Bekanntlich fand eben der G8-gipfel statt. Bekanntlich auch ist viel dabei nicht rausgekommen, ausser der lächerlichsten Zahl des Monats -2050-. Und einer mit großen Schritten fortschreitenden Selbstdemontage der Massenmedien.
eine dpa-Ente auf Reisen
Neben anderen Verfehlungen der Massenmedien während der G8-Sause war es besonders eine dpa-Meldung mit einer falschen Übersetzung, die zunächst auf SpOn und dann in nicht wenigen Zeitungen im deutschsprachigen Raum die Runde machte.
Kurz nochmal, damit wir die ganzen Umstände hier erfasst haben: Hier übernahmen Zeitungen blind eine dpa-Meldung obwohl sich Heiligendamm nicht auf einem anderen, korrespondentenlosen Kontinent befindet, obwohl es eine TV-Liveübertragung zu den Vorgängen in der Meldung gab, und obwohl 2500 Journalisten im eigens eingerichteten Pressezentrum zugegen waren, von denen einige sicher auch von deutschen Zeitungen waren (die aber alle wahrscheinlich anderweitig beschäftigt waren).
Stefan Niggemeier stellt nach einigen Tagen fest und fragte :
Drei Tage hat die Nachrichtenagentur dpa gebraucht, ihre Falschmeldung zu korrigieren, dass ein Redner auf der Anti-G8-Kundgebung in Rostock am 2. Juni die Gewalttäter mit dem Satz angestachelt habe, man müsse den „Krieg in diese Demonstration” bringen. Aber nach drei Tagen hat sie sich umfassend korrigiert und entschuldigt.
Und die Medien, die diese Falschmeldung weitertrugen, obwohl sie es besser hätten wissen können, und teilweise mit eigenen Details noch ausschmückten?
Was er dann aufzählt, ist erschreckend und lässt einen an der Qualität einiger hiesiger Printmedien zweifeln.
Kritikresistenz der etablierten Massenmedien
Es war ein frappierend leicht zu offenbarender Fehler, der ebenso leicht im Print Verbreitung und im Netz Aufdeckung erfuhr. Ebenso zäh und widerspenstig erschien seine Berichtigung in den Massenmedien. Man kann sich nicht helfen, aber hier eine Zweifrontenteilung sehen: Auf der einen Seite die Blogger, die aufdecken und hinterfragen und auf der anderen Seite die Journalisten, bei denen man sich fragt, wofür sie bezahlt werden.
Jeder durchschnittliche Blogleser schien tagelang besser informiert als mancher Journalist, oder gar DPA-Mitarbeiter. Dass sich da nach einer Weile Häme zum Kopfschütteln gesellt, dürfte nicht verwunderlich sein.
Es geht hier aber nicht um eine absurde "Blogger gegen Journalisten"-Debatte, auch wenn man das annehmen könnte. Was sich hier im Netz formiert (und in den USA bereits wesentlich besser dasteht) ist eine neue, relativ unabhängige Avantgarde von 'Informierten'. Menschen, die bestmöglich informiert sein wollen, und dafür die effizientesten Mittel wahrnehmen und mittels RSS und Social Media allgemein eine Eindringtiefe (ha!) in den von ihnen gewählten Themen erreichen, die vorher nur den als Gatekeepern agierenden Journalisten und wenigen Spezialisten vorbehalten war.
Das hat zwei Konsequenzen: Erstens pendelt sich diese Gegenöffentlichkeit auf einem höheren Informationsniveau ein, das auf einem historischen Maximum liegt. Zweitens werden gerade, oft arrogante, Gatekeeper und mit ihnen die von ihnen etablierten Marken (Publikationen) demontiert. Das Bloßstellen von Fehlern, die entweder niemandem aufgefallen wären, oder deren Aufdeckung sich nicht oder kaum verbreitet hätte, benötigt heute nur eins: Einen Blogeintrag. Das Ansehen derer, die informieren sollen (und mal wollten), ist längst so beschädigt, dass da bei den eben heranwachsenden Generationen das Grundvertrauen in die etablierten Marken unwiederbringlich verloren ist -und damit vielleicht das Hauptkapital, das an diesen Stellen aufgebaut wurde, stückweise wegbröckelt. Abgesehen davon sind die alten Informationswege schon lange nicht mehr konkurrenzfähig, geschweige denn die effizientesten.
Das Netz is here to stay
Denn wer einmal Email und IM verwendet hat, nutzt zur Kommunikation nicht mehr Briefe (es sei denn aus Nostalgie oder aus einer temporären Faszination der Beschränkungen heraus). Wer einmal Skype und Co. verwendet hat, entscheidet sich, wenn er wählen kann, statt für das Festnetztelefon für Erstgenanntere. Wer Wikipedia kennt und weiß wie man Google verwendet, der kauft sich keinen Brockhaus mehr. Und wer aus unzähligen Blogs und Co. sich einmal seine eigene persönliche Zeitung zusammengestellt hat, in der jeder der Veröffentlichenden den anderen auf die Finger schaut, der kehrt nicht mehr zu einem für den kleinsten Nenner zusammengeschnürten Gesamtpaket zurück, auch wenn er dieses bequem auf Papier bekommen kann. Und eben auch und gerade weil er mittlerweile besser als früher weiß, was genau ihm von den Redaktionen viel zu oft zugemutet wird.
Die Moral der Geschicht ist letztlich eine recht einfache:
Ich glaube nicht sofort alles, was in Blogs geschrieben wird. Dort wird genauso viel, wenn nicht mehr, Blödsinn veröffentlicht wie in etablierten Zeitungen. Bei Blogs kann ich aber davon ausgehen, dass ein Beitrag den Fakten entspricht, wenn er ein oder mehrere Tage im Netz steht ohne von einer anderen Seite (in den Kommentaren, per Trackbacks, auf anderen Seiten der gleichen Nische, oder gar freiwillig vom Autor usw.) beanstandet und gegebenenfalls korrigiert worden ist. Es ist das große Ganze -ja, die 'Sphäre'- die letztenendes eine Art zugesicherte Kontrollinstanz schafft. Diese ist ziemlich schwammig und nicht zu fassen. Deswegen glauben Journalisten, die nur über aber nicht in Blogs lesen, nicht daran. Aber Jeder, der sich hier draußen bewegt, weiß, dass sie da ist.
Bei Zeitungen kann ich auf eine solche Korrekturfunktion nicht mehr vertrauen.
Und wenn ich so etwas wie diesen Text hier zu sagen habe, dann schreibe ich keinen Leserbrief mehr, der, womöglich mit einem Schulterzucken, im Papierkorb landet, sondern veröffentliche es für alle Welt zum Lesen im Netz. Welcome to the 21st century, bitch.