Es folgt eine lange Analyse über die eben bekanntgewordenen Pläne von StudiVZ (neue ÜberVZ-Seite, proprietäre Schnittstelle mit Zugangsbeschränkungen) mit Begründungen, warum es eine Reihe von Fehlentscheidungen ist.
Okay, ganz so schlimm wie in der bildesken Überschrift ist es nicht, aber Hut ab in Richtung StudiVZ für das konsequente Verfolgen der unsinnigsten Netzwerkstrategie seit AOL versuchte, seine Kunden einzuschließen ever:
Wir werden unmittelbar nach dem Übergang auf die neue Softwarearchitektur unsere VZ-Markenfamilie in dem Segment oberhalb von StudiVZ erweitern. Die neue Marke richtet sich an alle Freunde unserer StudiVZ-Nutzer, die nicht mehr studieren oder gar nicht studiert haben.
so StudiVZ-CEO Marcus Riecke im Interview mit Holger Schmidt von der FAZ
Das Geräusch, das Sie eben vernahmen, war mein Kopf, der dezent auf der Tischkante aufschlug. Als Holtzbrinck bei bookya einstieg, wunderte ich mich noch, warum man eine solche Funktion -eine Onlinebücherbörse- nicht bei StudiVZ selbst einbaute, und ich schrieb am Ende halb im Scherz:
Stattdessen erwartet man, dass der Student, der bereits auf Studivz angemeldet ist, sich auch noch bei bookya anmeldet. Der Student, der als Schüler bei schuelervz angemeldet war. Und sich irgendwann nach dem Abschluss dann bei Alumnivz und in ein paar Dekaden bei rentnervz anmeldet? Ich bin dann mal auf facebook.
'Halb' im Scherz weil ich ahnte, dass man soetwas Ähnliches tatsächlich plant.
Wie meschugge muss man sein, um mehrere parallele Netzwerke aufbauen zu wollen wenn man alles unter einem Dach machen könnte? Hat man bei StudiVZ/Holtzbrinck Angst vor dem Netzwerkeffekt? Warum beginnt man immer wieder nahe bei Null? Lust an der Herausforderung? Masochismus?
Zumindest plant man diesmal eine Durchlässigkeit zwischen den Seiten. StudiVZ-CEO Riecke:
Es wird eine große Durchlässigkeit zwischen StudiVZ und der neuen Marke geben. Wir wollen den Nutzern keineswegs vorschreiben, ob sie bei StudiVZ bleiben oder zur neuen Marke wechseln. Wir erwarten, dass viele ehemalige Studenten die neue Marke bevorzugen. Auf der neuen Plattform können die Nutzer auch ihre Arbeitgeber-Kontaktdaten sehr viel ausführlicher angeben.
Das Auslandsengagement von StudiVZ ging zum Großteil in die Hose weil es keine Verbindungen der Seiten untereinander gab -im Gegensatz zu wahrlich globalen Seiten wie Myspace und Facebook ein nicht unerheblicher Nachteil. Der so selbstgeschaffene Mehraufwand, wenn man in jedem Land komplett bei Null beginnt, war wohl doch größer als vermutet.
Jetzt macht StudiVZ aber wieder einen ähnlichen Fehler . Die Leute bauen sich ihr Netzwerk in StudiVZ auf und sollen nach Studienabschluss das Gleiche an anderer Stelle nochmal machen. Selbst wenn man soziale Verbindungen und vielleicht andere Daten (archivierte Privatkorrespondenz? Gruppenzugehörigkeiten? Bilder und dort Verlinkte?) übernehmen kann, ist diese Vorgehensweise, gelinde ausgedrückt, abstrus.
Was man stattdessen hätte machen sollen
Das Gleiche, was das andere große dt. Social Network (OpenBC->Xing) gemacht hat: Goodbye zum Namen sagen und die Community auf einen passenderen Namen umziehen. Und dort unter einem Dach das gesamte Netzwerk zusammenführen. Denn Studenten haben auch *gasp* Nichtstudenten als Freunde. Warum an dieser unnützen Trennung festhalten? Oder umgedreht gefragt: Warum nicht gleich richtig machen und eine eigene Seite für jedes Bundesland oder gar jede Universität? Eben, es ist kontraproduktiv.
