Die große unterschätzte Veränderung, die mit dem Internet kommt, ist ein in vielen Bereichen massiver Wandel von hierarchischen Strukturen hin zu Marktstrukturen. Über die strategische Wichtigkeit von APIs und Plattformen.
Über den Nutzen von Facebooks Plattform
Nach dem Einstieg der Samwers bei Facebook , geht es in den deutschen Blogs bereits los: Wird Facebook Studivz schlagen oder gar gleich aufkaufen? Ja, Nein, Vielleicht. Zutreffendes bitte ankreuzen. Ich schätze, es wird noch ein, zwei Monate dauern bis es soweit ist, dass Facebook nach Deutschland kommt. Deswegen sind all die Spekulationen eher müßig. Aber es gibt mir zumindest die Gelegenheit, ein paar Gedanken zu äußern, die ich nun seit geraumer Zeit mit mir rumtrage .
Immer wenn es um Facebook geht, ist es nur eine Frage der Zeit bis jemand mit dem Argument kommt, das diesmal Olaf Kolbrück auf off-the-record.de hier schreibt :
Die Legionen an Features und Applikationen bei Facebook - ein Vorteil? Wohl doch nicht mehr als Spielereien, die keinen entscheidenden Wettbewerbsvorteil herstellen. Die sich noch dazu - ja - kopieren lassen.
1. Das Argument der Zombies und Superpokes ist zu kurz gedacht. Ich könnte ohne Mühe mich hinsetzen, und ein paar Hundert (vielleicht sogar Tausend) komplett unnütze Programme für Windows (oder Mac oder Linux) raussuchen. Im jeweils ersten Jahr dieser Betriebssysteme sah das Verhältnis zwischen nützlichen Drittanbieterprogrammen und 'Spielereien' wahrscheinlich noch schlimmer aus. Wahrscheinlich hätte man in der Zeit argumentieren können, dass kein Betriebssystem die Möglichkeit benötigt, andere Programme als die vom Betriebssystemhersteller ausführen zu können. Heute würde das ernsthaft niemand mehr behaupten.
Ich wiederhole mich ungern (naja), also wiederhole ich Doc Searls :
And it’s still early. It’s important to remember that. Everything on the Web is still just a prototype.
Und die Facebook-Plattform ist noch nicht mal ein (in Zahlen: 1) Jahr alt.
2. Und was das kopieren angeht: Wenn nicht einmal Google so ohne weiteres eine funktionierende Plattform aufsetzen kann (Open Social ist noch lang nicht da wo Facebooks Plattform seit Mai letzten Jahres ist, nicht einmal ansatzweise), dann ist das Argument des Kopierens mindestens eben so kurzsichtig. Ganz so einfach ist die Sache also nicht. Und auch wenn man die eine oder andere Applikation für die eigene Seite auch selbst programmieren kann. Was ist mit der Masse? Wie sähe die Windowswelt wohl aus, wenn komplett alle Programme auch noch von Microsoft selbst kämen? Brrr.
Markt vs. Hierarchie
Aber kommen wir nochmal zum ersten Punkt zurück, denn das ist wichtig:
Wenn Facebook eine Plattform aufbaut, dann ist das eine konzeptuelle Entscheidung. Man entscheidet sich, das Netz, den Markt, an der Weiterentwicklung zu beteiligen. Den Einfallsreichtum da draußen anzuzapfen.
Während Studivz mit seiner strikten Weigerung einer Öffnung, wenn auch wohl eher unbewusst, einen hierarchischen Ansatz verfolgt.
Wo werden die Innovationen aber stattfinden? Dort wo jeder indische Informatik-Student mit hohen Ambitionen seine Ideen umsetzen oder zumindest ausprobieren kann oder dort wo ein paar Dutzend Programmierer das ausführen, was die Geschäftsleitung beschlossen hat?
Und welche Seite wird flexibler auf Veränderungen in den Präferenzen der Nutzer reagieren können?
