6. Sep. 2017 Lesezeit: 4 Min.

UK, Norwegen, Frankreich, Indien etc. bereiten Verbrennerverbote vor, Deutschland aber klammert am Diesel

Es ist bemerkenswert, wenn auch traurigerweise überhaupt nicht überraschend, dass Bundeskanzlerin Merkel sich hundertprozentig hinter den in jeder Hinsicht fossilen Verbrennungsmotor stellt.

Elektroniknet.de/dpa über das Symbolergebnis vom jüngsten Diesel-Gipfeltreffen in Berlin:

Der Bund stockt einen Fonds, der bisher 500 Millionen Euro schwer sein sollte, auf eine Milliarde auf. Davon soll - Stand jetzt - die Autoindustrie 250 Millionen zahlen, 750 Millionen der Bund. Das Geld stehe noch im laufenden Haushalt zur Verfügung, versprach Merkel. Und es soll nun allen Städten zugute kommen, die mit zu hohen NOx-Werten zu kämpfen haben - im vergangenen Jahr überschritten mehr als 80 die Grenzwerte.

Ein Ziel scheint wohl zu sein, mit größeren Förderungen für, zum Beispiel, den öffentlichen Nahverkehr, die Grenzwerte in betroffenen Städten schnell zu senken, so dass der Individualverkehr so weiter machen kann wie bisher:

Welche Projekte gefördert werden, ist noch offen. Klären soll das eine neue Koordinierungsstelle von Bund, Ländern und Städten. Gehen könnte es etwa um bessere Angebote im öffentlichen Nahverkehr, eine schnellere Umstellung auf E-Fahrzeuge, bessere Ladeinfrastruktur, Leitsysteme gegen Staus oder neue Radwege.

​Es wäre die frechste PR-Aktion im Dieselskandal, wenn es nicht die Softwareupdates für Dieselfahrzeuge geben würde.

Dieses Verhalten von Angela Merkel beweist einmal mehr, dass sie eine hervorragende Machtpolitikerin ist -wer will schon die deutsche Autoindustrie gegen sich haben, oder überhaupt in eine öffentliche Debatte mit dieser Industrie verwickelt sein, wenn man es vermeiden kann, also bitte-. Es beweist auch einmal mehr, dass die Bundeskanzlerin entweder kein Gespür für die Zukunft des Landes hat oder diese Zukunft ihr recht egal ist. Mehr als andere Politiker lebt Angela Merkel ausschließlich im Hier und Jetzt, in der aktuellen Legislaturperiode, mit der nächsten Legislaturperiode im Augenwinkel, aber auf keinen Fall -auf keinen Fall!- darüber hinaus schauend. Eben waschechte, pure Machtpolitikerin.

Das führt dann natürlich zu gefährlichen, realitätsfremden Handlungen, die die Zukunft des Landes gefährden können. Die hierzulande unter Merkel undenkbaren Fahrverbote werden zum Beispiel längst in einigen EU-Ländern diskutiert und ernsthaft vorbereitet.

Großbritannien und Frankreich wollen neu zugelassene Verbrennungsmotoren ab 2040 verbieten.

Norwegen, mit seinen massiven Förderungen von Elektro-Fahrzeugen, kam jüngst auf eine Quote von 27% neu zugelassener reiner E-Fahrzeuge (mit Hybrids 42%) und plant ab 2025(!) auf 100% zu kommen:

The country’s EV incentives, like the 25% VAT tax exemption, are helping maintain the rate of adoption about 10 times higher than most markets.

In June, all-electric vehicles also reached a record 27% of new car sales with plug-in hybrids making up the difference. [...]

Norway is really close to the tipping point of electric cars where they become the majority of car sales in the country, which has the goal to reach 100% of new car sales being zero-emission vehicles starting in 2025.

​Und diese Woche gab Schottland bekannt, neue Verbrennungsmotoren ab 2032 zu verbieten:

Both France and the UK recently announced plans to ban petrol and diesel cars by 2040 in order to accelerate the adoption of all-electric vehicles.