Die Trennung von SchuelerVZ und den anderen Seiten ist richtig aufgrund des nötigen Jugendschutzes (jetzt mal abgesehen davon ob das und inviteonly für den Schutz ausreichen). Aber alles andere, selbst wenn die
Seiten irgendwann untereinander kommunizieren können sollten, macht es für die Nutzer komplizierter als nötig.
Möchte man den Leuten ermöglichen, sich verschiedenen Personenkreisen unterschiedlich zu präsentieren, kann man das auch über granulare Privacyeinstellungen und verschiedene Versionen von Userprofilen in Verbindung mit Freundeslisten realisieren. Dazu muss man keine zusätzliche Seite aufsetzen.
Vor allem: Welche der beiden Vorgehensweisen kann man seinen Nutzern wohl eher vermitteln? (Und außerdem: Werden Leute die vom StudiVZ ins ÜberVZ ziehen, dann doppelt gezählt? Wäre eine schöne Inflation der VZ-Gesamtzahlen.)
Weitere Punkte des Gesprächs:
- "gesamte Softwarearchitektur komplett umgeschrieben"
- Man konzentriert sich jetzt ganz auf das deutsche Geschäft.
- Keine öffentlichen, indizierbaren Profile.
- Break Even ist bei StudiVZ 2007 erreicht worden.
- Mitglieder StudiVZ und SchülerVZ zusammen 7,5 Millionen
- Umsatz StudiVZ 2007: "einstelliger Millionenbetrag"
- Ein eigener Newsfeed wird "geprüft"
- Einen Beitritt zu OpenSocial hält man nun für wahrscheinlich. (Vor wenigen Wochen wurde das noch kategorisch abgelehnt.)
Außerdem:
Eine proprietäre Schnittstelle mit Zugangsbeschränkungen..
StudiVZ-CEO Riecke hierzu und zum eventuellen Einstieg bei OpenSocial:
Es kann durchaus sein, dass wir Applikationen, die wir mit einem externen Entwickler erarbeiten, für uns behalten wollen. Wenn wir eine tolle Idee haben, macht es Sinn, wenn diese Idee in einem anderen Netzwerk nicht funktioniert. Die Applikationen sind ein Weg zur Differenzierung im Wettbewerb. Das Vorgehen hält uns alle Möglichkeiten offen: Wir können Anwendungen komplett allein entwicklen, wir können Anwendungen über die proprietäre Schnittstelle mit einem ausgewählten Entwickler erarbeiten oder wie bieten eine offene Schnittstelle an.
Eher heute hatte ich einen Artikel zu den aktuellen Facebooknews angefangen, den ich jetzt nicht mehr bringen werde (Am besten dem Link folgen, dort steht alles Wichtige). Ich schrub unter Anderem:
Facebook ist der Early Mover, der seinen Vorsprung immer weiter ausbaut.
Der Early Mover auf einem Markt, von dem man im Holtzbrinck/Studivz-Lager noch gar nicht zu wissen scheint, dass er überhaupt existiert.
Das muss ich nun korrigieren: StudiVZ hat diesen Markt mittlerweile gesehen. Ihn aber leider völlig falsch eingeschätzt.
Denn StudiVZ-CEO Riecke weiter:
Dann sollen alle Entwickler mal programmieren und die beste Anwendung soll sich auf der Plattform durchsetzen. Dieser letzte Punkt war der ursprüngliche Facebook-Weg. Das hat zu einer Vielzahl von Applikationen geführt. Wir sind nicht überzeugt, dass die Nutzer sie alle haben wollen.
Riecke liest scheinbar zu viele schlechte deutsche Blogs (schlechte deutsche Blogs? Ein Pleonasmus ?).
..ist der falsche Weg
Ich bringe den Vergleich aus meinem Artikel über die strategische Relevanz von (offenen) Plattformen gern nochmal:
Man muss Facebook, um das Konzept dahinter zu begreifen, mit einem Betriebssystem wie Windows und dessen Programmvielfalt vergleichen. Man kann natürlich argumentieren, dass 95% der Windowsprogramme kein oder kaum ein Windowsnutzer braucht. Stimmt. Ist dann aber die daraus gezogene logische Schlussfolgerung, dass ein Windows die optimale Lösung ist, bei dem Microsoft bestimmt, welche Programme darauf laufen dürfen?
