16. März 2021 Lesezeit: 4 Min.

Es braucht einen echten Diskurs zu Blockchains und co., kein unernstes Diskurs-Theater

NFTs machen weiter Schlagzeilen.

Beeples „Everydays: The First 5000 Days“ wurde auf Christie’s für 69 Millionen $ versteigert. (The Verge)

Das ist wirklich sehr überraschend viel Geld.

Aber:

  1. Beeple ist ein bekannter zeitgenössischer Künstler.
  2. Er kann immer wieder weitere Kunstwerke als NFTs verkaufen, aber nur einmal eine Collage der ersten 5.000 Tage seiner täglichen Kunst.

So funktioniert eben der Kunstmarkt.

Anyway.

Fünf Blockchains für einen Impfpass (heise) sind natürlich kompletter Unsinn.

Es gibt letztlich nur zwei Aspekte, wenn es darum geht, ob etwas auf Blockchain-Basis Sinn ergibt oder nicht:

  1. Muss eine eindeutige Zuordnung zwischen verschiedenen Entitäten erfolgen?
  2. Entstehen Vorteile, wenn diese Zuordnung ohne zentrale Organisation technisch umgesetzt werden kann?

Ich habe in meinen zwei ersten Texten über NFTs geschrieben, warum es dezentral sein muss: Anbieterunabhängigkeit gibt ein stärkeres Sicherheitsgefühl für die Zukunft, wichtiger aber noch ist das Ökosystem, oder wie ich es schrieb:

Damit so etwas möglich wird, muss keine Produktmanagerin bei Spotify überzeugt werden. Es braucht​ lediglich findige Entwicklerinnen, welche die Bausteine verbinden. Das ist ein Vorteil von Blockchain-basierten Lösungen.

Der sehr ermüdende Aspekt jeder Art von öffentlichem Gespräch über Crypto-Themen ist die Vehemenz, mit der zwei längst völlig festgefahrene Seiten aufeinander treffen.

Die Pro-Seite ist unerträglich, aber auch nachvollziehbar: Blockchains haben als grundlegende Technologie großes organisatorisches und damit gesellschaftliches Potenzial, zumindest langfristig. Für diese Seite aber wichtiger ist die Ponzihaftigkeit von manchen Cryptowährungen: Leute, die in Crypto investieren, wollen, dass noch mehr Leute in Crypto investieren, weil dann der Wert ihres Investments steigt.

Anywhoo. Die andere Seite sind diejenigen, die sich für besonders klug halten, weil sie Blockchains grundsätzlich ablehnen und dafür jedes Argument herannehmen, das ihnen einfällt. Das äußert sich vor allem in sarkastischen Tweets und einer „bin ich der einzige, der nicht blöd ist“-Attitüde.

Ich habe 2015 einmal über Blockchains geschrieben: „Bitcoin: Nicht die Währung sondern die Blockchain ist die Revolution“ Damals schauten alle auf Bitcoin, aber kaum jemand auf die Technologie dahinter. Damals wie heute sehe ich ein großes langfristiges Potenzial bei dieser Technologie.

Mit Betonung auf „langfristig“.

Dezentrale Ansätze brauchen sehr viel Zeit, weil sie ein inhärentes Koordinationsproblem beim initialen Aufbau haben. Dafür sind sie, wenn sie erst einmal etabliert sind, sehr resilient. Siehe etwa Email.

Die letzten Jahre war das Crypto-Thema deshalb für mich nicht relevant. Es gab und gibt relevantere, sprich gesellschaftlich drängendere Themen.

Deshalb ist es mindestens interessant gewesen, wie fundamentale Blockchain-Kritiker vor zwei, drei Jahren trotz der fehlenden gesellschaftlichen Relevanz des Themas konstant über Blockchains sprachen.

Das ist albern, bringt aber Likes und Retweets von den immer gleichen Gleichgesinnten.

Wichtiger aber vielleicht: Es bringt überhaupt nichts. Jahrelanges Meme-Verbreiten von Grafiken der Marke „Auf Blockchain setzen -> nein“ und jetzt bekommen wir trotzdem inmitten einer Pandemie einen Impfpass auf Blockchain-Basis. Fünf Blockchains. Im Breitbandentwicklungsland Deutschland.

Oben schrieb ich darüber, wie unernst der deutsche Tech-Journalismus ist. Der Crypto-Diskurs ist ähnlich unernst.

Ein Diskurstheater für die Profilierung der Akteure, das weder erfasst, wenn etwas Sinn ergibt (NFTs), noch etwas Blödsinniges (fünf Blockchains für ein Halleluja) verhindern kann.

