In der Debatte zu unautorisierten Filesharing weise ich regelmäßig darauf hin, warum die Bezeichnung des Diebstahls fehl am Platze ist. (siehe etwa hier, ausführlich in der Debatte mit Sascha Lobo hier; siehe auch hier, welche Fragen von immateriellen Gütern mit physischen Gütern bedeuten würde; diese Woche auch erst wieder anlässlich einer Rede von Bundesaußenminister Guido Westerwelle diskutiert)
Das kann man leicht als Haarspalterei abtun. Es ist aber für das Verständnis der aktuellen Vorgänge wichtig, dass man dem unautorisierten Filesharing nicht Diebstahl oder etwas anderes zuschreibt, was ausnahmslos negative Konnotationen hat.
Künstler und andere Urheber
Es mag sich für den einen oder anderen wie Diebstahl anfühlen, aber es ist keiner. Mike Masnick hatte letztens auf Techdirt ausgeführt, warum das Diebstahl-Argument automatisch einige gedankliche Türen schließt:
[..]
It's about actually understanding the issues in a way that can move people forward. Calling it theft is wrong. And not because some Supreme Court justice said so, but because it's wrong at an absolute level. You can call an apple and orange because of how it makes you feel, but that doesn't make it correct, and hinders your ability to understand the differences between apples and oranges.
Von Diebstahl zu reden, macht es einfacher. Man muss nicht weiter über die Situation nachdenken und sich etwa eventuell mit Veränderungen anfreunden, die einem nicht gefallen. Aber richtig wird diese Sichtweise dadurch nicht. Schlimmer noch: Man versperrt sich vor neuen Wegen und Ansichten. In meinem Streitgespräch mit ihm hat Sascha Lobo etwa die Aussage sofort als Unsinn abgetan, dass Filesharing auch Werbung für den Inhalte-Produzenten sein kann.
Was blieb ihm auch anderes übrig? Wenn unautorisiertes Filesharing etwas ist, das nur schmierige Egoisten machen, wenn es etwas ist, das anderen etwas wegnimmt, dann darf es keine positiven Auswirkungen haben.
Beispiele wie dieses, in dem ein Autor nach dem Experimentieren mit kostenlosen E-Books die Verkäufe regulärer Bücher um 20 Prozent steigern konnte, passen dann nicht in die allgemeine Vorstellung, dass das kostenlose Hergeben eines Produkts zu gesteigertem Umsatz bei komplementären Produkten führen kann. Aber natürlich kann das auch eintreten, wenn man die kostenlose Verbreitung gar nicht autorisiert hat.
Letztlich geht es um komplementäre Güter im Gesamtangebot. Techdirt fasste hierzu ein akademisches Paper der Harvard Universität über Filesharing und Copyright wie folgt zusammen:
One of the key points that the paper makes is that many people have difficulty (especially beforehand) in recognizing whether certain products are substitutes or complements. If products substitute for others (i.e., downloads take away from sales), then a market can be harmed. However, if the products are actually complements (i.e., more content boosts other parts of the market), then a market can actually be helped. The detailed research that Oberholzer-Gee and Strumpf go through clearly shows (pretty unequivocally) that file sharing is a complementary good that has massively boosted many different ancillary markets, and created a fantastic consumer surplus without actually decreasing output. In fact, quite to the contrary, as noted above, creative output has risen at a dramatic pace.
Während einige Geschäftsmodelle obsolet werden, hat Filesharing (oder eher: die Digitalisierung insgesamt) neben dem Stärken von Nebenmärkten auch zu einem enormen Zuwachs der Konsumentenrente geführt, ohne den Output an neuer Kunst zu schmälern. (Heutzutage erscheinen mehr Filme und Musik als jemals zuvor. Hollywood fährt auch regelmäßig neue jährliche Umsatzrekorde ein.)
Gesellschaft
Das bringt uns zum nächsten Punkt. Diebstahl auf breiter Basis wäre ein gesellschaftlich natürlich enorm negativer Wohlfahrtsverlust. Aber wir sprechen hier von einem weitaus komplizierterem Biest mit unterschiedlichsten Auswirkungen. Wenn massenhaft Diebstahl im Musiksektor stattfindet, warum steigt dann der Gesamtumsatz in diesem?
