleinsten menschlichen und sozialen Fragen, die wir jetzt haben, wie bringt man Leute dazu, damit sie einen Vorteil bekommen, bestimmte Dinge zu machen, war eigentlich der Auslöser, verbunden natürlich mit der großen Eurokrise, die das Gleiche, nur auf größerem Niveau, ist.


Da hat Schirrmacher anscheinend einiges missverstanden. Die Verhaltensökonomie zerlegt eben gerade die machinenartige ökonomische Vision des Homo oeconomicus der Neoklassik und zeigt sie als das realitätsferne Bild auf, das sie ist. Das steht sogar im ersten Absatz in der Wikipedia zur Verhaltensökonomie.

Aber, schlimmer noch, er scheint gar kein großes Interesse daran zu haben, das alles tatsächlich verstehen zu wollen. (Das bekannte "sogenannt"-Indiz.)

Wenn Schirrmacher sich mit der Verhaltensökonomie näher beschäftigen würde und die dortigen Erkenntnisse zum Beispiel auf durch das Internet ausgelöste/möglich gewordene Vorgänge übertragen würde, würde er allerdings näher bei zum Beispiel Yocha Benkler oder Clay Shirky landen als ihm, dem Morozov-Verehrer, wahrscheinlich lieb wäre.

Yochai Benkler hat sich just letztes Jahr in seinem ersten Buch nach dem Monster "The Wealth of Networks" mit eben diesen Themen beschäftigt: The Penguin and the Leviathan: How Cooperation Triumphs over Self-Interest*

Eine vernichtende Kritik des vorhergehenden Buches von Frank Schirrmacher findet man im Blog des Merkur. (via Bildblog)

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Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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