Das hängt natürlich zusammen. Unernsthaftigkeit führt zu Papiertigermäßigkeit. Wer unernst ist, wird an den wichtigen Stellen nicht ernst genommen, wenn es darauf ankommt.

Anyway!

Ein relevantes Argument gegen Blockchains, auf das ich bis dato nicht eingegangen bin (weil Blockchains bis dato relativ egal waren!), ist der Energieverbrauch. Der ist recht hoch.

Dieses Argument trifft auf Bitcoin ebenso zu wie etwa auf NFTs.

Aber es ist kein Totschlag-Argument.

In ein paar Jahrzehnten werden wir erfolgreich auf eine Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien umgestiegen sein. Nun haben wir aber dank der Klimakatastrophe hier und jetzt ein Problem, wenn wir massiv Energie verbrauchen.

Es ist und bleibt das beste Argument gegen Bitcoin.

NFTs werden in der Regel auf der Ethereum-Blockchain gemünzt. Auch diese setzt wie die Bitcoin-Blockchain auf Proof-of-Work und verbraucht damit viel Energie. Eine Eth-Transaktion entspricht wohl 48,14 kWh. So viel verbraucht ein US-Haushalt in 1,63 Tagen. (loop-news)

Die NFTs-sind-doof-und-zerstören-auch-noch-unsere-Umwelt-Spezis hören an dieser Stelle mit ihrer Argumentation auf.

Dabei gibt es für alle, die sich ein bisschen damit beschäftigen, weil sie am Thema interessiert sind, zwei wichtige weitere Aspekte:

Der erste Aspekt:

Ethereum ist gerade dabei von Proof-of-Work zu Proof-of-Stake zu wechseln, was den Energieverbrauch wohl um 99% senken wird. Es ist so viel, weil der Energieverbrauch heute so unverschämt hoch ist.

loop-news:

Proof of stake is an alternative mechanism where a random person who has a stake in the network is picked to solve one block, instead of having thousands of nodes compete to solve blocks. The participants are called validators instead of miners, and they require you to stake 32 ether each, so everyone is honest. According to [Ethereum-Gründer Vitalik Buterin], moving to PoS cuts the energy consumption by close to a hundredfold. Consequently, Ethereum gas fees will be reduced a lot due to this, so stay tuned if you are waiting for low gas. […]

ETH 2.0 has already begun its first phases, and we can expect to move over to PoS by late 2021 to early 2022.

Siehe auch IEEE. Man arbeitet bereits länger an diesem Wechsel.

​Der zweite Aspekt:

NFTs können in der Zwischenzeit über Sidechains gemünzt werden.

loop news:

We have sidechains like Matic and xDai, which are slowly being implemented into OpenSea, helping reduce the number of transactions and gas use. You can mint on sidechains for free, and it won’t use gas, resulting in less energy, but it will still be classified as an NFT as you can transfer to the Ethereum blockchain using bridges. […]

You do NOT have to stop creating NFTs and Crypto Art due to the energy requirements of the Ethereum blockchain, but you can transition to another side-chain, and then when Proof-of-stake is introduced, transition back.

Nichts davon wird man im unernsten Diskurs-Theater erfahren.

NFTs scheinen gerade auf dem Weg, sich als Markt massiv zu überhitzen. Der übliche Hype-Verlauf vielleicht. Diese Möglichkeit ändert aber nichts daran, dass hier gerade etwas Fundamentales passiert.

NFTs fallen zeitlich perfekt in den aktuellen Megatrend der aufsteigenden Creator Economy hinein. Sie gewinnen massiv durch ihre Dezentralität (Ökosysteme!).

Man kann auf die fünf Impfpass-Blockchains, die eine staatliche Datenbank hätten sein sollen, spucken und gleichzeitig NFTs als einen wichtigen neuen Baustein im Online-Werkzeugkasten von (nicht nur) Kreativschaffenden sehen. Aber das geht nur, wenn man seine eigene Identität nicht vermeintlich unwiderruflich an eine nuancenfreie Position zu einer Technologie gefesselt hat.

Dieser Text ist zuerst in Nexus 60: Ernste Worte zum Crypto-Thema, zum deutschen Tech-Journalismus, und Bliq am 12.03.2021 erschienen. Nexus ist das Mitgliederangebot von neunetz.com mit zusätzlichem Newsletter, exklusiven Podcasts und einem Discord-Forum. Mehr Informationen zum Mitglieder-Angebot hier.

Wir sprechen heute, Dienstag, 16.3., 14 Uhr in der Aufnahme der nächsten neunetzcast-Ausgabe über NFTs. Man kann auf Clubhouse live mithören und danach mitdiskutieren.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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