29. März 2012 Lesezeit: 2 Min.

Replik auf Dieter Gorny: Wir brauchen kein starkes Urheberrecht

Dieter Gorny, der Vorstandsvorsitzende des Verbands der Musikindustrie, hat einen Text für das Handelsblatt geschrieben, in dem er auf den Wahlerfolg der Piraten im Saarland und die Anti-ACTA-Proteste reagiert.

Er schreibt unter anderem:

Eines der Kernprobleme der aktuellen Debatte ist es, dass das Urheberrecht vor dem Hintergrund einer vermeintlichen Freiheitsdebatte von einigen wenigen als ein zu überwindendes Hindernis stilisiert wird. Dabei wird vergessen, dass die Freiheit der einen, nämlich die Freiheit, sich gratis mit Medieninhalten versorgen zu können, dann die Unfreiheit der anderen bedeutet, wenn den Urhebern und Kreativen letztlich die Existenzgrundlage abgesprochen wird.

Das ist ein klassisches Strohmannargument. Es ist natürlich nicht so, dass auf der einen Seite die Künstler stehen und auf der anderen Seite diejenigen, die alles umsonst wollen.

Die Sachlage ist weitaus komplexer. Das aktuelle Urheberrecht behindert die Kulturproduktion stärker als dass es sie fördert. 15 Jahre beträgt die optimale Schutzfrist für Urheberrechte, die Schutzfrist in Deutschland liegt bei 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers. Ist der Urheber zum Zeitpunkt der Entstehung des Werkes 20 Jahre alt und wird er 80 Jahre alt, was durchaus im Rahmen der aktuellen Lebenserwartung liegt, schießt die Schutzfrist für das Urheberrecht auf stolze 130(!) Jahre.

Damit wird klar, dass das Urheberrecht in seiner aktuellen Form vor allem ein Verwerterrecht ist und dass es die Kulturproduktion zugunsten vorhandener Werke schwächt: Denn je mehr Rechte man den Urhebern von heute und gestern zugesteht, desto geringeren Handlungsspielraum haben die Urheber von morgen.

Herr Gorny hat also auf einer grundlegenden Ebene recht: Die Freiheit der einen, also der von ihm vertretenen Unternehmen, Rechte anzuhäufen und diese auf über 100 Jahre zu verwerten, bedeutet Unfreiheit für den Rest von uns. Egal ob Urheber oder nicht.

Hinzu kommt, dass das Urheberrecht ganz oft gar nicht die Existenzgrundlage für Urheber darstellt. Musiker, selbst jene, die hoch in den Charts standen, haben traditionell mehr Geld mit Konzertauftritten verdient als mit den Verkäufen ihrer Singles und Alben. Sie brauchten Reichweite für ihre Auftritte. Das Urheberrecht behinderte sie eher bei dem Aufbau dieser Reichweite, also bei dem Finden von Fans. Denn es regelt, genauer beschränkt, den Zugang zu Werken. Dass das vielen Künstlern nicht klar ist, ändert nichts an diesem Umstand. (Es macht ihn nur um so tragischer.)

Die Unternehmen, deren Existenzgrundlage das Urheberrecht ist, sind die Rechteverwerter, im Musikbereich also etwa die Tonträgerunternehmen, die die Chuzpe haben, ihren Branchenverband "Bundesverband Musikindustrie e. V." zu nennen. Der Verband, bei dem Dieter Gorny der Vorsitzende ist. Wenn er also von der Existenzgrundlage der Künstler spricht, meint er eigentlich die von ihm vertretenen Unternehmen.

Und weiter im Text:

Für mich steht fest: Auch oder gerade in einer digitalisierten Welt brauchen wir ein starkes Urheberrecht. Es ermöglicht dem Künstler überhaupt erst, Wertschöpfung zu betreiben und von seinem Tun auch leben zu können.

Herr Gorny ist hier ganz der Hardliner, als den man ihn kennt und liebt. Natürlich trifft das nicht zu. Wie bereits oben angeführt, leben viele professionelle Künstler wenig bis gar nicht vom Urheberrecht. Desweiteren gibt es permanent Beispiele von Künstlern, die auf verschiedenste, innovative Arten Geld verdienen, indem sie mit, nicht gegen ihre Fans arbeiten. (Crowdfunding ist ein Beispiel.)

Doch selbst das beste legale Angebot kann auf Dauer nicht gegen massenhafte illegale Umsonst-Angebote konkurrieren.

Doch, kann es. Mit Mehrwert. Gerade Dienste wie Spotify, Rdio oder Simfy, die Dieter Gorny nennt, sind erfolgreich, weil sie erstmals Mehrwert bieten.

Wir sollten unterscheiden zwischen dem Bedürfnis, kreativ zu sein, und der professionellen Produktion von Kunst und Kultur, die die Gesellschaft treibt und mit der sie sich auseinandersetzt. Für diese Spitzenleistungen braucht es Freiraum, Respekt, Kapital, freiwillige arbeitsteilige Strukturen – und das Urheberrecht.

Welchen Freiraum hat der Künstler, in dessen Lebenszeit kein einziges Kunstwerk, das zu seinen und den Zeiten seiner Eltern entstanden sind, jemals zu seiner freien Verfügung stehen wird?

Er hat den Freiraum, sich in ein industriell geprägtes System zu fügen, das süchtig ist nach exklusiven Rechten.

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Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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