Im Grunde kennen wir die Geschichte bereits: Die API von Twitter , die für den Erfolg von Twitter massgeblich verantwortlich ist. Es ist auch die API, die Twitter zu einer Plattform macht. Die API, die die Ressourcen des Netzes anzapft und erst die Legionen von Clients für jeden Geschmack und die unzähligen Drittanbietertools ermöglicht. Nur ein Bruchteil davon wäre direkt bei Twitter zu realisieren gewesen, hätte man alles selbst gemacht.
Nebenbei: Auch Firefox' Addon-Strategie fällt in diese Kategorie: Markt statt Hierarchie. Zusatzfunktionen werden nicht von der Mozillafoundation programmiert oder deren Entwicklung von dort geleitet.
Dabei bedeutet Markt nicht unbedingt monetäre Entlohnung. Sondern zuforderst geht es erstmal um Aufmerksamkeit. Heißt, es wird nicht immer, zumindest nicht direkt, Geld verdient, wenn man es schafft, sich in so einem Markt zu etablieren. Wer aber beispielsweise ein Top-Firefox-Addon schreibt, dürfte mit dieser Referenz keine Probleme haben einen Job oder als Freelancer Aufträge zu bekommen.
Wichtig ist hier natürlich auf der Seite des API/Plattformanbieters, klare Regeln zu schaffen und Vertrauen bei den Drittanbietern aufzubauen. Und diese müssen sich klarmachen, worauf sie sich einlassen. (Das ist nicht unproblematisch, siehe beispielsweise Amazons Verhalten im Fall Alexaholic . O'Reilly zeigt dort sehr gut die Schwierigkeiten auf.)
Ich bin wahrlich kein Friedman -Jünger, aber in meinen Augen ist in vielen Bereichen im Internet der Markt gegenüber der Hierarchie klar vorzuziehen:
Wenn ein API/Plattformanbieter (oder auch: Infrastrukturanbieter) neben den technischen Notwendigkeiten das richtige Umfeld schafft - Bestimmungen, die von anfang an die Interessen sowohl von Plattformanbieter, Applikationanbieter als auch Nutzer klar festlegen und kommunizieren(!)-, dann hat man da im Regelfall bereits am Ausgangspunkt einen erheblichen Wettbewerbsvorteil gegenüber dem hierarchischen Ansatz.
Es erscheint offensichtlich, aber ich sage es trotzdem einmal ausdrücklich:
Das Internet ermöglicht es aufgrund seiner Architektur, dass Ad-Hoc-Netzwerke oder auch virtuelle Unternehmen es mit etablierten festen Hierarchien ([Medien-]Konzerne, Majorlabel usw.) ohne weiteres aufzunehmen. Natürlich nicht in jedem Bereich, aber dort, wo Produkte direkt im oder indirekt über das Netz stattfinden oder vertrieben werden. Das Internet stellt Kosten- wie Nachfragefunktionen auf den Kopf (in einigen Bereichen). Wer das kapiert und nutzt -die Vorteile des Netzes via API/Plattform anzapfen-, der gewinnt. Wenn nicht kurz- dann mittel- bis langfristig.
Wenn man erst mal eine Weile darüber nachdenkt, dann erscheint es geradezu absurd, eine große Seite, besonders ein SocialNetwork, mit Millionen von Nutzern ohne Andockstellen -sprich eigene Plattform oder bei anderen Plattformen andocken- aufbauen und halten zu wollen. Es genügt nur ein direkter Gegner auf vergleichbarer Qualitätsstufe, der den offenen Marktansatz wählt, und es ist nur noch eine Frage der Zeit.
Noch ein Schlusswort: Der Gegenstand der in letzter Zeit in Deutschland wieder besonders verbittert geführten Debatte Blogger gegen Journalisten wird hiervon auch berührt. Auch wenn es wohl kaum einem der Beteiligten bewusst zu sein scheint: Auch Online wird es weiter Medien geben, die befüllt werden wollen, sie werden nur kleinteiliger sein und durch Verlinkungen erst zum großen Ganzen werden (als Gegensatz zum hierarchischen Portalansatz). Nicht der (anpassungsfähige) Journalist wird mit dem Netz somit in großen Teilen überflüssig, sondern der Redakteur..
To be continued.