17. Okt. 2017 Lesezeit: 3 Min.

Goodbye Gatekeepers

Ben Thompson über das Ende der Gatekeeper in verschiedenen Branchen. Beginnend mit Hollywood und der Weinstein-Geschichte:

Suppose there are five meaningful acting jobs per movie: that means there are only about 500 meaningful acting jobs a year. And Weinstein not only decided who filled many of those 500 roles, he had an outsized ability to affect who filled the rest by making or breaking reputations.

Weinstein was a gatekeeper, presented with virtually unlimited supply while controlling limited distribution: those that wished to reach consumers had to accede to his demands, no matter how criminally perverse they may have been.

​Weinsteins Verhalten hat es wohl vorher auch deshalb nicht an die Öffentlichkeit geschafft, weil Publikationen wie die New York Times (Gatekeeper) auch an den Werbeeinnahmen von Weinstein und Freunden hing:

Advertising was the New York Times’ primary revenue source, accounting for 66% of total revenue, and given that in 2003 the average Hollywood movie spent an average of $34.8 million in advertising, some portion of that undoubtedly came from Weinstein specifically.

The reason that circulation decline suggested a problem is that the ability of the New York Times and other newspapers to command advertising depended on being a gatekeeper: advertisers didn’t take out newspaper ads because they loved newspapers, they took out newspaper ads because it was an effective way to reach potential customers

​The New York Times hat sich mittlerweile, notgedrungen, von Werbeerlösen gewissermaßen entfernt:

Last year the New York Times had $1.6 billion in revenue, a 53% decrease from 2004. Critically, though, the source of that revenue had flipped on its head: advertising accounted for only 37% of revenue, while circulation was 57%, up from 54% in 2015, and only 27% in 2004; by all account circulation is up significantly more in 2017.

​Das macht die Publikation in jeder Hinsicht unabhängiger.

Gleichzeitig haben Netflix, die Explosion des US-Fernsehens allgemein und, last aber most certainly not least, YouTube zur schleichenden Erosion der Bedeutung der Filmaschine Hollywood beigetragen:

Meanwhile, more and more cachet — and star power — is flowing to serialized television, particularly distributors like Netflix and HBO that go directly to customers. And don’t forget YouTube: video is a zero sum activity — time spent watching one source of video is time not spent watching another — and YouTube showed over a billion hours of video worldwide in 2016.

​Seit mittlerweile einigen Jahren beschäftige ich mich nun zunehmend intensiver mit der Frage, was kurz- und mittelfristig passiert, wenn nicht nur eine Branche, oder ein Bereich der Gesellschaft, tiefgreifenden Veränderungen ausgesetzt ist, sondern mehrere zeitgleich.

Die Geschwindigkeit, mit der gerade sich unsere Gesellschaft verändert, wird in den nächsten Jahren noch einmal weiter an Fahrt aufnehmen. Noch ist kein ehemals gemächlich etabliertes System vollständig kollabiert. Aber das wird kommen. Und, wie bereits öfter ausgeführt, wird es früher kommen als gemeinhin erwartet. Die nachhaltige Mindestmenge für Zeitungsleser liegt nicht bei Null, die nachhaltige Mindestmenge für Kinogänger liegt nicht bei Null, die nachhaltige Mindestmenge für Zuschauer beträgt nicht Null.

Das deutsche (Privat-)Fernsehen etwa wird nicht kollabieren, weil ihnen die Zuschauer weglaufen. Das tun sie. (Zu Netflix, zu YouTube, zu Snapchat, zu Facebook) Es kollabiert auch, weil ihnen die Werbekunden wegbrechen. Alte Marken und Händler (und Produktkategorien) verschwinden oder haben mehr Werbeerfolg auf Facebook. Neue Marken und Produkte werden für online gebaut. Für eine Welt der Fokussierung, nicht der Massen.

Das alte System verschwindet. Unwiderruflich.

Es ist Teil dieses Wandels, dass effektive Aktionen wie #metoo, oder vor längerem #aufschrei, massenmedial angegriffen werden. Sie sind zu erfolgreich darin, über das Netzwerk eine Öffentlichkeit zu schaffen. Wer es über Jahrzehnte gewohnt war, die Gesellschaft so abzubilden wie er (<-Absicht) sie wahrnahm, muss unweigerlich Unbehagen spüren, wenn er etwas wie #metoo oder #aufschrei sieht.

Ohne Gatekeeper können Dinge auf großer Bühne sichtbar gemacht werden, die vorher eben dort nicht sichtbar waren. (Dazu zählt auch weit verbreiteter Rassismus und Fremdenhass. Im Guten -Smartphone-Videos von Polizeigewalt gegen Minderheiten- wie im Schlechten.) Gatekeeper sind inhärent befangen bei diesen Themen. Alles mit dem Netzwerk im Zentrum ist eine Gefahr für den Gatekeeper. Nirgendwo merkt man das so deutlich wie im deutschen Feuilleton.

(Wie frei von Selbstreflektion und Geschichtsbewusstsein das deutsche Feuilleton über die wichtigste Entwicklung unserer Zeit seit 10, 15 Jahren schreibt, bleibt natürlich eine der großen Tragödien der deutschen Öffentlichkeit.)

Thompson:

I can imagine there are many that long for the days when the media — and by extension the parties — could effectively determine presidential nominees. The Weinstein case, though, is a reminder of just how rotten gatekeepers can be. Their very structure is ripe for abuse by those in power, and suppression of those wishing to break through; consumers, meanwhile, are taken for granted. [...]

the Internet provides abundance, not scarcity, and power flows from discovery, not distribution. We can regret the change or relish it, but we cannot halt it: best to get on with making it work for far more people than gatekeepers ever helped — or harassed.

​Die nächsten Jahre werden auch von der Frage geprägt sein, wie wir die Onlineöffentlichkeit regulieren wollen. Man sollte niemals vergessen, dass Massenmedien und Journalisten in dieser Frage immer befangen sein werden. Das heißt nicht, dass hier Argumente nicht angenommen werden sollten.

Es heißt nur, dass die ehemaligen Gatekeeper keine reinen Berichterstatter über die mögliche Zukunft ihrer Gates sein können.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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