Oder hat der Markt vielleicht für eine bessere Gesamtlösung gesorgt?
Hätte man ein Betriebssystem mit Zugangsbeschränkungen und eins ohne: Welches wäre nützlicher?
DAS ist der Punkt. DAS muss man verstehen als (Big) Player im SocialNetwork-Segment.
Auf bubblegeneration würde man jetzt davon lesen, dass StudiVZ/Holtzbrinck, die bei jeder Weggabelung traumwandlerisch die falsche Entscheidung zu treffen scheinen, schlicht die falsche DNA für diesen Markt mitbringen. Sie scheinen unfähig, das Internet zu verinnerlichen und seine Eigenschaften für sich nutzen zu können. (Lustigerweise das genaue Gegenteil zu Facebook)
Ja, sie haben noch nicht einmal begriffen, was ihre künftige Rolle ist. (Hint: Infrastrukturanbieter)
Mit Müh und Not hat man bei StudiVZ jetzt bekanntgegeben, dahin zu gehen, wo Facebook im Mai letzten Jahres ankam und der Rest der SocialNetwork-Welt im Herbst letzten Jahres entschied, ebenfalls hinzugehen.
Da will man also bei StudiVZ jetzt plötzlich auch hin, aber nur so halb. Irgendwie. Den Kuchen behalten und ihn essen:
StudiVZ setzt auf offenen Protektionismus und will versuchen, so Alleinstellungsmerkmale aufzubauen. Es könnte lustig werden zu beobachten, ob(!) man tatsächlich Entwickler überzeugen kann, die Überapp, statt für Zig Millionen von Facebookern oder per OpenSocial erreichbaren Nutzern, exclusiv für das im Vergleich dazu mickrige VZ-Netzwerk zu bauen. Und dann der nette indische Student von nebenan in Windeseile das Gleiche für Facebook umsetzt- nachdem es 5 andere vor ihm in verschiedenen Varianten für jeden Geschmack umgesetzt haben. Ob man dann als ehemaliger Facebook-Clon versuchen wird, Facebookapp-Entwickler abzumahnen? Oder wie auch immer man in anderen Ländern dann vorgehen müsste.
Selbst wenn man die Vormachtstellung in Deutschland für spezielle regionale Apps exclusiv für StudiVZ ausnützen wöllte, bezweifle ich, dass das klappen würde. StudiVZ kommt dafür etwas spät. Facebook hat eine ausgewachsene Plattform und einen baldigen Deutschlandstart. Ob der Vorsprung der Größe von StudiVZ ausreichen wird eine Gängelung bezüglich Exklusivität zu rechtfertigen? Nun, das wird sich zeigen. Dafür steht aber mal besser eine funktionierende Plattform parat. Etwas, an dem man bei der Vergangenheit von StudiVZ, was die technischen Belange angeht, wohl zweifeln darf. Angesichts der Probleme von OpenSocial scheint das Umsetzen einer Plattform wie F8 nicht so trivial wie man vielleicht vermuten könnte. Eine funktionierende StudiVZ-Applikation, die mehr als ein Widget ist, sehen wir sicher frühestens Ende '08 -wenn überhaupt.
Abgesehen davon wird StudiVZ/Holtzbrinck sowieso mit traumwandlerischer Sicherheit genau die Applikation(en) ablehnen, die auf Facebok zu Killerapplikation(en) werden wird..
Es fällt immer wieder darauf zurück: Es ist keine taktische sondern eine strategische Entscheidung, die langfristig(!) über Gedeih und Verderb von Plattformen bzw. WebOS -und die sind die nächste Stufe in der Evolution von Social Networks- entscheiden wird: Markt oder Hierarchie. Was hat mehr Potential Nutzen zu stiften und damit Nutzer zu binden und selbst weiter zu wachsen?
Meine Meinung dazu ist hinlänglich bekannt.
(pic by gapingvoid )