Natürlich führt eine Veränderung in den technologischen Umständen dazu, dass bestimmte Gruppen zum Beispiel von Musikern besser gestellt werden als andere und dass einige Gruppen heute schlechter dastehen als vor, sagen wir, 15 Jahren. Das hat aber nichts mit Diebstahl oder ähnlichem zu tun.
Cory Doctorow hat das in einem Text 2006 recht gut ausgeführt, in dem er zeigt, wie Radio und physische Musikaufnahmen das Marktpotential weg von den guten Liveperformern und hin zu Musikern mit anderen Qualitäten verlagert haben. Ein Pendel, das jetzt wieder in die andere Richtung schlägt. Technologie gibt es, und Technologie nimmt es wieder.
Not all artists have in them to conduct an online salon with their audiences. Not all Vaudevillians had it in them to transition to radio. Technology giveth and technology taketh away.
Wir sehen uns keinem Marktversagen gegenüber, sondern einem Geschäftsmodellversagen.
Dirk von Gehlen hat letztens auf ein Blogposting von Glyn Moody hingewiesen, in dem dieser das Thema gut zusammenfasst:
Calling copyright infringement “theft” really plays into the hands of organisations like the BSA that put out these deliberately misleading studies. “Theft” is an emotive word that biases the reader against the people involved. If you call it “copyright infringement”, and note that copyright is a time-limited, state-granted *monopoly* – and I think everyone accepts that monopolies are generally bad things – then copyright infringement simply means infringing on a monopoly.
Moody spricht auch etwas an, das vielen nicht klar ist: Urheberrecht und Copyright sind Verwertungsmonopole. Es sind Rechte, die neben dem unbestrittenen gesellschaftlichen Nutzen auch Kosten verursachen. So schrieb ich in meiner Erwiderung an die Westerwelle-Rede:
Kosten und Nutzen des Urheberrechts sind unmittelbar miteinander verbinden: Je mehr man den einzelnen Produzenten an Rechten einräumt, desto mehr nimmt man der Gesellschaft weg; und umgekehrt. (Urheberrecht bedeutet ja gerade die Einschränkung von Nutzung des Werkes.)
Jeder findet Monopole schlecht. (Weil die meisten von uns nicht in der Rolle des Monopolisten stecken, sondern auf der anderen Seite stehen, die dazu verdammt ist, die Monopolrente abzudrücken.) Sascha führte in unserem Streitgespräch aus, dass er das Monopol von itunes schlecht finde. Abgesehen davon, dass itunes kein Monopol innehat, war das eine interessante Offenbarung.
Wer Monopole grundsätzlich schlecht findet, muss auch beim Urheberrecht zumindest die gesellschaftlichen Kosten wahrnehmen. Was aber nun, wenn wir die gesellschaftlichen Kosten für das Urheberrecht enorm senken können, ohne dass unsere Kultur darunter leidet?
Wenn man unautorisiertes Filesharing als das unerlaubte Umgehen von (staatlich sanktionierten) Monopolen begreift, kommt man der Realität näher:
- Den Urhebern und/oder Rechteverwertern entsteht auf einmal eine neue Konkurrenz auf einem Markt, auf dem sie vorher Monopolisten waren.
- Diese Konkurrenz lässt sich nicht umfänglich ausschalten. (Weil sie eine Folge aus Digitalisierung und Vernetzung ist, kostenfrei für jeden beteiligten Bürger.)
- Konkurrenz belebt das Geschäft: Auf der kostengünstigsten und effizientesten Verbreitung von Informationen, die die Menschheit je gesehen hat, lassen sich lukrative Geschäftsmodelle auf Basis knapper Güter aufbauen. (Die tangierenden Märkte florieren, wie mehrere Studien beweisen. Und wie es auch neben von der Theorie unterstützt wird.)
- Die erfolgreichen Geschäftsmodelle ändern sich.
Wenn Filesharing das Verletzen von Monopolen ist, die tangierenden Märkte florieren, die Konsumenten besser gestellt sind, mehr Kunst als je zuvor entsteht und wir festhalten können, dass jeder von uns Monopole schlecht findet, wie können wir da unautorisiertes Filesharing, bei dem niemandem etwas weggenommen wird, mit Diebstahl und ähnlichem gleichsetzen?