6. Nov. 2019 Lesezeit: 3 Min.

Warum die höhere Kaufprämie für E-Autos ein Eigentor für die deutsche Automobilbranche werden könnte

Eine höhere Kaufprämie für E-Autos wurde beschlossen.

Diese Erhöhung, das kann man ganz deutlich so sagen, gibt es nur, weil die deutsche Autoindustrie ohne diesen Kaufanreiz die europäischen CO2-Flottengrenzwerte nicht erreichen wird, weil sie geschlafen hat. So einfach ist das.

Politik und Industrie haben geschlafen. Und das beim zentralen Bestandteil, dem Herz, der deutschen Wirtschaft. Die deshalb jetzt so hoch beschlossene Prämie kann aber leicht nach hinten losgehen.

Aber zunächst die Tagesschau mit den Eckpunkten:

Bis 2022 werden bundesweit 50.000 neue Ladesäulen angestrebt. Einen Teil davon will die Autoindustrie nach den Worten von VDA-Chef Mattes in Eigenverantwortung errichten. […] Der Bund wiederum will den Ausbau der Ladeinfrastruktur in den kommenden Jahren mit 3,5 Milliarden Euro fördern. Das sieht der "Masterplan Ladeinfrastruktur" vor, den die Bundesregierung gerade erstellt hat. […]

Politik und Konzerne wollen zudem gemeinsam die bestehende Kaufprämie für E-Autos erhöhen: Beide Seiten haben vereinbart, zum Beispiel den Verkauf von Fahrzeugen mit einem Netto-Listenpreis von 40.000 Euro künftig mit 6000 statt bisher 4000 Euro jeweils hälftig zu unterstützen. Kostet ein E-Auto allerdings mehr als 65.000 Euro, gibt es keinerlei Förderung mehr.

Also:

  • Listenpreis unter 40.000 Euro: künftig 6.000 Euro Prämie.
  • Listenpreis von 40.000 Euro bis 65.000 Euro: 5.000 Euro Prämie.

​Diese Prämienerhöhung kann massiv nach hinten losgehen, wenn in 1-2 Jahren ein extrem günstiges E-Auto, zum Beispiel aus China, auf den deutschen Markt kommt und die Prämie ebenfalls in Anspruch nimmt.

Man stelle sich beispielsweise etwa Ein/Zwei-Personen-Pods in der Größenordnung von Smarts oder Citroens Ami One vor, die für 2.000 bis 3.000 Euro Endpreis dank Prämie unter anderem(!) den Zweitwagenmarkt „ruinieren“. Und eine Marktstufe höher gut(!) ausgestattete elektrische Erstwagen für um die 10.000€ dank Prämie...

Der E-Automarkt -und damit also der gesamte künftige Automarkt- wird am unteren Marktende entschieden, also auch am Preis. Hohe Prämien öffnen den deutschen Heimatmarkt massivst für Angreifer von unten, die damit ihre Margen sichern können. (Die deutschen Hersteller stecken dabei längst in der hochpreisigen SUV-Falle fest. (Am schlimmsten sieht es bei BMW aus.))

Wenn die E-Auto-Prämie 1/5 oder mehr(!) des Preises senkt, dann ändert das alles. Wenn es dagegen nur ein 1/10 des Preises ausmacht (deutsches E-SUV), dann ist die Wirkung für Kunden & Anbieter nicht mehr so hoch.

Also: Das Untere Marktsegment wird jetzt spannend.

Zum einen, weil Elektromobilität (nicht nur, aber vor allem) an dieser Stelle neue Formfaktoren, also neue Arten von Vehikeln, erlaubt. Und zum anderen weil an dieser Stelle aufgrund der höheren Stückzahlen die Mobility-Softwareplattformen der Zukunft entstehen werden. Sowohl im On-Demand-Segment als auch beim Besitz. Hinzu kommt, dass es vor allem die endnutzerorientierte Softwarekomponente im Auto ist, die künftig mehr als andere Faktoren über die Attraktivität von Autos entscheiden wird. An dieser Stelle sind die deutschen Autohersteller schwach oder schlicht austauschbar. (Apple CarPlay und Google Android Auto)

Das größte Asset der deutschen Autobranche im künftigen Marktumbruch sind ihre international starken Marken. Genau das ist in Gefahr, wenn man in den wichtigen Marktsegmenten gar nicht existent ist.

Dass bei der Prämie eine Abstufung bei 40.000 Euro gesetzt wurde und die Obergrenze nun von 60.000 auf 65.000 Euro erhöht wird, zeigt vor allem, dass weder Politik noch Industrie dieses Szenario von unten fürchten (oder gar auf dem Schirm haben).

Es geht hier um die Sicherung der hochpreisigen Produkte der deutschen Autoindustrie und die, leicht panische, Reaktion auf das Verschlafen des längst global voranschreitenden Antriebswandels und der drohenden europäischen CO2-Flottengrenzwerte.

Tagesschau:

Aber kommt gerade das Engagement der Autohersteller nicht viel zu spät? Keineswegs, so VDA-Chef Bernhard Mattes: "Wir machen jetzt große Anstrengungen zum richtigen Zeitpunkt." Im Prinzip sieht das auch der Bundesverkehrsminister so, angesichts des schon einmal verfehlten Ziels von einer Million Elektroautos bis 2020 betonte Scheuer aber auch: "Wir müssen jetzt Tempo machen".

Hierzu sei als Leseempfehlung auf diesen Kommentar auf Spiegel verwiesen.

Grundsätzlich ist abschließend festzuhalten, dass die Prämie und ihre Erhöhung Schritte in die richtige Richtung sind, aber für eine zukunftsgerichtete Mobilitätspolitik ÖPNV und Bahn etwa ebenfalls mitgedacht werden müssten. (siehe auch diesen Kommentar auf t3n dazu) Darum geht es hier aber sehr deutlich nicht. Es geht um die Rettung der deutschen Autobranche, rückwärtsgewandt, nicht mit Vision nach vorn. Ein sehr schwieriger Ansatz angesichts der extremen Volatilität vor der der internationale Automarkt und Mobilitysektor als Ganzes steht.

Die seit Jahren beunruhigenden Aussichten für die deutsche Autobranche, die an den wichtigen Stellen vor allem organisatorisch und strategisch nur schleppend vorankommt, sind mit der Prämienerhöhung nicht besser geworden.

Hier wurde politisch nur provisorisch was an den Symptomen gemacht.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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