But Scotland is one-upping them by making their target 8 years earlier. [...]

The problem is that Scotland, which has been seeking its independence, doesn’t hold powers over vehicle standards and taxation.

Nonetheless, they plan to take actions to achieve the goal.

CNN über mehr Länder mit ähnlichen Plänen:

India, France, Britain and Norway all want to completely ditch gas and diesel cars in favor of cleaner vehicles.

At least 10 other countries have set sales targets for electric cars. [...]

India: New Delhi said earlier this year that every vehicle sold in the country should be powered by electricity by 2030.

"This is an aspirational target," said Anil Kumar Jain, a government energy adviser. "Ultimately the logic of markets will prevail."

Man vergleiche die Aussagen französischer Politiker mit denen ihrer deutschen Pendants. The Guardian:

Nicolas Hulot, the country’s new ecology minister, said: “We are announcing an end to the sale of petrol and diesel cars by 2040.” Hulot added that the move was a “veritable revolution”.

He said it would be a “tough” objective for carmakers but France’s industry was well equipped to make the switch. “Our [car]makers have enough ideas in the drawer to nurture and bring about this promise ... which is also a public health issue.”

Aus deutscher Sicht, wo man sich hierzulande selbst gegen international mainstreamfähige Fahrverbotsvorschläge mit Händen und Studien wehrt, mögen diese plötzlich überall aufkommenden Verbote überraschen und irritieren.

Aber zwei Aspekte hier sind für die deutsche Autoindustrie und die aktuelle Debatte wichtig: Auch wenn das hiesige Establishment Fahrverbote auf absehbare Zeit verhindern wird -und dass diese erfolgreich verhindert werden, daran gibt es leider keine Zweifel-, werden die Fahrverbote eher früher als später in praktisch allen Absatzmärkten außerhalb Deutschlands kommen. Und was dann?

Der zweite Aspekt: Tatsächlich sind höchstwahrscheinlich selbst die geplanten Verbote in Frankreich und UK ab 2040 dank ihres späten Datums bedeutungslos. Es ist nämlich wahrscheinlich, dass die rasante technologische Entwicklung bei Batterien und Antrieb E-Fahrzeuge bereits 10 Jahre früher so populär machen werden, dass sie ihre fossilen Vorgänger beginnen vom Markt zu vertreiben.

Electrek über die sich abzeichnende Entwicklung:

Once all-electric powertrains, due to the falling cost of batteries, reach cost parity with internal combustion engines before accounting for cost of operation (gas and maintenance savings), there will be virtually no reason for buyers to want gas-powered cars over battery-powered cars.

At that point, automakers will divert all their investments to electric vehicles. As we recently reported, even the major automakers most forward thinking about EVs are still investing more in gas-powered car R&D than electric vehicle R&D: VW is spending $10 billion on EVs over $22 billion on other cars. [...]

Based on current battery cost trends and current investments in electric vehicles, I see that point happening between 2020 and 2025. After that, it’s more difficult to predict how long it will take for the industry to build the supply chain around EVs, but considering there’s already a lot of work being done on it now, I doubt it will take more than 10 years.

It means that I predict that all new car sales will be all-electric by 2035.

Die meisten Marktanalysten unterschätzen diese technologische Entwicklung, die enorme Skaleneffekte in der Produktion freisetzen wird.

Wenn die etablierten, westlichen Automobilhersteller nicht langsam elektrisch ‚Gas‘ geben, wird die komplette(!) Supply Chain für E-Fahrzeuge in China entstehen; mit maximal Ausnahmen bei Zulieferern wie Bosch, die groß genug sind sich entsprechend strategisch zu positionieren.

​Die geringere Komplexität von Elektroantrieben sollte nicht unterschätzt werden. Sie wird nicht nur dazu führen, dass einzelne Hersteller schneller produzieren können, sondern dass die gesamte Supply Chain drumherum schneller wettbewerbsfähig sein wird.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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